Heft 2/2024 (Februar 2024)

Aktuelles Heft (zum Probeabo)

Abhandlungen

H.-P. Mansel/K. Thorn/R. Wagner:
Europäisches Kollisionsrecht 2023: Zeit der Triloge 73

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Brüsseler Entwicklungen auf dem Gebiet der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen in der Zeit von Januar 2023 bis Dezember 2023. Er gibt einen Überblick über die neu erlassenen Rechtsakte und berichtet über aktuelle Projekte sowie neue Instrumente, die sich zurzeit im EU-Gesetzgebungsverfahren befinden und informiert über die deutsche Begleit- und Durchführungsgesetzgebung zu neuen EU-Instrumente. Des Weiteren werden die Bereiche angesprochen, in welchen die EU von ihrer Außenkompetenz Gebrauch gemacht hat. Ausführlich besprochen werden sowohl wichtige Entscheidungen und anhängige Verfahren vor dem EuGH als auch wichtige Entscheidungen deutscher Gerichte, die den Gegenstand des Artikels betreffen. Auch werden aktuelle Projekte und die neuesten Entwicklungen bei der Haager Konferenz für internationales Privatrecht skizziert.

H. Kronke:
Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsklauseln in Zeiten schwindender Rechtsstaatlichkeit 106

Angesichts des Abhandenkommens von Rechtsstaatlichkeit in einer wachsenden Anzahl von Staaten behandelt der Aufsatz potentiell gefährliche Situationen, die sich aus der Wahl eines Gerichtsstandes oder einer Schiedsklausel ergeben können. Er schildert Lösungsansätze in Rechtsprechung und Literatur zum internationalen Verfahrensrecht und ruft Unternehmen und deren Rechtsberater zu Wachsamkeit und Berücksichtigung möglicher Risiken bei der Vertragsgestaltung auf.

 

L. van Vliet/J. van der Weide:
Die Krim-Schätze 113

2013 hatten vier Krim-Museen dem LVR-Landesmuseum in Bonn und dem Allard-Pierson-Museum in Amsterdam eine Sammlung hochbedeutender archäologischer Objekte, die ‚Krim-Schätze‘, zu Ausstellungszwecken ausgeliehen. Während der Ausstellung im Allard-Pierson-Museum wurde die Halbinsel Krim widerrechtlich von der Russischen Föderation annektiert. Daraufhin stellte sich die Frage, an wen das Allard Pierson Museum die Krimschätze zurückgeben sollte: an die Krim-Museen (de facto im Besitz der Russischen Föderation) oder an den Staat Ukraine? Die Gerichtsverfahren konzentrierten sich auf die Auslegung des Begriffs der ‚unrechtmäßigen Ausfuhr‘ im UNESCO-Übereinkommen von 1970 und auf die Anwendung des Konzepts der Eingriffsnormen im Bereich des Sachenrechts. In Bezug auf das UNESCO-Übereinkommen von 1970 ging es um die Frage, ob der Begriff der ‚unrechtmäßigen Ausfuhr‘ den Fall einschließt, dass geschütztes Kulturgut auf der Grundlage einer befristeten Ausfuhrgenehmigung rechtmäßig ausgeführt und nach Ablauf der in der Genehmigung vorgesehenen Frist nicht in das Land zurückgeführt wird, das die Genehmigung erteilt hat. Dieser Fall wurde von den Verfassern des UNESCO-Übereinkommens nicht berücksichtigt. Das vorliegende Verfahren ist wahrscheinlich das erste, das diese Frage aufwirft und beantwortet. Die Operational Guidelines 2015 zum UNESCO-Übereinkommen enthalten eine Definition der unrechtmäßigen Ausfuhr, die ausdrücklich den Fall der Nichtrückgabe nach einer vorübergehenden Ausfuhr einschließt. Dies lässt unseres Erachtens eine weite Auslegung des UNESCO-Übereinkommens zu.

Die niederländischen Gerichte waren international zuständig, da sich die Ansprüche der Krim-Museen auf die Leihverträge und das beschränkte dingliche Recht der ‚operational management‘ stützten, die in den Anwendungsbereich der Brüssel-I-VO fallen. Für die Ansprüche des ukrainischen Staates gibt es keine klare Grundlage der internationalen Zuständigkeit, wenn er in seiner staatlichen Funktion handelt. Ansprüche iure imperii fallen nicht unter Brüssel I oder Brüssel Ia.

Nachdem das Berufungsgericht festgestellt hatte, dass keine unrechtmäßige Ausfuhr vorlag, musste es entscheiden, ob die vertraglichen und dinglichen Ansprüche der Krim-Museen auf Rückgabe durch ukrainische Gesetze und Verordnungen zur Seite geschoben werden können, darunter die Verordnung Nr. 292, wonach die Krimschätze vorübergehend in einem Museum in Kiew deponiert werden müssen. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass diese Anordnung zumindest als Eingriffsnorm im Sinne von Art. 10:7 BW Anwendung findet. Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts und stimmte der Anwendung des Konzepts der Eingriffsnormen durch das Berufungsgericht zu. Allerdings konnte sich der Oberste Gerichtshof nicht zur Auslegung des UNESCO-Übereinkommens von 1970 äußern.

W. Hau:
Prozessfähigkeit von Auslandsansässigen und Ausländern: geltendes Recht und Reformbedarf 125

Der Beitrag befasst sich mit der Prozessfähigkeit von auslandsansässigen und/oder ausländischen Parteien im deutschen Zivilprozess, und zwar sowohl de lege lata als auch de lege ferenda. Diese Frage kann sich bei Minderjährigen stellen sowie bei Erwachsenen, die unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt oder unter einem vergleichbaren Schutzregime nach ausländischem Recht stehen. Besonderes Augenmerk gilt der Bestimmung des auf die Prozessfähigkeit anwendbaren Rechts sowie der Relevanz in- oder ausländischer Schutzmaßnahmen.

 

Entscheidungsrezensionen

S. Schwemmer:
Internationale Zuständigkeit für Cum-Ex-Haftungsklagen gegen Drittstaatsgesellschaften: Divergenzen zwischen EuGVVO und autonomem Zuständigkeitsrecht? 130

Im Kontext einer Schadensersatzklage von Anlegern eines Cum-Ex-Fonds gegen eine australische Bank hatte sich der BGH mit Fragen der Anwendung der Brüssel Ia-Verordnung auf Drittstaatsunternehmen zu befassen. Das Gericht fand nicht nur eine überzeugende Definition des Begriffs der Hauptniederlassung (Art. 63 Abs. 1 c) Brüssel Ia-VO), sondern beschäftigte sich auch mit Fragen der Beweislastverteilung. Eine Kernfrage des Falles bleibt jedoch offen: Wie ist das Verhalten von Dritten, insbesondere von leitenden Angestellten, bei der Bestimmung des Handlungsortes im Sinne von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu berücksichtigen?

M. Fehrenbach:
Im Dickicht der Niederlassungsbegriffe: Die Hauptniederlassung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 EuInsVO 2017 134

Der Bundesgerichtshof hat dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, ob der Begriff der Hauptniederlassung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 EuInsVO 2017 den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Dies wäre der Fall, wenn die Hauptniederlassung als besondere Niederlassung im Sinne des Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2017 zu begreifen wäre. Der Beitrag legt dar, dass einerseits die Hauptniederlassung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 EuInsVO 2017 anders konzipiert ist als die Niederlassung im Sinne des Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2017 und sich andererseits die Merkmale des Einsatzes von Personal und Vermögenswerten auch nicht aus einer prinzipiell angestrebten Auslegungskohärenz insbesondere zu Art. 63 Abs. 1 lit. c EuGVVO ergeben.

M. Lieberknecht:
Zuständigkeit kraft perpetuatio fori unter der EuInsVO 2017 140

In der vorliegenden Entscheidung äußert sich der Bundesgerichtshof zur Figur der perpe-tuatio fori im Internationalen Insolvenzrecht. Wird der Insolvenzantrag in dem Mitglied-staat gestellt, dessen Gerichte nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO international zuständig sind, ist es hiernach unschädlich, wenn der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt (COMI) zu einem späteren Zeitpunkt in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Die Entscheidung entspricht der jüngsten EuGH-Rechtsprechung in der Rs. Galapagos und führt dementsprechend den be-reits unter Geltung der EuInsVO 2000 entwickelten Ansatz zur perpetuatio fori fort. Der Bundesgerichtshof stellt in seiner Entscheidung außerdem klar, dass es für die internationa-le Zuständigkeit kraft perpetuatio fori ohne Bedeutung ist, wenn der Insolvenzantrag im Ausgangspunkt bei einem Gericht gestellt worden ist, dem nach dem jeweiligen nationalen Recht die örtliche Zuständigkeit fehlt.

Rezensierte Entscheidungen
(s. Seite III) 145

Blick in das Ausland

D. Martiny:
Schiedsvereinbarungen über die Beendigung eines Alleinvertriebsvertrages in Belgien 151

Der belgische Kassationshof hat entschieden, dass Streitigkeiten über die Beendigung von Alleinvertriebsvereinbarungen einem Schiedsverfahren unterworfen werden können (7. April 2023, C.21.0325). Das Gericht folgte der Argumentation des Unamar-Urteils des Europäischen Gerichtshofs von 2013 und wandte sie auf die einschlägigen Bestimmungen von Artikel X 35-40 des belgischen Wirtschaftsgesetzbuchs an. Der Gerichtshof entschied, dass diese Bestimmungen in erster Linie dem Schutz "privater" Interessen dienen. Da sie für die Wahrung grundlegender belgischer öffentlicher Interessen nicht wesentlich sind, können sie nicht als Eingriffsnormen im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Rom-I-Verordnung angesehen werden. Daher hängt die Frage, ob eine Streitigkeit Gegenstand eines Schiedsverfahrens sein kann, nicht davon ab, ob der Schiedsrichter belgisches Recht anwenden wird oder nicht. Es ist auch nicht erforderlich, dass das ausländische Recht dem Händler das gleiche Schutzniveau bietet wie das belgische Recht. Dies bedeutet, dass Streitigkeiten über die Beendigung eines Alleinvertriebsvertrags mit belgischen Vertriebshändlern jetzt schiedsfähig sind und dass Rechtswahlklauseln beachtet werden.

Th. Granier:
Die Strabag- und Slot-Entscheidungen des Pariser Berufungsgerichts: erwartete, aber insgesamt weitreichendere Entscheidungen als in der Rechtssache Achmea 155

In zwei Entscheidungen, die am 19.4.2022 erlassen wurden, hielt das Pariser Berufungsgericht, dass es ausreiche, wenn ein Investitionsschutzabkommen die mögliche Anwendung des Unionsrechts nicht ausdrücklich ausschließe, um die Unvereinbarkeit von Streitbeilegungsklauseln in BITs mit dem Unionsrecht zu begründen. Diese Unvereinbarkeit gelte daher für alle Klauseln dieser Abkommen, die die Anwendung des Unionsrechts durch das Schiedsgericht nicht ausdrücklich ausschließen. Das Berufungsgericht hat sich an Entscheidungen des EuGH in Sachen Achmea, Komstroy und PL Holding gehalten, die für das Berufungsgericht verbindlich sind. Diese Entscheidungen verdeutlichen die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen, die aufgrund von Investitionsverträgen in der Europäischen Union ergangen sind.

E. Schick/S. Noyer:
Eigentumserwerb nach Vertragsstatut? Eine kritische Bestandsaufnahme des geltenden französischen internationalen Sachenrechts im Lichte des Gesetzentwurfs 2022 160

Frankreich ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Im letzten Jahr verkehrten Güter im Wert von 185 Mio € zwischen den beiden Ländern.  Mit diesem Güteraustausch findet täglich eine Vielzahl sachenrechtlicher Vorgänge im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen beiden Ländern statt. Ihre kollisionsrechtliche Behandlung ist nicht europäisch vereinheitlicht, sondern unterliegt nach wie vor allein dem internationalen Sachenrecht der einzelnen Mitgliedstaaten. Vor diesem Hintergrund stellt dieser Beitrag die kollisionsrechtliche Behandlung der Übereignung von Mobilien nach den französischen Kollisionsvorschriften dar. Dabei wird zunächst das (nicht kodifizierte) geltende Recht dargestellt und dabei Bezug auf den aktuell in der Debatte stehenden Gesetzentwurf für ein IPR-Gesetzbuch vom 31.3.2022 genommen. Hierbei stellen sich auch Fragen der Vereinbarkeit der französischen Lösung mit dem europäischen Kollisionsrecht.

Mitteilungen
(s. Seite III) 167

Internationale Abkommen
169

Schriftumshinweise
169

Neueste Informationen
II, V f.

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