Heft 5/2018 (September 2018)

Abhandlungen

S.H. Elsing/A. Shchavelev:
Die neue DIS-Schiedsgerichtsordnung 2018 461

Am 1.3.2018 ist die neue Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) in Kraft getreten. Der Reformprozess dauerte beinahe zwei Jahre und führte zu einer umfassenden Überarbeitung der seit 1998 geltenden Schiedsgerichtsordnung. Die neue DIS-Schiedsgerichtsordnung kombiniert die bewährten Elemente des alten Regelwerks mit lang erwarteten Neuerungen. Sie wird der DIS und dem Schiedsstandort Deutschland insgesamt helfen, mit den Entwicklungen und Veränderungen in der nationalen und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit mitzuhalten. Hervorzuheben ist, dass die neue DIS-Schiedsgerichtsordnung zwei authentische Versionen hat: eine deutsche und eine englische. Zu den wesentlichen Änderungen zählen: (1) ein Maßnahmenbündel zur Steigerung der Verfahrenseffizienz und Förderung einvernehmlicher Streitbeilegung; (2) die Gründung des DIS Rates für Schiedsgerichtsbarkeit, eines neuen DIS-Gremiums, das von nun an unter anderem über Ablehnungsgesuche gegen Schiedsrichter, die Schiedsrichterhonorare und den Streitwert entscheiden wird; sowie (3) die Einführung umfangreicher Regelungen für Verfahrensverbindung, Mehrvertrags- und Mehrparteienverfahren und die Einbeziehung zusätzlicher Parteien. Die DIS wird außerdem deutlich stärker in die Administrierung des Schiedsverfahrens nach Konstituierung des Schiedsgerichts eingebunden sein. Diese Änderungen werden die neue DIS-Schiedsgerichtsordnung zugänglicher und dadurch attraktiver für ausländische Nutzer machen und der DIS helfen, sich besser über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinaus als eine echte internationale Schiedsinstitution zu etablieren.

E. Jayme:
Kritische Betrachtungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe 473

Der vom Freistaat Bayern am 5.6.2018 eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe zeigt deutliche Schwächen. Nicht gesehen ist zunächst, dass ein Staatsvertrag mit Marokko über die soziale Sicherheit die Wirksamkeit der Mehrehe im Bereich der Witwenrenten voraussetzt, wie überhaupt das Sozialrecht (§ 34 Abs. 2 SGB I) in dem Entwurf zwar erwähnt, aber nicht näher konkretisiert wird. Hinzu treten vielen Unklarheiten (etwa die nicht näher begründete Berücksichtigung der Lebenspartnerschaft). Ferner geht die schematische Bevorzugung der Erstehe an den Interessen der Beteiligten vorbei. Allgemein gesehen reicht der Vorbehalt des ordre public (Art. 6 EGBGB) aus. Insgesamt erscheint ein solches Gesetz überflüssig.

Entscheidungsrezensionen

A. Wolf:
Die Zuständigkeit deutscher Gerichte beim Kartellinnenregress (OLG Hamm, S. 501) 475

Der Beschluss des OLG Hamm vom 1.12.2016 (32 SA 43/16) betrifft ein Gerichtstandbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO im Zusammenhang mit dem „Schienenkartell“. Das OLG Hamm entschied über die internationale, örtliche und sachliche Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage eines Kartellmitglieds gegen weitere Kartellbeteiligte aus Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten. Die Klage ist auf Freistellung beim Gesamtschuldnerinnenausgleich gerichtet, weil die Kartellmitglieder von einem Geschädigten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz verklagt wurden. Das OLG Hamm wandte Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auf den Kartellinnenregress hinsichtlich der Kartellmitglieder aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten an. Bezüglich der in Deutschland ansässigen Beklagten traf es eine Gerichtstandbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Hierbei musste es sich mit den sachlichen Sonderzuständigkeiten deutscher Kartellgerichte auseinandersetzen. Ferner interpretierte es den Deliktsgerichtstand des § 32 ZPO im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „CDC“ (C-352/13). Die Entscheidung ist sowohl vor dem kartelldeliktsrechtlichen Hintergrund als auch wegen des Zusammenspiels von unionsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO mit nationalen Verfahrensvorschriften von Bedeutung.

W. Wurmnest/M. Gömann:
Die Konturierung des Lauterkeits- und Markenkollisionsrechts durch „Buddy-Bots“ (BGH, S. 509) 480

Der Beitrag beleuchtet die Anwendung von Art. 6 und 8 Rom II-VO durch den BGH in Bezug auf die Ermittlung des anwendbaren Lauterkeits- und Markenrechts zur Beurteilung der Zulässigkeit des Vertriebs von Hilfssoftware für das Online-Computerrollenspiel „World of Warcraft“ durch einen Wettbewerber des Computerspielanbieters. Während dem Bundesgerichtshof im Bereich des Lauterkeitskollisionsrechts hinsichtlich der engen Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO beizupflichten ist, da andernfalls das Marktortprinzip des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO unterlaufen würde, ist bei der Übertragung von tradierten Auslegungsmaximen des deutschen Rechts auf europäische Kollisionsnormen wegen des Prinzips europäisch-autonomer Auslegung Vorsicht geboten.

Die Ermittlung des anwendbaren Markenrechts kann nicht stets allein auf Grundlage von Art. 102 Abs. 2 GMV/UMV erfolgen. Bei Fällen mit Drittstaatsbezug ist nämlich zunächst auf Grundlage von Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO zu prüfen, ob überhaupt das europäische Verordnungsrecht oder aber das Recht eines Drittstaats zu Anwendung gelangt. Die umstrittene Frage, wie der markenkollisionsrechtliche Verletzungsort des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO in Multi-state-Fällen zu bestimmen ist, musste der BGH nicht entscheiden, sondern konnte insoweit an das OLG Hamburg zurückverweisen. Sollte dieses jedoch zu der Einsicht gelangen, dass tatsächlich Schäden im EU-Ausland entstanden sind, sollte eine Vorlage an den EuGH zur Schaffung von unionsweiter Rechtsklarheit erfolgen.

O.L. Knöfel:
Die Rolle der ZentralenBehörden bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Unterhaltstiteln in der Europäischen Union (EuGH, S. 515) 487

Der EuGH hat in der Rechtssache C-283/16 (M.S../.P.S.) entschieden, dass Art. 41 der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUnterhVO) und weitere Bestimmungen des Kapitels IV der EuUnterhVO so zu interpretieren sind, dass Anträge auf Vollstreckung EU-ausländischer Unterhaltstitel direkt bei  der zuständigen Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats eingereicht werden können. Daher können nationale Rechtsvorschriften nicht vorsehen, dass der Antrag zwingend über die Zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats geleitet werden muss. Im konkreten Fall hatten die englischen Begleit- und Ausführungsbestimmungen zur EuUnterhVO vorgesehen, Vollstreckungsanträge über den Lord Chancellor als Zentrale Behörde für England und Wales bzw. über die Reciprocal Enforcement of Maintenance Orders Unit (REMO) zu leiten. Der Beitrag untersucht Konzept und Aufgaben der Zentralen Behörden im Allgemeinen und das Kooperationsrecht der EuUnterhVO im Besonderen, zeigt die Hintergründe der Entscheidung und die Kontroverse in England um delegated enforcement oder direct enforcement auf und arbeitet die Bedeutung des Äquivalenzprinzips für die grenzüberschreitende Unterhaltsvollstreckung heraus.

R.A. Schütze:
Zur cautio iudicatum solvi bei unbestimmtem Verwaltungssitz juristischer Personen (OLG Düsseldorf, S. 518 und BGH, S. 525) 493

§ 110 ZPO verpflichtet Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb der EU oder des EWR auf Verlangen des Beklagten zur Stellung einer Prozesskostensicherheit. Bei Gesellschaften und anderen juristischen Personen wird auf den Sitz abgestellt, wobei die h.L. den Verwaltungssitz für entscheidend hält. Der Bundesgerichtshof und das OLG Düsseldorf haben die Frage der Sitzbestimmung (statutarischer oder Verwaltungssitz) offengelassen. § 110 ZPO gibt dem Beklagten eine prozesshindernde Einrede. Konsequenterweise liegen die Darlegungs- und Beweislast für den Sitz einer klagenden juristischen Person außerhalb der EU oder des EWR beim Beklagten, dem das OLG Düsseldorf aber Erleichterungen zubilligt, soweit der Kläger seine Organisation besser kennt.

L. Kopczyński:
Zu hohe Anforderungen an die Gegenseitigkeit (LG Wiesbaden, S. 527) 495

Gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO werden ausländische Urteile nur dann anerkannt, wenn die Gegenseitigkeit mit dem Urteilsstaat verbürgt ist. Der vorliegende Beitrag bespricht eine Vollstreckungsklage (§§ 722, 723 ZPO) vor dem LG Wiesbaden, in der es um die Vollstreckbarerklärung eines russischen Urteils ging. Das Gericht lehnte die Vollstreckbarerklärung ab, weil es die Anforderungen an eine Verbürgung der Gegenseitigkeit zu hoch setzte.

M. Gebauer:
Analoge Anwendung des § 107 FamFG bei inländischer Privatscheidung unter Beteiligung einer ausländischen Behörde (OLG Nürnberg, S. 528) 497

Das OLG Nürnberg überträgt einen Analogieschluss auf § 107 Abs. 1 FamFG, der von der Rechtsprechung vor Jahrzehnten unter der Geltung einer damals im Wesentlichen gleichlautenden Norm entwickelt worden war. Einer Ehescheidung „im Ausland“ wird rechtsfortbildend eine Ehescheidung im Inland gleichgestellt, wenn an ihr eine ausländische Behörde mitgewirkt hat. Die Berechtigung des Analogieschlusses wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 107 FamFG den insofern lückenhaften Ausdruck „im Ausland“ beibehielt. Selbst wenn dies in Kenntnis des Auslegungsproblems geschehen wäre, würde sich daraus kein Verbot der Rechtsfortbildung für die Zukunft ableiten lassen. Das wäre nur dann der Fall, wenn für die hier interessierende Konstellation die Rechtsfolge des § 107 Abs. 1 FamFG vom Gesetzgeber bewusst abgelehnt worden wäre. Davon aber kann keine Rede sein. Die Beteiligung eines ausländischen Hoheitsträgers legt den Analogieschluss nahe.

K. Siehr:
„Widerrechtliches Zurückhalten“ eines Kindes nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) von 1980 (KG Berlin, S. 529) 498

Art. 3 HKÜ ist eine staatsvertragliche Definition des „widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens“, ohne ihren territorialen Anwendungsbereich zu bestimmen. Der ist daher strikt zu interpretieren und – anders als Art. 2 Nr. 11 EuEheVO – nicht auf die Widerrechtlichkeit nach dem Recht eines Vertragsstaates zu reduzieren. Art. 4 HKÜ bestimmt den Anwendungsbereich des HKÜ und beschränkt ihn u.a. auf Kinder, die unmittelbar vor der Verletzung des Sorgerechts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hatten. Ob sich das Kind nach einem rechtswidrigen Verbringen in verschiedenen Nichtvertragsstaaten aufgehalten hat, ist unerheblich, wenn das Kind anschließend in einen Vertragsstaat gelangt ist, in dem die Rückführung des Kindes verlangt wird.

Rezensierte Entscheidungen

38 OLG Hamm 1.12.2016 32 SA 43/16 Die Zuständigkeit deutscher Gerichte beim Kartellinnenregress [A. Wolf, S. 475] 501
39 BGH 12.1.2017 I ZR 253/14 Die Konturierung des Lauterkeits- und Markenkollisionsrechts durch „Buddy-Bots“ [W. Wurmnest/M. Gömann, S. 480] 509
40 EuGH 9.2.2017 Rs. C-283/16 Die Rolle der Zentralen Behörden bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Unterhaltstiteln in der Europäischen Union [O.L. Knöfel, S. 487] 515
41,42 OLG Düsseldorf, BGH 16. 3.2017, 21.6.2016 I-15 U 67/16, X ZR 41/15 Zur cautio iudicatum solvi bei unbestimmtem Verwaltungssitz juristischer Personen [R.A. Schütze, S. 493] 518, 525
43 LG Wiesbaden 2.3.2017 14 O 3/16 Zu hohe Anforderungen an die Gegenseitigkeit [L. Kopczyski, S. 495] 527
44 OLG Nürnberg 10.5.2016 7 WF 550/16 Analoge Anwendung des § 107 FamFG bei inländischer Privatscheidung unter Beteiligung einer ausländischen Behörde [M. Gebauer, S. 497] 528
45 KG Berlin 24.5.2017 16 UF 50/17 „Widerrechtliches Zurückhalten“ eines Kindes nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) von 1980 [K. Siehr, S. 498] 529
46 OGH 1.3.2017 5 Ob 72/16y Der Schutz der strukturell unterlegenen Partei vor Schiedsverfahren [K. Thorn/M. Nickel, S. 541] 532

Blick in das Ausland

A. Piekenbrock:
Internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen wegen forum shopping im Europäischen Insolvenzrecht 536

Der Beitrag behandelt eine Entscheidung der französischen Cour de cassation über eine Schadensersatzklage im Kontext der Eröffnung englischer administration-Verfahren für alle EU-Gesellschaften der kanadischen Nortel Networks Gruppe einschließlich der französischen Nortel Networks SA im Januar 2009. Darin ist die Chambre sociale zum Ergebnis gekommen, dass für eine Schadensersatzklage eines ehemaligen Arbeitnehmers der französischen Gesellschaft, die auf die angebliche Missbräuchlichkeit der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in England gestützt ist, ausschließlich die englischen Gerichte zuständig sind. Die Entscheidung betont richtig die Bindung an die englische Eröffnungsentscheidung. Die Argumentation erscheint jedoch falsch, soweit die Klage nicht gegen die insolvente Gesellschaft selbst gerichtet ist, sondern gegen eine andere Gesellschaft derselben Gruppe (die britische Nortel Networks UK Limited) und die beteiligten insolvency practitioners (Ernst & Young). Zumindest hätte die Cour de cassation als letztinstanzliches Gericht die Sache nach Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH vorlegen müssen.

K. Lilleholt:
Norwegian Supreme Court: The Law of the Assignor’s Home Country is Applicable to Third-Party Effects of Assignments of Claims (Høyesterett Judgment of 28.6.2017 – Case HR-2017-1297-A) 539
K. Thorn/M. Nickel:
Der Schutz der strukturell unterlegenen Partei vor Schiedsverfahren (OGH, S. 532) 541

In seinem Urteil beschäftigte sich der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) mit der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung, die zwischen einer in New York ansässigen Partei und einem in Wien ansässigen, im Seefrachtgeschäft tätigen Handelsvertreter geschlossen wurde. Das Gericht entschied, dass die Schiedsvereinbarung den materiellen ordre public verletze und infolgedessen unwirksam sei. Zur Begründung führte das Gericht an, dass es im anhängigen Schiedsverfahren zu einem offensichtlichen Verstoß gegen Eingriffsnormen kommen werde. Die Autoren unterstützen das Ergebnis der Entscheidung, kritisieren aber die Argumentation des OGH, die auf wesentliche Elemente des Falles nicht eingeht. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, ob der vom Gericht herangezogene Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters eine Eingriffsnorm darstellt, obwohl die EU-Handelsvertreterrichtlinie auf die Vermittlung von Seefrachtverträgen nicht anwendbar ist. Darüber hinaus werden die dogmatische Grundlage für eine ordre-public-Kontrolle von Schiedsvereinbarungen und die Voraussetzungen eines ordre-public-Verstoßes erörtert. In diesem Zusammenhang sind die Autoren der Auffassung, dass Schiedsvereinbarungen wegen einer Verletzung des materiellen ordre public nur dann für unwirksam erklärt werden können, wenn eine Prognose zeigt, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass das Schiedsgericht anwendbare Eingriffsnormen nicht beachten wird.

Materialien

Mitteilung

E. Jayme/H.-P. Mansel:
Internationales Gesellschafts- und Unternehmensrecht und deutsch-italienische Rechtsvergleichung – Heidelberger Symposium Amicorum zum 80. Geburtstag von Giuseppe Portale 549

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