Heft 5 / 2015 (September 2015)

Abhandlungen

C. Benicke:
Die Anknüpfung der Adoption durch Lebenspartner in Art. 22 Abs. 1 S. 3 EGBGB 393

Der deutsche Gesetzgeber hat 2005 die Stiefkindadoption für Partner einer registrierten Lebenspartnerschaft geöffnet, diese aber bewusst auf die Adoption des leiblichen Kindes des anderen Lebenspartners beschränkt. Aufgrund der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts wurde nun 2014 uneingeschränkte Stiefkindadoption, als auch die Sukzessivadoption zugelassen, bei der der Partner das Kind des anderen Lebenspartners adoptiert, das dieser vorher selbst adoptiert hat. Den weiteren Schritt den Lebenspartnern wie Ehegatten, die gleichzeitige gemeinschaftliche Adoption eines Kindes zu eröffnen, hat der Gesetzgeber allerdings (noch) getan.

Aus Anlass dieser Regelung wurde auch eine besondere Kollisionsnorm für die Adoption durch einen Lebenspartner in Art. 22 Abs. 1 S. 3 EGBGB geschaffen. Anwendbar ist damit nicht mehr das Heimatrecht des Annehmenden, sondern das für die allgemeinen Wirkungen der Lebenspartnerschaft nach Art. 17b Abs. 1 EGBGB maßgebende Recht. Im Unterschied zur Regelung für Ehegatten in S. 2 gilt S. 3 seinem Wortlaut nach nur für die Adoption durch einen Lebenspartner. Diese Vorschrift muss dennoch für die Adoption durch beide Lebenspartner entsprechend angewandt werden. Die Beschränkung beruht nur darauf, dass im internen Recht die gemeinschaftliche Adoption noch nicht eingeführt wurde. Es würde zu einem widersinnigen Ergebnis führen, wenn das Lebenspartnerschaftsstatut auf die Adoption durch einen Lebenspartner anwendbar wäre, nicht aber auf die Adoption durch beide Lebenspartner.

Die uneingeschränkte Zulassung der Stiefkindadoption auch in der Form der Sukzessivadoption führt dazu, dass die Kappungsregel in Art. 17b Abs. 4 EGBGB einer nach ausländischem Recht zugelassenen gemeinsamen Adoption durch beider Lebenspartner nicht mehr entgegenstehen kann. Die Wirkungen des ausländischen Rechts gehen damit sachlich nicht mehr über die des deutschen Rechts hinaus, das nun ebenfalls die gemeinsame Adoption durch beide Lebenspartner zulässt, dafür nur noch verfahrensrechtlich zwei, gegebenenfalls unmittelbar hintereinander geschaltete Adoptionsverfahren verlangt.

Entscheidungsrezensionen

C. Thole:
Die Abgrenzung von EuGVVO und EuInsVO bei Annexklagen des Insolvenzverwalters und das Verhältnis zu Art. 31 CMR (EuGH, S. 417) 396

In der zu besprechenden Entscheidung führt der EuGH seine Judikatur zur Annexzuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO fort. Es zeichnet sich zunehmend ab, dass der EuGH die Abgrenzung daran ausrichten will, ob der geltend gemachte materielle Anspruch seinen Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht hat und ob von allgemeinen Regeln des Zivilrechts abgewichen wird. Das klingt gut, beantwortet aber in Grenzfällen nicht die Frage, ob eine solche Abweichung gegeben ist.

Darüber hinaus will der EuGH nunmehr selbst die Prüfung vornehmen, ob die in Art. 71 EuGVVO genannten besonderen Übereinkommen und konkret die Zuständigkeit nach Art. 31 CMR mit den Grundsätzen der justiziellen Zusammenarbeit im Unionsrecht vereinbar sind. Besser noch wäre es, wenn der Gerichtshof künftig ganz von der Residualprüfung anhand der unbestimmten Grundsätze der EuGVVO absehen würde und den nach dem Wortlaut des Art. 71 Abs. 1 EuGVVO ausgesprochenen Vorrang der besonderen Übereinkommen ohne Vorbehalt akzeptierte.
B. Hess/K. Raffelsieper:
Schuldnerschutz bei fehlender Zustellung eines EU-Mahnbescheids: Regelungslücken der EuMahnVO (AG Wedding, S. 420) 401
Im Europäischen Mahnverfahren sichert die Zustellung des Mahnbescheides das rechtliche Gehör des Schuldners ab. Bei der grenzüberschreitenden Zustellung treten jedoch häufig Probleme auf. In Fällen in denen der Mahnbescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, erweist sich die EuMahnVO als lückenhaft. Legt der Schuldner nicht rechtzeitig Einspruch ein, wird der Zahlungsbefehl für vollstreckbar erklärt. Zeigt sich erst jetzt ein Verfahrensfehler, ist weder der Einspruch nach Art. 16 EuMahnVO noch Art. 20 Abs. 1 EuMahnVO unmittelbar anwendbar. Bei fehlender Kenntnisnahme hat der Schuldner mithin keinen wirksamen Rechtsbehelf gegen den Europäischen Mahnbescheid. Der EuGH schließt in diesem Fall auch eine analoge Anwendung des Art. 20 EuMahnVO aus und verweist die Gerichte zurück in nationales Recht. Dadurch ist die einheitliche Anwendung der EuMahnVO nicht länger gewährleistet. Der Beitrag befasst sich mit dem Urteil des AG Weddings, welches die EuGH-Entscheidung umsetzt.
P. Huber:
Haftung für Kapitalanlageprodukte: Lugano-Übereinkommen und Fragen des internationalen Insolvenzrechts (BGH, S. 423) 403
Der Beitrag bespricht eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Bereich des Kapitalanlegerschutzes. Der Schwerpunkt liegt auf der Begründung der internationalen Zuständigkeit im Rahmen des Lugano II-Übereinkommens. Diskutiert werden insbesondere die Lokalisierung des Erfolgsorts und das Verhältnis zu vertraglichen Gerichtsständen. Der Autor geht dabei auch darauf ein, inwiefern die Entscheidung mit der späteren Kolassa-Entscheidung des EuGH vereinbar ist. Ein zweiter Themenkomplex ist die Frage, wie eine ausländische Insolvenzvorschrift, welche die (deliktische) Forderung eines Gläubigers gegen einen nicht insolventen Mitverpflichteten des insolventen Vertragspartners modifiziert, nach deutschem internationalem Privatrecht zu behandeln ist. Der Autor stimmt der insolvenzrechtlichen Qualifikation des BGH zu.
C. Thole:
Porsche vs. Hedgefonds: Die Anforderungen an die Rechtshängigkeit i.S.d. Art. 32 EuGVVO n.F. (Art. 30 EuGVVO a.F.) (OLG Stuttgart, S. 430) 406
Mit seinem Beschluss hat das OLG Stuttgart der Porsche SE, die derzeit an verschiedenen Fronten Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit der gescheiterten Übernahme von Volkswagen abzuwehren versucht, einen Teilerfolg beschert. Das OLG entschied, dass eine von Porsche gegen einen institutionellen Anleger in Deutschland eingereichte negative Feststellungsklage Vorrang vor der in London erhobenen Leistungsklage habe. Das Verfahren zeigt anschaulich, wie erbittert der Kampf um den Gerichtsstand in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten mitunter gefochten wird. Konkret musste sich das Gericht mit den Anforderungen auseinandersetzen, die an einen Kläger hinsichtlich der zu bewirkenden Zustellung der Klage unter Art. 30 EuGVVO a.F. (Art. 32 EuGVVO n.F.) zu stellen sind. Die Entscheidung überzeugt im Ergebnis und in weiten Teilen der Begründung.
P. Mankowski:
Fehlende Verbürgung der Gegenseitigkeit im Verhältnis zu Liechtenstein (OLG Stuttgart, S. 444) 410
Liechtenstein pflegt bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen ein strenges Gegenseitigkeitserfordernis in österreichischer Tradition. Zwischen Liechtenstein und Deutschland besteht keine Gegenseitigkeit. Deutsche Entscheidungen werden in Liechtenstein nicht anerkannt, ebensowenig umgekehrt liechtensteinische Entscheidungen in Deutschland. In methodischer Hinsicht müssen deutsche Gerichte für jeden einzelnen Staat prüfen, ob im Verhältnis zwischen diesem Staat und Deutschland Gegenseitigkeit besteht. Die beliebten Länderlisten in den Kommentaren zu § 328 ZPO können dabei nur ein Anfang sein und eigene Recherche nicht ersetzen.
L. Klöhn/P. Schwarz:
Das Gesellschaftsstatut der Restgesellschaft (OLG Hamm, S. 446) 412
Die Theorie der Restgesellschaft dient der Bewältigung von Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit der Abwicklung grenzüberschreitend tätiger Gesellschaften auftreten können. In Deutschland ist die Theorie von Bedeutung, wenn eine englische private company limited by shares („Limited“) mit in Deutschland belegenem Vermögen in ihrem Heimatland aus dem Gesellschaftsregister gelöscht wird. In diesem Fall wird die Restgesellschaft Unternehmens- und damit Vermögensträgerin für die in Deutschland belegenen Vermögenswerte, da dieser Teil von den englischen Abwicklungsregelungen nicht erfasst wird. Kern der Diskussion über die Restgesellschaft in Wissenschaft und Rechtsprechung ist die Frage, welches Gesellschaftsstatut insoweit gilt. In dem hier besprochenen Urteil hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden, dass deutsches Recht Anwendung findet. Die Autoren stimmen dieser Entscheidung im Ergebnis zu, erläutern aber – insoweit abweichend vom OLG Hamm –, dass man zu diesem Ergebnis unabhängig davon gelangt, ob man der Sitz- oder der Gründungstheorie folgt. Ferner findet deutsches Recht sowohl Anwendung, wenn die Restgesellschaft werbend tätig ist, als auch dann, wenn sie sich bereits in Liquidation befindet.

Rezensierte Entscheidungen

39 EuGH 4.9.2014 Rs. C-157/13 Die Abgrenzung von EuGVVO und EuInsVO bei Annexklagen des Insolvenzverwalters und das Verhältnis zu Art. 31 CMR [C. Thole, S. 396] 417
40 AG Wedding 22.10.2014 70b C 17/14 Schuldnerschutz bei fehlender Zustellung eines EU-Mahnbescheids: Regelungslücken der EuMahnVO [B. Hess/K. Raffelsieper, S. 401] 420
41 BGH 24.6.2014 VI ZR 347/12 Haftung für Kapitalanlageprodukte: Lugano-Übereinkommen und Fragen des internationalen Insolvenzrechts [P. Huber, S. 403] 423
42 OLG Stuttgart 30.1.2015 5 W 48/13 Porsche vs. Hedgefonds: Die Anforderungen an die Rechtshängigkeit i.S.d. Art. 32 EuGVVO n.F. (Art. 30 EuGVVO a.F.) [C. Thole, S. 406] 430
43 OLG Stuttgart 28.7.2014 5 U 146/12 Fehlende Verbürgung der Gegenseitigkeit im Verhältnis zu Liechtenstein [P. Manskowski, S. 410] 444
44 OLG Hamm 11.4.2014 I-12 U 142/13 Das Gesellschaftsstatut der Restgesellschaft [L. Klöhn/P. Schwarz, S. 412] 446
45, 46 BGH, OGH 21.11.2013, 22.10.2013 IX ZB 44/12, 10 Ob 42/13v Offene und dynamische Geld-Vollstreckungstitel in Österreich [B. König, S. 458] 448

Rechtsprechungsübersicht

47 AG Schwäbisch Hall 13.5.2015 2 F 46/15 1. Für die Aufhebung einer in Deutschland begründeten Lebenspartnerschaft eines brasilianischen und eines italienischen Staatsangehörigen ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus § 103 Abs. 1 FamFG. 2. Die Voraussetzungen und die Wirkungen der Aufhebung richten sich in einem solchen Sachverhalt nach deutschem Recht. 3. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs von Amts wegen entfällt, weil die Voraussetzungen des Art. 17b Abs. 1 S. 3 EGBGB nicht vorliegen. Zwar kennt das brasilianische Recht mit der „beständigen Lebensgemeinschaft“ (união estável) ein der eingetragenen Lebenspartnerschaft vergleichbares Rechtinstitut. Das brasilianische Recht sieht aber den ersorgungsausgleich nicht vor. 4. Das italienische Recht kennt das Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht. Dabei ist Art. 17b Abs. 1 S. 3 EGBGB so zu verstehen, dass das ausländische Heimatrecht des Lebenspartners die eingetragene Lebenspartnerschaft in sein nationales Familienrecht aufgenommen haben muss. Eine kollisionsrechtliche Anerkennung im Ausland begründeter, eingetragener Lebenspartnerschaften würde nicht genügen. Dasitalienische Recht kennt im Übrigen den Versorgungsausgleich nicht. [E.J.] 452

Blick in das Ausland

P. Machnikowski/M. Margonski:
Anerkennung von punitive damages- und actual damages-Urteilen in Polen 453
Die Urteilsanmerkung betrifft den Beschluss des polnischen Obersten Gerichts vom 11.10.2013 zur Vollstreckbarerklärung von US-amerikanischen punitive damages- und actual damages-Urteilen. Bei den punitive damages, welche in sich ordre public-widrig sind, wurde die Vollstreckbarerklärung grundsätzlich ausgeschlossen. Im polnischen Zivilrecht gelten die Grundsätze des Schadensausgleichs und -kompenstation. Der Schaden ist so auszugleichen, als wenn das schadensbegründende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Verletzte soll durch den Schadensersatz nicht bereichert werden. Das polnische Schadensersatzrecht kennt Ausnahmen von diesem Grundsatz, welche Ersatzleistungen vorsehen, die an den erlittenen Schaden nicht direkt anknüpfen. Diese Ausnahmen sind unter dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerechtfertigt. Die punitive damages erfüllen diese Voraussetzungen nicht, sofern sie eine pönale Funktion inne haben. Sie können nur hinsichtlich ihrer kompensativen Funktion anerkannt (vollstreckt) werden und nur soweit sie an den tatsächlichen Schaden anknüpfen. Bei den actual damages entstehen solche Konflikte mit dem polnischen ordre public schon durch die Natur des Rechtsinstituts nicht. Der erwähnte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann nur zu einer Teilvollstreckbarerklärung von US-amerikanischen actual damages-Urteilen führen. Entscheidend ist der Inlandsbezug des Falles. Die Entscheidung des Obersten Gerichts betrifft die allgemeine Frage nach der Teilvollstreckbarerklärung, welche bei teilbaren Leistungen zugelassen wurde. Trotz einiger Kritik an Detailaspekten der Begründung, wird in der Anmerkung die Entscheidung des Obersten Gerichts positiv bewertet.
B. König:
Offene und dynamische Geld-Vollstreckungstitel in Österreich (BGH, S. 448 und österr. OGH, S. 450) 458
Entscheidungen, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, sind auch in anderen Mitgliedstaaten zu vollstrecken. Schwierigkeiten könnten sich dann ergeben, wenn der Ursprungsmitgliedstaat auch Entscheidungen zulässt, in denen der geschuldete Geldbetrag nicht bestimmt angegeben werden muss, und solche Entscheidungen in einem Mitgliedstaat vollstreckt werden sollen, der die Bestimmtheit von Exekutionstiteln verlangt. Dieser Beitrag zeigt auf, ob und in welchem Ausmaß andere Mitgliedstaaten mit österreichischen Geldtiteln, in denen eine bestimmte Festsetzung des zu zahlenden Betrags fehlt, zu rechnen haben.
M. Gómez Jene/C. Thomale:ht:
Schiedsrichterhaftung in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit 462
Aktuelle spanische Judikate werfen Fragen nach den Voraussetzungen und der Reichweite der Schiedsrichterhaftung auf. Die Verfasser plädieren für eine Differenzierung zwischen der judikativen und der verfahrens- bzw. prozessführenden Tätigkeit des Schiedsrichters: Nur für seine judikative Tätigkeit ist eine Haftungsprivilegierung angebracht, nicht hingegen für die schlichte Prozessführung als solche.
J. Samtleben:
Das neue IPR-Gesetzbuch Panamas – Ein Kaleidoskop des Kollisionsrechts 465
Panama ist ein wichtiges Bankenzentrum und Sitz vieler international tätiger Gesellschaften. Deshalb ist die Regelung der privatrechtlichen Rechtsbeziehungen im internationalen Kontext hier von besonderer Bedeutung. Das Internationale Privatrecht war in Panama bisher in einzelnen Vorschriften des Zivilgesetzbuchs und des Familiengesetzbuchs sowie in einigen Spezialgesetzen geregelt. An ihre Stelle ist jetzt das Gesetz Nr. 7 von 2014 getreten, das in 184 Artikeln eine umfangreiche Regelung des Internationale Privat- und Verfahrensrechts enthält. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über den Inhalt des Gesetzes. Dabei zeigt sich, dass das Gesetz erhebliche Mängel aufweist, die auf einer ungenügenden Koordination der einzelnen Teile und einer wenig sorgfältigen Redaktion des Gesetzestextes beruhen. Auch in Panama wird deshalb eine Reform des Gesetzes gefordert.

Mitteilungen

E. Jayme/S. Seeger:
Tod und Recht: Die Patientenverfügung im Spiegel des Internationalen Privatrechts und der Rechtsvergleichung – Tagung an der Universität Bergamo 481

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