Heft 5/2024 (September 2024)

Aktuelles Heft (zum Probeabo)

Abhandlungen

Th. Klink:
Der Commercial Court nach dem Justizstandort-Stärkungsgesetz – ein Modellprojekt für grenzüberschreitende Gerichtsverfahren 349

Das Justizstandort-Stärkungsgesetz  erlaubt es den Ländern, ab dem 1.1.2025 Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten einzurichten. Die Gesetzesreform will durch Übernahme von Elementen der Schiedsgerichtsbarkeit die staatliche Gerichtsbarkeit insbesondere für grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten attraktiver gestalten. In einem Vertrag oder nach Entstehen der Streitigkeit können die Parteien die erstinstanzliche Zuständigkeit des Commercial Courts als Spezialsenat in Fällen ab 500.000 Euro vereinbaren, soweit ein im Landesrecht bestimmtes Sachgebiet betroffen ist (B2B-Fälle, M&A-Fälle und Fälle der gesellschaftsrechtlichen Organhaftung). Erstmals kann das komplette Zivilverfahren von Klage bis Urteil auf Englisch geführt werden. Bei den Landgerichten können Commercial Chambers eingerichtet werden, die unabhängig vom Streitwert eine ähnliche Spezialisierung erlauben. Der Aufsatz erläutert den Hintergrund der Gesetzesreform und analysiert die gerichtsverfassungsrechtlichen und zivilprozessualen Rahmenbedingungen der Zuständigkeit und der Verfahrenseinleitung, insbesondere in Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug.

Entscheidungsrezensionen

J. F. Hoffmann:
Neuigkeiten zum Verhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren im Europäischen Insolvenzrecht? 356

Der EuGH hatte grundlegende Fragen zu klären, die das Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärverfahren unter Geltung der EuInsVO betreffen. Der EuGH bejaht zum einen, dass auf Masseverbindlichkeiten, die zwischen der Eröffnung des Haupt- und derjenigen des Sekundärverfahrens entstehen, die lex fori concursus des Hauptverfahrens anzuwenden ist. Zwischen den Zeilen wird man der Entscheidung zu entnehmen haben, dass auch die Sekundärmasse für diese Masseverbindlichkeiten des Hauptverfahrens haftet. Im Detail bleibt hier jedoch einiges unklar und in Zukunft sollte deutlicher zwischen den einzelnen Kategorien von Masseverbindlichkeiten unterschieden werden. Für Verfahrenskosten des Hauptverfahrens sollte die Sekundärmasse nur subsidiär haften und echte Privilegien des Hauptverfahrens, die nicht mit der Verwaltung der Masse zusammenhängen, sollten nicht im Sekundärverfahren geltend gemacht werden können, so wie umgekehrt das Sekundärverfahren solche Privilegien nach Maßgabe der lex fori concursus secundarii anerkennen können sollte.

Zum anderen stellt der EuGH den weitgehend unstrittigen Befund auf, dass die Sekundärmasse sich erst im Zeitpunkt der Sekundärverfahrenseröffnung konstituiert. Der Hauptverwalter darf vor Sekundärverfahrenseröffnung Gegenstände aus dem (künftigen) Sekundärverfahrensstaat in den Hauptverfahrensstaat verbringen. Das könne unter Umständen zwar rechtsmissbräuchlich sein, der EuGH konkretisiert das aber nicht weiter. Der EuGH positioniert sich in der äußerst strittigen Frage, ob der Sekundärverwalter gegen den Hauptverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung vorgehen könne, zugunsten einer Anfechtbarkeit. Es werden aber keine weiteren Präzisierungen vorgenommen und die Frage letztlich vollständig den nationalen Insolvenzanfechtungsrechten überantwortet, was keine gelungene Lösung darstellt. In der Sache sollten die Handlungsbefugnisse des Hauptverwalters im Umgang mit Vermögenswerten, die sich in anderen Mitgliedstaaten befinden, auf das beschränkt werden, was für eine ordnungsgemäße Abwicklung des Insolvenzverfahrens insgesamt erforderlich ist.

 

B. Kasolowsky/C. Wendler
Verletzung der Schiedsklausel durch sanktionierte russische Parteien: Positive Feststellung der Zulässigkeit des Schiedsverfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO 363

Eine Entscheidung des KG Berlin vom 1. Juni 2023 veranschaulicht, dass § 1032 Abs. 2 ZPO in einem extraterritorialen Kontext erfolgreich geltend gemacht werden kann, um ein sanktioniertes russisches Unternehmen an eine Schiedsvereinbarung zu binden, unter Verletzung derer es ein staatliches russisches Gerichtsverfahren eingeleitet hatte. Die Entscheidung gibt Aufschluss über die Vorgehensweise der deutschen Gerichte bei der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen gegenüber sanktionierten russischen Parteien im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Darüber hinaus weist die Entscheidung den Weg für deutsche Gerichte, wie sie mit den praktischen Hindernissen bei der Zustellung an russische Parteien umgehen können. Insbesondere wählte das Gericht aufgrund der ausdrücklichen Zustellungsverweigerung der russischen Behörden die in der Haager Zustellungsübereinkommen nicht vorgesehene öffentliche Zustellung.

 

B. Steinbrück:
Keine Bindungswirkung der abweisenden Entscheidung in einem Aufhebungsverfahren im ausländischen Ursprungsstaat des Schiedsspruchs 366

Hat eine ausländische Gerichtsentscheidung, die einen angefochtenen Schiedsspruch bestätigt, Bindungswirkung im Vollstreckbarerklärungsverfahren vor deutschen Gerichten? Wenn ein ausländischer Schiedsspruch bereits am Sitz des Schiedsgerichts erfolglos angefochten wurde, kann eine erneute Verhandlung und Entscheidung über dieselben Aushebungsgründe ineffizient erscheinen. Soweit die ausländische Entscheidung, mit der die Aufhebungsklage abgewiesen wurde, nach dem ausländischen Verfahrensrecht Rechtskraft hinsichtlich der vorgebrachten Einwendungen gegen den Schiedsspruch entfaltet, könnten diese Entscheidungswirkungen grundsätzlich über § 328 ZPO auf das Inland erstreckt werden, so dass die im Schiedsverfahren unterlegene Partei mit ihren bereits im Ausland zurückgewiesenen Einwendungen im deutschen Vollstreck-barerklärungsverfahren präkludiert wäre. Der Bundesgerichtshof hat eine solche von der bislang wohl herrschenden Meinung vertretenen Bindungswirkung abweisender Entscheidungen im ausländischen Aufhebungsverfahren nun jedoch generell ausgeschlossen. Der Bundesgerichtshof hat ferner entschieden, dass es der unterlegenen Partei auch dann, wenn das ausländische Gericht am Sitz des Schiedsgerichts eine Aufhebung des Schiedsspruchs abgelehnt hat, offensteht, vor den deutschen Gerichten analog §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 2. Var., 1061 Abs. 2 ZPO proaktiv die Feststel-lung zu beantragen, dass der ausländische Schiedsspruch in Deutschland nicht vollstreckt werden kann.

Im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall scheint die fehlende Bindungswirkung der den Schiedsspruch bestätigenden ausländischen Entscheidung gerechtfertigt zu sein, da der betreffende russische Schiedsspruch unter sehr zweifelhaften Umständen zustande gekommen war. Die generelle Ablehnung jeglicher Bindungs- und Präklusionswirkungen einer ablehnenden Entscheidung im ausländischen Aufhebungsverfahren im Ursprungsstaat des Schiedsspruchs für das Vollstreck-barerklärungsverfahren im Inland überzeugt jedoch nicht. Der BGH verhindert damit nämlich eine Berücksichtigung auch unproblematischer und damit grundsätzlich nach § 328 ZPO anerkennungsfähiger Entscheidungen der ausländischen Gerichte im Ursprungsstaat des Schiedsspruchs und erhöht damit in diesen Fällen den Aufwand für den Vollstreckungsgläubiger erheblich. Dieser muss sich in einem Vollstreckbarerklärungsverfahren in Deutschland insbesondere auch Einwände gegen den Schiedsspruch erneut entgegenhalten lassen, die im Ausland bereits ausführlich geprüft und mit Rechtskraftwirkung abgelehnt worden sind. Ein differenzierter Lösungsansatz, wie ihn die Anwendung von § 328 ZPO in diesen Fällen ermöglicht, wäre daher vorzugswürdig gewesen.

Ch. Reibetanz:
Zum Vorliegen eines Binnensachverhalts i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO 374

Der Beitrag beschäftigt sich mit der ersten Entscheidung des BGH zu Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO. Der BGH entschied, dass trotz einer in einem Mietvertrag über eine Wohnung in Berlin enthaltenen Rechtswahlklausel zugunsten bulgarischen Rechts die Vorschrift des § 575 BGB Anwendung finde, weil es sich um einen reinen Binnensachverhalt handele und die Rechtswahl der Parteien deshalb nur materiell-rechtliche Wirkung entfalte. Dem Rechtsstreit lag ein Mietvertrag zugrunde, der zwischen einem bulgarischen Staatsangehörigen und seiner Ehefrau sowie der bulgarischen Botschaft in Berlin abgeschlossen worden war.

In der Besprechung der Entscheidung wird dargelegt, dass es sich nicht um einen reinen Binnensachverhalt i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO handelte. Einen hinreichenden Auslandsbezug vermittelte die Tatsache, dass ein ausländischer Staat Vertragspartei war. Stattdessen hätte die Geltung des § 575 BGB über Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO hergeleitet werden müssen. Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung im Hinblick auf die Argumentation zu Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vereinzelt bleibt und Gerichte in Zukunft den EuGH um Vorabentscheidung ersuchen.

J. P. Schmidt:
Europäisches Zustellungsrecht und nationale Rechtsmittelfristen - keine AUshöhlung der Übersetzungsregelung (EuGH, Rs. C-7/21, S. 405) 379

Das europäische Zustellungsrecht erlaubt die Zustellung von Schriftstücken ohne Übersetzung, gibt einem Empfänger aber das Recht, die Annahme innerhalb einer bestimmten Frist zu verweigern, wenn das Schriftstück nicht in der Amtssprache des Empfängerstaates verfasst ist oder einer anderen Sprache, die der Empfänger versteht. Um die Wirksamkeit dieses Schutzes sicherzustellen, zugleich aber auch das Ziel eines schnellen und effizienten Rechtsverkehrs zu fördern, hat der EuGH entschieden (Urteil v. 7.7.2022 – Rs. C-7/21, LKW Walter), dass eine Rechtsmittelfrist des nationalen Rechts nicht zeitgleich mit der Annahmeverweigerungsfrist zu laufen beginnen darf. Die Entscheidung des EuGH verdient Zustimmung, auch wenn sie eine Reihe von Folgefragen aufwirft und die praktischen Nachteile der flexiblen Übersetzungsregelung hervortreten lässt.

Rezensierte Entscheidungen
(s. Seite III) 383

Materialien
424

Rechtsprechungsübersicht
(s. Seite III) 410

Blick in das Ausland

F. Heindler
Wirksame Eheschließung zweier afghanischer Staatsbürger als Vorfrage bei Behandlung eines Antrags auf einvernehmliche Scheidung durch österreichische Gerichte 411

Die Rom III-VO über das auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht ist ausweislich ihres Art. 1 Abs. 2 auf die Vorfrage des Bestehens, der Gültigkeit oder der Anerkennung einer Ehe nicht anwendbar. Da jede Ehescheidung das wirksame Bestehen einer Ehe voraussetzt, bleibt daher stets nationales Recht maßgeblich.

G. Zou/Z. Wang:
The Refinement of Rules on the Ascertainment of Foreign Laws in China 414

The ascertainment of foreign law has always been a major challenge that has long constrained the quality and effectiveness of foreign-related civil or commercial trials by Chinese people’s courts. The judicial interpretation (II) concerning the application of Chinese PIL-Act newly promulgated in November 2023 by the Supreme People’s Court of China greatly refines many aspects in ascertaining foreign laws including the responsibility, means, relevant procedures, criteria, the burden of the expenses, etc. It is expected but remains to be seen whether the people’s courts as well as Chinese and foreign parties could benefit from such refinement.

D. Sprick:
Building a “Foreign-Related Rule of Law”: China’s State Immunity Law 417

With its new Law on Foreign State Immunity, the People’s Republic of China abandons its long-standing notion of absolute state immunity and introduces a paradigmatic shift towards the internationally dominant restrictive approach of state immunity. Furthermore, this law needs to be understood as a building block of China’s ambitions for a stronger impact of its legal system around the globe within the agenda of a “foreign-related rule of law”. This paper will therefore discuss this new avenue for the resolution of commercial disputes between private parties and states before Chinese courts, which is certainly also aimed at providing enhanced protection for Chinese businesses considering their legal risks stemming out of China’s going global strategy and especially its Belt and Road Initiative (BRI). Furthermore, China’s new Law on Foreign State Immunity will be analysed within the specific setting of China’s approach toward the rule of law and its limited legal certainty as well as its political functionality understanding of Chinese courts.

Materialien
424

Internationale Abkommen
425

Schriftumshinweise
426

Neueste Informationen
II, IV ff.

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