Heft 4/2020 (Juli 2020)

Abhandlungen

E. Schollmeyer:
Wirksamkeit einer inländischen Registereintragung nach ausländischem Recht: Kann das neue Spaltungsrecht funktionieren? 297

Eine der originellsten Kollisionsnormen, die das Sekundärrecht der Europäischen Union bislang hervorgebracht hat, findet sich an versteckter Stelle in der neuen Umwandlungsrichtlinie. Art. 160q der Richtlinie weist die Bestimmung des Wirksamkeitszeitpunkts einer grenzüberschreitenden Spaltung dem Recht des Wegzugsstaats zu. Die Vorschrift liest sich wie der Versuch eines Befreiungsschlages aus dem komplizierten Gestrüpp des Registervollzugs der grenzüberschreitenden Spaltung einer Kapitalgesellschaft. Ob dieser Befreiungsschlag geglückt ist, wird in diesem Beitrag untersucht.

F. Fuchs:
Der internationale Urkundenverkehr 4.0: Die elektronische Apostille 302

Die Apostille ist aus dem internationalen Rechtsverkehr nicht wegzudenken. Die mittlerweile 118 Staaten, die dem Haager Übereinkommen vom 5.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation beigetreten sind, erteilen pro Jahr insgesamt mehrere Million solcher Echtheitsbestätigungen zu öffentlichen Urkunden, die in ihrem Hoheitsgebiet ausgestellt wurden. Seit mehreren Jahren gibt es die elektronische Apostille, also die Apostille in Form eines elektronischen Dokuments, dessen Echtheit mittels eines über das Internet zugänglichen Registers jederzeit überprüft werden kann. Deutschland beteiligt sich an diesem neuen Projekt bislang nicht, aber bereits 38 andere Länder.

Entscheidungsrezensionen

G. Mäsch:
Third Time Lucky? Der EuGH zum Gerichtsstand für Kartellschadensersatzklagen am Handlungs- und Erfolgsort 305

Der EuGH hat sich in nunmehr drei Entscheidungen mit der Frage auseinandergesetzt, wo im Rahmen der Bestimmung des Deliktsgerichtsstands auf der Basis des Ubiquitätsprinzips der „Handlungsort" und der „Erfolgsort" bei Kartellschadenersatzklagen zu lokalisieren ist. In diesem Beitrag wird das sich aus CDC Hydrogen Peroxide, flyLAL und jetzt Tibor-Trans ergebende Gesamtbild analysiert und kritisiert. Zur Bestimmung des Handlungsorts ist der vom EuGH favorisierte Gründungsort eines Kartells nicht nur bei Verstößen gegen Art. 102 AEUV (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung), sondern auch für das Kartellverbot des Art. 101 AEUV gänzlich ungeeignet. Gleiches gilt für die Lokalisierung des Erfolgsorts an dem Ort, an dem der Wettbewerb beeinträchtigt wurde und der finanzielle Schaden des Kartellopfers eingetreten ist. Der Verfasser des Beitrags schlägt demgegenüber vor, den Handlungsort vom jeweiligen Sitz der Kartelltäter und den Erfolgsort allein vom beeinträchtigen Markt abhängig zu machen.

J. Kleinschmidt:
Die Zuständigkeitsordnung der EuErbVO gilt auch für das nationale Erbscheinsverfahren 308

Die EuErbVO trifft kaum Aussagen zum Verhältnis zwischen dem Europäischen Nachlasszeugnis und den bestehenden nationalen Formen des Erbnachweises. In einem Vorlageverfahren, das die Ausstellung eines deutschen Erbscheins betraf, hat der EuGH nun einen Teilaspekt dieses Verhältnisses geklärt: Die Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte zur Ausstellung eines nationalen Erbnachweises richtet sich nach der Zuständigkeitsordnung der EuErbVO (Art. 4 ff.). Die Entscheidung verdient Zustimmung, weil die damit einhergehende Zuständigkeitskonzentration kaum gelöste Unzuträglichkeiten, die sich aus der Existenz einander widersprechender Erbnachweise ergeben können, soweit es geht vermeidet. Offen bleibt, ob die Art. 4 ff. EuErbVO auch die Ausstellung notarieller Erbnachweise erfassen.

K. Thorn/K. Varón Romero:
Die Qualifikation des pauschalierten Zugewinnausgleichs im Todesfall gemäß § 1371 Abs. 1 BGB nach der EuErbVO 316

In der Rechtssache Mahnkopf hatte der EuGH zu entscheiden, ob der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie über die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) auch nationale Bestimmungen umfasst, die wie § 1371 Abs. 1 BGB dem überlebenden Ehegatten eine pauschale Abfindung für Zugewinn nach dem Tod des anderen Ehegatten durch Erhöhung seines Erbteils gewähren. Es handelte sich also um die in Deutschland lange Zeit umstrittene und erst im Jahr 2015 national geklärte Qualifizierung des § 1371 Abs. 1 BGB. Der EuGH entschied sich für eine erbrechtliche Qualifizierung auf der Ebene des Unionsrechts und vertrat damit eine Auffassung, die der des BGHs für das nationale Kollisionsrecht widerspricht. Die Autoren stimmen zwar mit dem Ergebnis des EuGH überein, kritisieren aber den methodischen Ansatz bei der Umsetzung der funktionellen Qualifikation.
Der Artikel zeigt die neu aufgeworfenen Fragen und Probleme auf, die infolge der EuGH-Entscheidung von den deutschen Gerichten zu klären sind und analysiert in diesem Zusammenhang zwei neuere oberlandesgerichtliche Entscheidungen. Dabei geht es einerseits um Fragen der materiellrechtlichen Anpassung bei Wertungswidersprüchen, die sich nach wie vor im Spannungsfeld zwischen Erb- und Güterstatut ergeben können; hier treten zudem Substitutionsfragen auf. Andererseits könnte sich der BGH durch die EuGH-Entscheidungen bewogen sehen, seine Rechtsprechung zur Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB zu ändern, was weitreichende Folgen für die zirkulierenden Erbscheine hätte.

P. Mankowski:
Nun sag, wie hast Du’s mit dem Anerkennungsprinzip? – Im EU-Ausland „unrechtmäßig“ erlangte Namen als Prüfstein 323

Das Anerkennungsprinzip hat, unionsrechtlich fundiert, immer mehr an Boden im Internationa-len Privatrecht gewonnen. Das Internationale Namensrecht ist eine seiner wichtigen Erobe-rungen und Ausgangspunkt für eine übergreifende Entwicklung. Ob das Anerkennungsprinzip für staatliche Akte auch dann gilt, wenn der Namenserwerb im EU-Ausland „unrechtmäßig" war, ist Gretchenfrage für Konzept und Umfang. Der BGH positioniert sich im restriktiven Lager. Die Grundstruktur des Rechtsinstituts Anerkennung spricht eigentlich dagegen und für eine liberale Anerkennung.

M. Gernert:
Vertragskündigungen iranischer Geschäftsbeziehungen aufgrund US-Sanktionen und ein möglicher Verstoß gegen die EU-Blocking-Verordnung und § 7 AWV 329

Secondary Sanctions der Vereinigten Staaten sollen auch europäische Wirtschaftsteilnehmer dem noch einmal verschärften US-amerikanische Sanktionsregime gegen den Iran unterwerfen. Demgegenüber steht die sog. Blocking-Verordnung der Europäischen Union, die die europäischen Unternehmen vor solchen extraterritorialen Regelungen schützen soll und das Befolgen bestimmter Sanktionen verbietet. Angesichts der großen Bedeutung des US-Marktes und der gewollten Unsicherheit bei der Durchsetzung der US-Sanktionen reagieren viele europäische Unternehmen verunsichert und kündigen Verträge mit iranischen Geschäftspartnern, um hohe Strafen aus den USA von vornherein auszuschließen. In diesem Beitrag wird untersucht, inwieweit die Blocking-Verordnung sowie § 7 AWV solche Kündigungen verbieten und unwirksam machen.

B. Rentsch:
Die grenzüberschreitende Vollziehung einstweiliger Maßnahmen: Im Zweifel für die lex fori 337

Auch Titel aus Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz genießen den Anerkennungs- und Vollstreckungsautomatismus der EuGVVO. Ihre grenzüberschreitende Vollziehung erfolgt damit ebenso wie die Vollstreckung im Hauptsacheverfahren in zwei Schritten: Die Vollstreckungsvoraussetzungen richten sich nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates, die eigentliche Vollstreckung folgt dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates. Diese Zweiteilung ist nicht darauf ausgerichtet, dass Vollstreckbarkeits- und Vollstreckungsvoraussetzungen im einstweiligen Rechtsschutz bis zur Ununterscheidbarkeit verschwimmen können. Die einmonatige Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 BGB stellt solch einen Grenzfall dar. Der Gerichtshof der Europäischen Union ordnet die Vollziehungsfrist in der Entscheidung zur Rechtssache C-379/17 (Societá Immobiliare Al Bosco Srl) dennoch dem Vollstreckungsverfahren zu. Damit erteilt er der Idee eines Vollstreckungskollisionsrechts für einstweilige Titel eine Absage und schafft für den deutschen Rechtsanwender neue Probleme, namentlich im Hinblick auf den Beginn der Vollziehungsfrist nach deutschem Recht.

Rezensierte Entscheidungen

23 EuGH 29.7.2019 Rs. C-451/18 Third Time Lucky? Der EuGH zum Gerichtsstand für Kartellschadensersatzklagen am Handlungs- und Erfolgsort [G. Mäsch, S. 305] 343
24 EuGH 21.6.2018 Rs. C-20/17 Die Zuständigkeitsordnung der EuErbVO gilt auch für das nationale Erbscheinsverfahren [J. Kleinschmidt, S. 308] 345
25-27 EuGH, OLG Hamm, OLG München 1.3.2018, 21.3.2019, 24.9.2019 C-558/16, 10 W 31/17, 31 Wx 326/18 Die Qualifikation des pauschalierten Zugewinnausgleichs im Todesfall gemäß § 1371 Abs. 1 BGB nach der EuErbVO [K. Thorn/K. Varón Romero, S. 316] 348, 350, 353
28 BGH 20.2.2019 XII ZB 130/16 Nun sag, wie hast Du’s mit dem Anerkennungsprinzip? – Im EU-Ausland „unrechtmäßig“ erlangte Namen als Prüfstein [P. Mankowski, S. 323] 354
29,30 Hanseatisches OLG, LG Hamburg 6.6.2019, 28.11.2018 11 U 257/18, 319 O 265/18 Vertragskündigungen iranischer Geschäftsbeziehungen aufgrund US-Sanktionen und ein möglicher Verstoß gegen die EU-Blocking-Verordnung und § 7 AWV [M. Gernert, S. 329] 359, 361
31 EuGH 4.10.2018 Rs. C-379/17 Die grenzüberschreitende Vollziehung einstweiliger Maßnahmen: Im Zweifel für die lex fori [B. Rentsch, S. 337] 363
32 OGH 7.5.2019 6 Ob 218/18d „Kommunikationsdelikte“ und Tatortzuständigkeit [A. Spickhoff, S. 368] 366

Blick ins Ausland

A. Spickhoff:
„Kommunikationsdelikte“ und Tatortzuständigkeit 368

Kommunikationsdelikte werden in neuerer Zeit eher unter der Überschrift "Internetdelikte" diskutiert. In kollisionsrechtlichen Zusammenhängen handelt es sich oft um sog. Streudelikte. Die hier diskutierte Entscheidung des österreichischen OGH betraf im Gegensatz dazu individualle Äußerungs- bzw. Kommunikationsdelikte, deren zuständigkeitsbegründender Tatort vom OGH in Übereinstimmung mit allgemeinen Grundsätzen konkretisiert worden ist. Tatorte sind bei Distanzdelikten sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort. Handlungsort ist der Absendeort. DEr Erfolgsort wird am Aufenthaltsort des Verletzten zur Zeit des Empfangs der Nachricht. Erfolgt die Äußerung Dritten gegenüber, ist Erfolgsort der gewöhnliche Aufenthalt des Dritten (des Empfängers).
Der OGH verwies den Fall an die Tatsacheninstanz zur Ermittlung der zwischen den Parteien streitigen, für die Bestimmung des Tatorts der zuständigkeitsbegründenen relevanten Tatsachen zurück. Dabei versäumte das Gericht, die Problematik der sog. doppelrelevanten Tatsachen zu problematisieren, obwohl die Frage im österreichischen wie im deutschen Zuständigkeitsrecht parallel beantwortet wird. Auch im europäisierten Zuständigkeitsrecht genügt an sich die bloße Schlüssigkeit des Vortrags der tatortbegründenden Fakten, jedenfalls soweit diese in gleicher Weise auch im Rahmen der Begründetheit kollisionsrechtlich relevant sind.

R. Rodriguez/P. Gubler:
Recognition of a UK Solvent Scheme of Arrangement in Switzerland and under the Lugano Conventions 372

In recent years, various European companies have made use of the ability to restructure their debts using a UK solvent scheme of arrangement, even those not having their seat in the UK. The conditions and applicable jurisdictional framework under which the scheme of arrangement can be recognised in jurisdictions outside the UK are controversial. In Switzerland doctrine and jurisprudence on the issue are particularly scarce. This article aims to clarify the applicable rules of international civil procedural law as well as the requirements for recognition of a scheme of arrangement in Switzerland. It is held that recognition should be generally granted, either according to the 2007 Lugano Convention or, in a possible "no-deal Brexit" scenario, according to the national rules of private international law, or possibly even the 1988 Lugano Convention.

T. Helms:
Ausländische Leihmutterschaft und Grenzen der aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anerkennungspflicht 379

Auf Vorlage der französischen Cour de Cassation hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einem Gutachten zur Frage der Anerkennung einer rechtlichen Eltern-Kind-Beziehung zwischen einem im Ausland geborenen Leihmutterschaftskind und seiner genetisch nicht verwandten Wunschmutter Stellung genommen: Art. 8 EMRK erfordert, dass das nationale Recht eine Möglichkeit vorsieht, um ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis zur Leihmutter herzustellen. Die Mitgliedstaaten besitzen aber einen Beurteilungsspielraum, mit welchen Mitteln sie dieses Ziel erreichen, dabei kann auch die Möglichkeit zur Adoption des Kindes geeignet sein, die konventionsrechtlichen Vorgaben zu erfüllen.

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