Heft 4/2014 (Juli 2014)

Abhandlungen

M. Hocke:
Der Anknüpfungsgegenstand von Art. 12 Rom II-VO 305
Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Anwendungsbereich von Art. 12 Rom II-VO. Gemäß ErwGrd (30) Rom II-VO erfasst Art. 12 Rom II-VO keine Personenschäden, sondern Verletzungen von Offenlegungspflichten und den Abbruch von Vertragsverhandlungen. Das Anliegen des Artikels ist, dass die gegenwärtige Auslegung, nach welcher Art. 12 Rom II-VO das spezifische Transaktionsinteresse erfasst, zu unbestimmt ist. Stattdessen nimmt der Artikel eine präzise Qualifikation der culpa in contrahendo mit Hilfe der Rechtsvergleichung vor. Die Qualifikation konzentriert sich auf die enttäuschte Erwartung als Bedingung für geltend gemachte Ansprüche.

Entscheidungsrezensionen

S. Mock:
Verschuldete und unverschuldete Fristversäumnis im Europäischen Mahnverfahren (EuGH, S. 340) 309
F. Koechel:
§ 23 ZPO als genereller Klägergerichtsstand? (BGH, S. 341) 312
Anlässlich der Haftungsklage eines geschädigten Anlegers gegen eine Ratingagentur schließt sich der III. Zivilsenat vordergründig der viel kritisierten Rechtsprechung des XI. Zivilsenats seit 1991 an: Bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit gemäß § 23 S. 1 Alt. 1 ZPO sei einschränkend ein „hinreichender Inlandsbezug des Rechtsstreits” zu fordern. Dieser sei mit dem inländischen Klägerwohnsitz gegeben. Dabei verpasst er die Gelegenheit zur dringend gebotenen Fallgruppenbildung in einer immer unklareren und unübersichtlicheren Einzelfallrechtsprechung.In einer (widersprüchlichen) Überbetonung des historisch-teleologischen Arguments des Inländerschutzes, wird § 23 ZPO so zum deutschen Klägergerichtsstand. Nicht zuletzt wegen unionsrechtlicher Bedenken kann die ursprüngliche Suche des XI. Zivilsenats nach einem tatbestandlichen Einschränkung des exorbitanten § 23 S. 1 Alt. 1 ZPO nicht beim inländischen Klägerwohnsitz enden.
C.F. Nordmeier:
Französisches Abstammungsfeststellungsverfahren und deutsche Pflichtteilsklage: Nachlassspaltung und Verfahrenskoordination nach § 148 ZPO (OLG Koblenz, S. 343) 317
Pflichtbeteiligungen am Nachlass hängen nach deutschem wie nach französischem Recht von der Zahl der Abkömmlinge des Erblassers ab. Der vorliegende Beitrag behandelt einen deutsch-französischen Erbfall, in dem die Abstammung eines Abkömmlings zweifelhaft ist. Materiellrechtlich wird die Berechnung der Pflichtbeteiligungen bei Spaltnachlässen erörtert. Eine Zuwendung aus einem Spaltnachlass ist bei der Berechnung der Pflichtbeteiligung im anderen Spaltnachlass zu berücksichtigen, wenn deren Sinn und Zweck es erfordern. In prozessualer Hinsicht wird die Koordination einer deutschen Pflichtteilsklage mit einem französischen Abstammungsfeststellungsverfahren erörtert. Das deutsche Verfahren kann gemäß § 148 ZPO nach einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls anhand der von der Norm verfolgten Regelungszwecke ausgesetzt werden. Ergebnisse eines ausländischen Beweissicherungsverfahrens sind nach § 493 Abs. 1 ZPO bei Substituierbarkeit des deutschen selbständigen Beweisverfahrens durch das ausländische Verfahren im deutschen Prozess verwertbar.
H. Dörner:
Zur Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB – eine verpasste Gelegenheit (BGH, S. 343) 323
Ob § 1371 Abs. 1 BGB zur Anwendung kommen kann, wenn der verstorbene Ehegatte nach ausländischem Recht beerbt wird, ist immer noch umstritten. Der Bundesgerichtshof hat dazu in seiner Entscheidung vom 12.9.2012 keine Stellung nehmen müssen. Der nachfolgende Beitrag skizziert den Stand der Rechtsprechung und gibt einen Ausblick auf die zukünftige Rechtslage nach Inkrafttreten der Europäischen Erbverordnung.
M. Andrae:
Nachehelicher Unterhalt bezogen auf eine gescheiterte deutsch-schweizerische Ehe (BGH, S. 345) 326

1. Der zeitliche Anwendungsbereich des HUP in den gebundenen Mitgliedstaaten ergibt sich sowohl aus Art 5 Beschluss des Rates vom 30.11. 2009 als auch aus Art 22 HUP. Das Verhältnis des HUP zum HUÜ 1973 regelt sich mit Inkrafttreten des HUP als Übereinkommen nach Art 18 HUP. Dem HUÜ 1973 kommt der Vorrang zumindest dann zu, wenn dessen Kollisionsnormen zu dem Recht eines am HUP nicht teilnehmenden Vertragsstaates des HUÜ 1973 führen.

2. Bis zu welchem Verfahrenszeitpunkt sich eine Partei gegen die Anwendung des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten wenden muss, damit die Ausweichklausel, geregelt in Art 5 HUP, vom Gericht geprüft wird, bestimmt sich nach der lex fori. Die Lösung unter Zugrundelegung des § 115 FamFG führt dazu, dass die Einrede regelmäßig bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren erhoben werden kann. Eine Hinweispflicht des Gerichts nach § 139 ZPO kann sich nur auf die Anwendbarkeit des HUP in der Streitfrage, nicht jedoch auf die Einredemöglichkeit nach Art 5 HUP beziehen

3. Eine vorsorgliche Unterhaltsvereinbarung, einschließlich eines gegenseitigen Unterhaltsverzichts für den Fall einer Scheidung unterliegt dem auf den nachehelichen Unterhalt anwendbaren Recht. Die dadurch hervorgerufene Rechtsunsicherheit kann durch eine begleitende Rechtswahl beseitigt werden. Für den Unterhaltsverzicht ist dann die Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 4 HUP zu beachten.

4. Die Bestimmung des angemessenen Lebensbedarf i.S.v. § 1578 b BGB in Fällen, in denen der unterhaltsberechtigte Partner im Zusammenhang mit der Eheschließung nach Deutschland übersiedelte, hat den Anforderungen des Art 14 HUP zu genügen.

5. Eine Vereinbarung in einem Ehevertrag, die an Art 164 schw. ZGB orientiert ist, ist als unterhaltsrechtlich zu qualifizieren.
T. Helms:
Konkludente Wahl des auf die Ehescheidung anwendbaren Rechts? (OLG Hamm, S. 349) 334
Der Entscheidung des OLG Hamm vom 7.5.2013 kann nicht zugestimmt werden. Überaus zweifelhaft ist bereits, ob eine konkludente Wahl des auf die Scheidung anwendbaren Rechts nach Art. 5 Abs. 1 Rom III-VO überhaupt zulässig ist. Auf jeden Fall aber müssen an eine stillschweigende Wahl des Scheidungsstatuts strenge Anforderungen gestellt werden, das gilt umso mehr, wenn diese nach Art. 18 Abs. 1 S. 2 Rom III-VO vor dem Geltungsbeginn der Rom III-VO getroffen worden sein soll. Die bloße Tatsache, dass eine Heiratsurkunde von zwei iranischen Ehegatten nach iranischem Recht eine Vereinbarung darüber enthält, unter welchen Bedingungen die Ehefrau die Initiative für eine Scheidung ergreifen kann, ist – entgegen der Auffassung des OLG Hamm – sicherlich kein ausreichender Anhaltspunkt für eine konkludente Rechtswahl.
M.-P. Weller/A. Schulz:
Die Anwendung des § 64 GmbHG auf Auslandsgesellschaften (OLG Jena, S. 357) 336
Der Beitrag behandelt die Qualifikation des § 64 GmbHG, demzufolge Geschäftsführer Zahlungen an einzelnen Gläubiger zu erstatten haben, sofern sie diese nach Insolvenzreife vornehmen. Dabei soll die These zu begründen versucht werden, dass § 64 GmbHG als Bestandteil der lex concurusus anzusehen ist. Die Norm findet dementsprechend über Art. 4 EuInsVO auf Auslandsgesellschaften Anwendung, die ihren Interessenmittelpunkt in Deutschland haben. In einem zweiten Schritt wird dargelegt, dass die Anwendung des § 64 GmbHG auf Auslandsgesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) vereinbar ist.

Rezensierte Entscheidungen

25 EuGH 21.3.2013 Rs. C-324/12 Verschuldete und unverschuldete Fristversäumnis im Europäischen Mahnverfahren [S. Mock, S. 309] 340
26 BGH 13.12.2012 III ZR 282/11 § 23 ZPO als genereller Klägergerichtsstand? [F. Koechel, S. 312] 341
27 OLG Koblenz 2.4.2013 3 W 188/13 Französisches Abstammungsfeststellungsverfahren und deutsche Pflichtteilsklage: Nachlassspaltung und Verfahrenskoordination nach § 148 ZPO [C.F. Nordmeier, S. 317] 343
28 BGH 12.9.2012 IV ZB 12/12 Zur Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB – eine verpasste Gelegenheit [H. Dörner, S. 323] 343
29 BGH 26.6.2013 XII ZR 133/11 Nachehelicher Unterhalt bezogen auf eine gescheiterte deutsch-schweizerische Ehe [M. Andrae, S. 326] 345
30 OLG Hamm 7.5.2013 II-3 UF 267/12 Konkludente Wahl des auf die Ehescheidung anwendbaren Rechts? [T. Helms, S. 334] 349
31 OLG Jena 17.7.2013 2 U 815/12 Die Anwendung des § 64 GmbHG auf Auslandsgesellschaften [M.-P. Weller/A. Schulz, S. 336] 357
32 OHG 28.11.2012 4 Ob 202/12b Erneut: Marktanknüpfung und Herkunftslandprinzip im E-Commerce [T. Pfeiffer, S. 360] 358

Blick in das Ausland

T. Pfeiffer:
Erneut: Marktanknüpfung und Herkunftslandprinzip im E-Commerce (OGH, S. 358) 360
Die Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 28.11.2012 erweist erneut die Schwierigkeiten des komplexen Zusammenspiels von E-Commerce-Richtlinie und Rom II-VO; sie muss vor dem Hintergrund der eDate Advertising-Entscheidung des OGH, aber auch mit Blick auf andere Rechtsquellen des europäischen Kollisionsrechts betrachtet werden: Während das Herkunftslandprinzip nach der Richtlinie autonomes mitgliedstaatliches Kollisionsrecht nicht ausschließt, dürfen solche mitgliedstaatlichen Regeln nur angewandt werden, soweit sie nicht mit anderen Rechtsquellen des europäischen Kollisionsrechts in Widerspruch stehen. § 20 des österreichischen ECG ist, soweit die Vorschrift kollisionsrechtlich gedeutet wird oder wurde, mit dieser Maßgabe nicht vereinbar. Im Gegensatz zur vorliegenden Entscheidung erkennt dies die neueste Rechtsprechung des 4. Senats des OGH auch ausdrücklich an. Deshalb ist die anwendbare Kollisionsrechtsregel für Internetwerbung dem Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zu entnehmen. Bei der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung von Werbung ist diese Vorschrift im Sinne einer Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem die Werbung auf den Empfänger einwirkt, nicht aber als Anknüpfung an den Absatzmarkt zu deuten. Falls eine Werbung in mehr als einem Staat Einwirkungen entfaltet, besteht ein sachliches Bedürfnis zur Begrenzung im Hinblick auf Staaten, in denen diese Einwirkung nicht spürbar ist; es ist allerdings zweifelhaft, ob Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO für eine solchermaßen einschränkende Auslegung offen ist. Die Gerichte des Ursprungslandes (Österreich) müssen zusätzlich aber die Anforderungen des eigenen Rechts anwenden (Art. 3 Abs. 1 E-Commerce-RL). Das gilt aber nur, soweit es sich bei dem Zielland auch um einen EU-Mitgliedstaat handelt, ohne dass allerdings insoweit ein acte clair vorläge.
M. Metz:
Die aktuelle Einschränkung der US-amerikanischen Gerichtszuständigkeit durch den Supreme Court 365
Nachdem der US Supreme Court 25 Jahre zur territorialen Zuständigkeit geschwiegen hatte, setzte er sich in den Jahren 2011 bis 2014 in gleich vier Entscheidungen mit dieser auseinander. Im Ergebnis haben die Entscheidungen die herkömmlich weite Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte eingeschränkt. Mit der Goodyear- und Daimler-Entscheidung beschränkte das Gericht den allgemeinen Gerichtsstand von Unternehmen. Damit ein allgemeiner Gerichtsstand besteht, muss ein Unternehmen im Forum „im Wesentlichen beheimatet“ sein. Die McIntyre-Entscheidung grenzt den besonderen Gerichtsstand der Produkthaftung ein, während die Walden-Entscheidung den besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung begrenzt. In beiden Fällen reicht für die Zuständigkeit nicht aus, dass sich das schädigende Ereignis im Forum ereignet hat. Ausschlaggebend ist, dass der Beklagte durch sein Verhalten zielgerichtete Kontakte zum Forum hergestellt hat. Unter Einbeziehung aller vier Entscheidungen ist zu beobachten, dass der US Supreme Court sich bei der Zuständigkeitsbegründung nun wieder verstärkt dem territorialen Denken zu- und von Fairnesserwägungen abwendet.
H. Krüger/W. Saad:
Internationales Privatrecht des Sultanats Oman 370
Das Sultanat Oman ist der vorletzte unter den kleinen Staaten auf der Arabischen Halbinsel (nur Bahrain fehlt noch), in dem das Kollisionsrecht gesetzlich geregelt worden ist. Die omanischen kollisionsrechtlichen Normen sind enthalten in dem Einleitenden Kapitel des Zivilgesetzbuchs (Gesetz Nr. 29/2013). Das Gesetz ist am 12.8.2013 in Kraft getreten. Es beruht im Wesentlichen auf den Vorbildern in Ägypten, Jordanien und den VAE. Abweichungen sind selten.

Materialien

Internationales Privatrecht des Sultanats Oman
Gesetzestext 373

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