Inhalt des Hefts 5/2023 (September 2023)

Aktuelles Heft (zum Probeabo)

Abhandlungen

C. Budzikiewicz/K. Duden/A. Dutta/T. Helms/C. Mayer:
Der Kommissionsvorschlag für eine Europäische Verordnung in Elternschaftssachen: Stellungnahme der Marburg Group 425

Die sog. Marburg Group – eine Gruppe deutscher Kollisionsrechtler – hat sich in einer umfassenden Stellungnahme mit den Regelungen des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme öffentlicher Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines Europäischen Elternschaftszertifikats auseinandergesetzt. Die Gruppe begrüßt die Initiative der Kommission und befürwortet die Gesamtstruktur des Vorschlags. Allerdings hält sie (neben technischen Anpassungen) auch einige grundlegende Änderungen für erforderlich. Die vollständige Stellungnahme der Gruppe mit konkreten Regelungsalternativen kann unter www.marburg-group.de abgerufen werden. Der vorliegende, von den Mitgliedern der Marburg Group verfasste Beitrag konzentriert sich auf die zentralen Kritikpunkte, wobei der aktuelle Stand der (fach-)öffentlichen Diskussionen über den Verordnungsvorschlag bereits einbezogen wird.

U.P. Gruber:
Plädoyer gegen die Anpassung beim gesetzlichen Ehegattenerbrecht 435

Die erbrechtliche und die güterrechtliche Anknüpfung führen häufig zu unterschiedlichen Rechtsordnungen. Nach herrschender Meinung kann dieses unkoordinierte Nebeneinander von Erb- und Güterrechtsstatut Ergebnisse hervorbringen, die von keiner der beiden beteiligten Rechtsordnungen gewollt sind. Es müsse deshalb korrigierend mit einer Anpassung (Angleichung) eingegriffen werden. Dies gelte vor allem mit Blick auf das gesetzliche Ehegattenerbrecht.

Der vorliegende Beitrag vertritt im Anschluss an die erbrechtliche Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB durch den EuGH in der Rs. Mahnkopf eine abweichende Position. Das deutsche Erbrecht differenziere danach, in welchem Güterstand die Ehe geführt worden sei. Gelte deutsches Erbrecht, aber ein ausländisches Güterrecht, sei der vom deutschen Erbrecht vorausgesetzte Güterstand durch einen entsprechenden ausländischen Güterstand zu substituieren. Gelte umgekehrt ausländisches Erbrecht, aber deutsches Güterrecht – und sei die Ehe im Güterstand der Zugewinngemeinschaft geführt worden –, könne der überlebende Ehegatte regelmäßig den konkreten Zugewinnausgleich (§§ 1373 ff. BGB) verlangen. Eine Anpassung (Angleichung) sei in keiner der beiden Konstellationen mehr erforderlich.

Entscheidungsrezensionen

M. Mandl:
Scheinbare und virtuelle Niederlassungen im Spiegel der Art. 7 Nr. 5 EuGVVO und Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO 440

Der BGH hat entschieden, dass ein Rechtsstreit den erforderlichen Zusammenhang mit dem Betrieb einer (bestehenden) Niederlassung i.S.d. Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO aufweist, wenn der Inhaber des Unternehmens einen Internetauftritt unterhält, der den Anschein erweckt, von dieser Niederlassung und nicht von der Hauptniederlassung des Unternehmers betrieben zu werden, und der streitgegenständliche Vertrag über diese Internetpräsenz geschlossen wurde. Diese Entscheidung bietet Gelegenheit, die Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Scheinnie-derlassungen und sog. virtuellen Niederlassungen (Internetauftritten) aus genereller Perspek-tive sowohl im Rahmen von Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO als auch im Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO zu untersuchen

D. Nitschmann:
Die Auswirkungen des Brexits auf den deutsch-britischen Zivilrechtsverkehr 455

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hat weitreichende Konsequenzen für das gesamte internationale Zivilprozessrecht. Dies zeigen die Entscheidungen des OLG Köln beispielhaft für das internationale Zustellungsrecht. Da die europäische Zustellungsverordnung außerhalb der im Austrittsabkommen geregelten Altfälle keine Anwendung mehr findet, führt der Brexit zu einem Rückfall auf das Haager Zustellungsübereinkommen und das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr. Von praktischer Relevanz ist dabei unter anderem die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die unmittelbare Postzustellung weiterhin zulässig ist.

R.A. Schütze:
Die Prozesskostensicherheitsverpflichtung englischer Kläger vor österreichischen Gerichten 459

Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat über eine Befreiung englischer Kläger von der Prozesskautionspflicht nach § 57 öZPO vor österreichischen Gerichten nach dem Brexit entschieden. Das Gericht ist davon ausgegangen, dass das Haager Gerichtsstandsübereinkommen (HGÜ) auch nach dem Vollzug des Brexit im österreichisch-englischen Verhältnis anwendbar ist, da das Vereinigte Königreich am 29.8.2020 wirksam den (Wieder)Beitritt zum HGÜ erklärt hat. Da die Zuständigkeit des angerufenen österreichischen Gerichts auf einer ausschliesslichen Gerichtsstandsvereinbarung beruhte und Kostentitel nach Art. 4 HGÜ nach dem Übereinkommen anerkannt du vollstreckt werden können hat der OGH zu Recht eine Befreiung von der Verpflichtung zur Stellung einer Prozesskostensicherheit nach § 57 Abs. 2 Nr 1a öZPO angenommen.

Th. Garber/C. Rudolf:
Pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klagsführung vor österreichischen Gerichten – Zur internationalen Zuständigkeit und zum anwendbaren Recht für die Erteilung einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung 461

Das österreichische Gericht hat eine gerichtliche Genehmigung der Klagsführung eines Minderjährigen vertreten durch die Eltern verlangt. Die internationale Zuständigkeit für die Erteilung einer solchen Genehmigung bestimmt sich nach der EuEheVO 2005 bzw. seit 1.8.2022 nach der EuEheVO 2022. Das für die Entscheidung über die Klage, deren pflegschaftsgerichtliche Genehmigung begehrt wird, zuständige Gericht besitzt grundsätzlich keine entsprechende Annexkompetenz für die Erteilung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung: die österreichischen Gerichte können im vorliegenden Fall aufgrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit die Klagsführung daher nicht genehmigen. Erteilt ein österreichisches Gericht dem gesetzlichen Vertreter den Auftrag zur Beibringung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung, sind die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Vorliegend besteht keine Genehmigungsbedürftigkeit aufgrund des gemäß Art. 17 KSÜ anzuwendenden deutschen Rechts (§ 1629 Abs. 1 BGB). Das OLG Köln hat dennoch eine Genehmigung gestützt auf die Ausweichklausel gemäß Art. 15 Abs. 2 KSÜ erteilt. Im Ergebnis ist dem OLG Köln zuzustimmen, da die Ausweichklausel zum Schutz des Kinderwohls auch bei einer unrichtigen Anwendung des Rechts zur Lösung des Anpassungsproblems herangezogen werden kann.

M. Fornasier:
Auf der Suche nach den Auslandswirkungen des deutschen Erbscheins – eine Zwischenbilanz zehn Jahre nach Inkrafttreten der EuErbVO 468

Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten der EuErbVO ist noch immer weitgehend ungeklärt, welche Wirkungen der deutsche Erbschein in anderen Mitgliedstaaten der EU entfaltet. Umstritten ist insbesondere, ob der Erbschein eine judizielle Entscheidung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO darstellt, die im Ausland nach Art. 39 EuErbVO anzuerkennen ist. Diese Frage stand vor kurzem auch im Mittelpunkt eines Verfahrens vor dem OLG Köln, doch brauchte sie das Gericht nicht abschließend zu klären, da sie für den Ausgang des Verfahrens nicht entscheidend war. Der Beitrag nimmt den Beschluss des OLG Köln zum Anlass, eine Zwischenbilanz in der Kontroverse um die Auslandswirkungen des Erbscheins zu ziehen. Dabei wird insbesondere untersucht, welche Lehren die bisherige Judikatur des EuGH zu den notariellen Erbnachweisen mancher Mitgliedstaaten für die Frage der Wirkungserstreckung des deutschen Erbscheins ins Ausland bereithält. Im praktischen Ergebnis führen die gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheiten bei der Verwendung des Erbscheins in fremden Rechtsordnungen dazu, dass das Europäische Nachlasszeugnis für die Abwicklung grenzüberschreitender Nachlassfälle deutlich besser geeignet ist als der nationale Erbnachweis.

Rezensierte Entscheidungen

34
BGH 16.3.2021 X ZR 9/20

Scheinbare und virtuelle Niederlassungen im Spiegel der Art. 7 Nr. 5 EuGVVO und Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO [M. Mandl, S. 440]   475

 

35
OLG Köln 2.3.2023 18 U 188/21

Die Auswirkungen des Brexits auf den deutsch-britischen Zivilrechtsverkehr [D. Nitschmann, S. 455]   477, 483

36
OLG Köln EuGVVO Art. 17, Abs. 1, 18 Abs. 1, 19 Nr. 2, 24 Nr. 2

Auswirkungen des Brexits auf den deutsch-britischen Zivilrechtsverkehr [D. Nitschmann, S. 455]   477, 483

37
OGH 29.3.2022 4 Ob 30/22y

Die Prozesskostensicherheitsverpflichtung englischer Kläger vor österreichischen Gerichten [R.A. Schütze, S.  459]       488

38
OLG Köln 23.3.2021 21 UF 8/21

Pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klagsführung vorösterreichischen Gerichten – Zur internationalen Zuständigkeit und zum anwendbaren Recht für die Erteilung einer pflegschafts-gerichtlichen Genehmigung [Th. Garber/C. Rudolf, S. 461]      490

39
OLG Köln 2.3.2022 2 Wx 13/22

Auf der Suche nach den Auslandswirkungen des deutschenErbscheins – eine Zwischenbilanz zehn Jahre nach Inkrafttretender EuErbVO [M. Fornasier, S. 468]      491

Blick in das Ausland

E. Vassilakakis/A. Vezyrtzi:
Innovationen in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit – Ein neues Gesetz über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Griechenland 493

Am 4.2.2023 trat in Griechenland ein neues Gesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit in Kraft. Das neue und schiedsfreundliche Regime beschränkt sich nicht nur auf eine bloße Anpassung des überarbeiteten Modellgesetzes, sondern berücksichtigt auch einige der neuesten Trends in der Theorie und Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Ziel dieses Artikels ist es, alle Neuerungen kurz vorzustellen, insbesondere a) die neue Kollisionsnorm „in favorem validatitis“ und „arbitrandi“ über das auf die Schiedsvereinbarung anzuwendende Recht, b) die materielle Regelung, nach der ein Konkurs- oder Insolvenzverfahren keinen Einfluss auf das Schiedsverfahren hat, c) der bahnbrechende Mechanismus zur Verbindung und Konsolidierung von Schiedsverfahren, d) die gut strukturierte Bestimmung über die Befugnis des Schiedsgerichts, einstweilige Maßnahmen anzuordnen, e) die Einführung interessanter Regelungen bezüglich der Dokumentenerstellung und der Beweisaufnahme, f) die innovativen Lösungen in Bezug auf die Gründe für die Aufhebung eines Schiedsspruchs.

 

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