Heft 5/2023 (September 2023)

Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO und Drittstaatenaufenthalt 

EuGH 17.7.2023 – C-55/23 – PA

1. Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO ist dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Regelung zur subsidiären Zuständigkeit nur anzuwenden ist, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes in einem nicht durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat hatte.

2. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 267 AEUV, ist dahin auszulegen, dass es dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, das nach Aufhebung seiner Entscheidung durch ein übergeordnetes Gericht erneut entscheidet, nach dem nationalen Verfahrensrecht an die rechtliche Beurteilung dieses übergeordneten Gerichts gebunden ist, wenn diese Beurteilung nicht mit dem Unionsrecht in der Auslegung des Gerichtshofs vereinbar ist.

Art. 10, 15 EuEheVO 2003: Verweisung an das mitgliedstaatliche Verbringungsgericht

EuGH 13.7.2023 – C-87/22 – TT ./. AK

1. Art. 15 EuEheVO 2003 ist dahin auszulegen, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, das nach Art. 10 EuEheVO 2003 in der Hauptsache für die Entscheidung einer Frage der elterlichen Verantwortung zuständig ist, in Ausnahmefällen die in Art. 15 Abs. 1 Buchst. b EuEheVO 2003 vorgesehene Verweisung an ein Gericht des Mitgliedstaats beantragen kann, in den das Kind von einem Elternteil widerrechtlich verbracht wurde.

2. Art. 15 Abs. 1 EuEheVO 2003 ist dahin auszulegen, dass die Möglichkeit des in Fragen der elterlichen Verantwortung für die Entscheidung in der Hauptsache zuständigen Gerichts eines Mitgliedstaats, die Verweisung dieses Falls an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats zu beantragen, ausschließlich den in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Voraussetzungen unterliegt. Bei der Prüfung derjenigen dieser Voraussetzungen, die den Umstand, dass es in dem anderen Mitgliedstaat ein Gericht gibt, das den Fall besser beurteilen kann, und das Wohl des Kindes betreffen, muss das Gericht des ersten Mitgliedstaats berücksichtigen, ob gem. Art. 8 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 3 lit. f HKÜ ein Verfahren zur Rückgabe dieses Kindes anhängig ist, das in dem Mitgliedstaat, in den das Kind von einem Elternteil widerrechtlich verbracht wurde, noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.

Art. 3 I lit. a EuEheVO: Beweis und Fristbeginn

EuGH 6.7.2023 – C-462/22 – BM ./. LO

Art. 3 Abs. 1 lit. a 6. Gedankenstrich EuEheVO 2003 ist dahin auszulegen, dass er die Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats für die Entscheidung über einen Antrag auf Auflösung der Ehe davon abhängig macht, dass der Antragsteller, der Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats ist, den Nachweis erbringt, dass er seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor Einreichung seines Antrags einen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat erlangt hat.

Art. 33 EuGVVO 2001: Anerkennung und Konzentrationswirkung

EuGH 8.6.2023 – C-567/21 – BNP Paribas SA ./. TR

Art. 33 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass die Anerkennung einer Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat zu einem Arbeitsvertrag ergangen ist, im Anerkennungsmitgliedstaat zur Unzulässigkeit der bei einem seiner Gerichte gestellten Anträge führt, weil das Recht des Ursprungsmitgliedstaats eine Verfahrensvorschrift vorsieht, nach der alle Anträge, die diesen Arbeitsvertrag betreffen, zu bündeln sind; dies gilt unbeschadet etwaiger nach erfolgter Anerkennung zur Anwendung kommender Verfahrensvorschriften des Anerkennungsmitgliedstaats.

Art. 4 I, 15 lit. b, 19 Rom II-VO: Cessio legis und Verjährungsstatut

EuGH 17.5.2023 – C-264/22 – Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme und d’Autres Infractions ./. Victoria Seguros SA

Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h und Art. 19 Rom II-VO sind dahin auszulegen, dass das Recht, das für den Anspruch eines Dritten, auf den die Forderung des Geschädigten gegen den Schadensverursacher übergegangen ist, und insbesondere für die Vorschriften über die Verjährung dieses Anspruchs maßgebend ist, grundsätzlich das Recht des Staates ist, in dem der Schaden eintritt.

Art. 24 Nr. 1 EuGVVO: Rückzahlung bei kurzzeitiger Ferienwohnungsmiete

Schlussanträge des Generalanwalts Jean Richard de la Tour beim EuGH 29.6.2023 – C497/22 – EM ./. Roompot Service BV

Art. 24 Nr. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein Vertrag, mit dem eine Ferienwohnung in einem Ferienpark durch ein Tourismusunternehmen für den kurzzeitigen persönlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt wird, nicht in seinen Anwendungsbereich fällt; hilfsweise, dass die Klage auf Rückzahlung eines Teils des gezahlten Preises nach einer Änderung der Bedingungen eines Vertrags über die Miete einer Ferienwohnung durch eine der Parteien in seinen Anwendungsbereich fällt.

Europäisches Verordnungsrecht:

Herleitung des Wohnsitzbegriffs und des gewöhnlichen Aufenthalts

Vorabentscheidungsersuchen des Rayongericht Sofia (Bulgarien) 4.7.2023 – C-222/23

1. Ist Art. 62 Abs. 1 EuGVVO i.V. mit Art. 18 Abs. 1 und Art. 21 AEUV dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass der Begriff des „Wohnsitzes“ einer natürlichen Person aus nationalen Rechtsvorschriften hergeleitet wird, die vorsehen, dass sich die ständige Anschrift von Staatsangehörigen des Staates des angerufenen Gerichts stets in diesem Staat befindet und nicht an einen anderen Ort in der Europäischen Union verlegt werden kann?

2. Ist Art. 5 Abs. 1 EuGVVO i.V. mit Art. 18 Abs. 1 und Art. 21 AEUV dahin auszulegen, dass er nationale Rechtsvorschriften und nationale Rechtsprechung erlaubt, wonach ein Gericht eines Staates sich nicht weigern darf, einen Mahnbescheid gegen einen Schuldner zu erlassen, der Staatsangehöriger dieses Staates ist und bezüglich dessen die begründete Vermutung besteht, dass es an der internationalen Zuständigkeit des Gerichts fehlt, weil der Schuldner seinen Wohnsitz wahrscheinlich in einem anderen Unionsstaat hat, was sich aus der Erklärung des Schuldners gegenüber der zuständigen Behörde ergibt, dass er in diesem Staat eine Meldeanschrift habe? Ist in einem solchen Fall von Bedeutung, wann diese Erklärung abgegeben wurde?

3. Ist Art. 18 Abs. 1 AEUV i.V. mit Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte in dem Fall, dass sich die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aus einer anderen Vorschrift als Art. 5 Abs. 1 EuGVVO ergibt, dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften und nationaler Rechtsprechung entgegensteht, wonach der Erlass eines Mahnbescheids zwar nur gegen eine natürliche Person zulässig ist, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Staat des angerufenen Gerichts hat, aber die Feststellung, dass der Schuldner, wenn er Staatsangehöriger dieses Staates ist, seinen Aufenthalt in einem anderen Staat begründet hat, nicht allein auf der Grundlage erfolgen kann, dass er gegenüber dem erstgenannten Staat eine Meldeanschrift angegeben hat („aktuelle“ Anschrift), die sich in einem anderen Staat der Europäischen Union befindet, wenn es dem Schuldner nicht möglich ist, darzulegen, dass er vollständig in den letztgenannten Staat umgezogen ist und keine Anschrift im Hoheitsgebiet des Staates des angerufenen Gerichts hat? Ist es in diesem Fall von Bedeutung, wann die Erklärung über die aktuelle Anschrift abgegeben wurde?

4. Falls die erste Teilfrage der dritten Vorlagefrage dahin beantwortet wird, dass der Erlass eines Mahnbescheids zulässig ist, ist es dann nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO in Verbindung mit der

Auslegung von Art. 22 Abs. 1 und 2 EuZustVO 2020, wie sie im Urteil in der Rechtssache C-325/11, Alder, erfolgt ist, und in Verbindung mit dem Grundsatz der wirksamen Anwendung des Unionsrechts bei der Ausübung der nationalen Verfahrensautonomie zulässig, dass ein nationales Gericht eines Staates, in dem Staatsangehörige ihre Meldeanschrift im Hoheitsgebiet dieses Staates nicht aufgeben und sie nicht in einen anderen Staat verlegen können, dann, wenn es mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids in einem Verfahren ohne Beteiligung des Schuldners befasst ist, gem. Art. 7 EuZustVO 2020 bei den Behörden des Staates, in dem der Schuldner eine Meldeanschrift hat, Auskünfte über dessen dortige Anschrift und das Datum der dortigen Registrierung einholt, um den tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt des Schuldners vor Erlass der abschließenden Entscheidung in der Rechtssache zu ermitteln?

EuZustVO 2007 und EuMahnVO:

Nationales Zustellungserfordernis mit Nichtigkeitsfolge

Vorabentscheidungsersuchen des AG Wedding 27.6.2023 – C-389/23

1. Sind die EuZustVO 2007 sowie die EuMahnVO dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass ein Europäischer Zahlungsbefehl im Rahmen eines Rechtsbehelfs durch das Gericht für nichtig zu erklären ist, wenn er dem Antragsgegner nicht oder nicht wirksam zugestellt wurde?

2. Sollte die erste Vorlagefrage bejaht werden: Sind die vorstehenden Verordnungen dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Europäischen Zahlungsbefehl für unzulässig zu erklären ist, wenn der Zahlungsbefehl dem Antragsgegner nicht oder nicht wirksam zugestellt wurde?

3. Sollte die erste Vorlagefrage bejaht werden: Ist die EuMahnVO dahingehend auszulegen, dass ein Antragsgegner, der vom Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls Kenntnis hat, dem dieser aber noch nicht oder nicht wirksam zugestellt worden ist, gegen diesen noch nicht wirksam Einspruch einlegen kann?

EuEheVO 2003 und einvernehmliche Ehescheidungen vor dem italienischen Zivilstandsbeamten

BGH 26.4.2023 – XII ZB 187/20

Einvernehmliche Ehescheidungen vor dem italienischen Zivilstandsbeamten bedürfen auch unter Geltung der EuEheVO 2003 zu ihrer Eintragung im Eheregister keiner Anerkennung nach

Existenzvernichtender Eingriff gem. § 826 BGB und ausländisches Insolvenzstatut

BGH 18.4.2023 – II ZR 184/21

Der Anspruch wegen existenzvernichtenden Eingriffs gem. § 826 BGB setzt weder einen Insolvenzantrag noch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus und kann somit bereits vor diesen Handlungen entstehen. Die Begründung eines Verwaltungssitzes in England und die dortige Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirken sich auf diesen Anspruch dann nicht mehr aus.

(Leitsatz v. Karin Jackwerth, Köln)

Subjektive Reichweite einer Schiedsklausel bei Durchgriffshaftung im (faktischen) Konzernverbund gegen Schiedsklauseldritten

BGH 9.3.2023 – I ZB 33/22

1. Die abweisende Entscheidung in einem Aufhebungsverfahren im Ursprungsstaat des Schiedsspruchs entfaltet für das Vollstreckbarerklärungsverfahren im Inland keine Bindungswirkung.

2. Die Reichweite einer Schiedsklausel ist in subjektiver Hinsicht grundsätzlich beschränkt auf die Vertragsparteien und ihre Rechtsnachfolger. Auch bei einer geltend gemachten Durchgriffshaftung im (faktischen) Konzernverbund ist der in Anspruch genommene Dritte nicht an die für die Vertragsparteien geltende Schiedsklausel gebunden.

3. Dem zukünftigen Antragsgegner eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach § 1061 Abs. 1 ZPO steht bis zur Einleitung dieses Verfahrens ein Antrag auf Feststellung der Nichtanerkennung des ausländischen Schiedsspruchs in entsprechender Anwendung von § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2, § 1061 Abs. 2 ZPO zu.

4. Dieser Antrag auf Feststellung der Nichtanerkennung des ausländischen Schiedsspruchs ist nicht fristgebunden. Die Drei-Monats-Frist gem. § 1059 Abs. 3 Satz 1 bis 3 ZPO sowie die Präklusionsnorm des § 1060 Abs. 2 Satz 2 ZPO finden auf ausländische Schiedssprüche keine, auch keine entsprechende

Anwendung.

Ehe als Vorfrage im deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen und Doppelehe

BGH 8.3.2023 – XII ZB 565/20

1. Mehrstaater mit sowohl deutscher als auch iranischer Staatsangehörigkeit fallen nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens.

2. Ist unter deutschem Sachrecht als Abstammungsstatut bei der Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB die Frage zu klären, ob der Vaterschaftsprätendent zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war, wird die Vorfrage nach der formellen und materiellen Wirksamkeit dieser Ehe grundsätzlich selbstständig angeknüpft und richtet sich daher nach dem von Art. 11 EGBGB berufenen Sachrecht (Fortführung des Senatsbeschlusses, BGHZ 210, 59 = FamRZ 2016, 1251).

3. Stellt sich in diesem Zusammenhang bei der Prüfung von Ehehindernissen die weitere Vorfrage nach dem Fortbestand der früheren Ehe eines der beiden Verlobten, wird diese grundsätzlich unselbständig angeknüpft, d.h. aus der Sicht der Rechtsordnung (einschließlich ihres Kollisionsrechts) beantwortet, deren Sachrecht über die materiellen Voraussetzungen für die wirksame Eingehung der neuen Ehe entscheidet.

4. Kommt es dabei auf die wirksame Auflösung der Vorehe eines Verlobten durch eine im Ausland durchgeführte Scheidung an, ist eine solche Scheidung nur dann beachtlich, wenn sie in Deutschland im Verfahren vor der Landesjustizverwaltung nach § 107 FamFG anerkannt worden ist; insoweit wird das kollisionsrechtliche Verweisungsergebnis vom verfahrensrechtlichen Anerkennungserfordernis überlagert (Fortführung des Senatsbeschlusses v. 10.1.2001 – XII ZR 41/00 – FamRZ 2001, 991).

5. Leidet die Ehe nach beiden durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechtsordnungen der Verlobten unter dem Mangel der Doppelehe, bestimmt sich die Fehlerfolge grundsätzlich nach dem ärgeren Recht, d.h. nach dem Recht, welches die schärferen Rechtsfolgen an die Mangelhaftigkeit der Ehe knüpft (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 4.10.1990 – BGH, XII ZB 200/87 – FamRZ 1991, FamRZ 1991,  300). Ausnahmsweise kann im Einzelfall eine wertende Korrektur durch Heranziehung des milderen Rechts, d.h. des Rechts, welches an den Mangel der Doppelehe die am wenigsten schädlichen Rechtsfolgen für die bigamische Ehe knüpft, geboten sein, wenn die Anwendung der strengeren Fehlerfolge zu einem Ergebnis führt, welches keiner der beiden beteiligten Rechtsordnungen bei deren isolierter Betrachtung entspricht.

6. Besteht infolge einer Doppelehe der Mutter nach § 1592 Nr. 1 BGB eine Vaterschaftsvermutung für zwei Ehemänner, ist § 1593 Satz 3 BGB analog anzuwenden, so dass die Vaterschaft dem Ehemann der späteren Ehe zugeordnet wird.

Marktorientierte Bestimmung der Hauptniederlassung i.S. von Art. 63 Abs. 1 lit. c EuGVVO

BGH 23.2.2023 – III ZR 242/21

1. Wenn ein Unternehmen mehrere Niederlassungen hat, ist Hauptniederlassung i.S. von Art. 63 Abs. 1 lit. c EuGVVO diejenige, bei der der Schwerpunkt der auf den Markt gerichteten Geschäftstätigkeit liegt. Dies kommt durch die dort vorhandenen für den Umfang des Geschäftsvolumens maßgeblichen Personal- und Sachmittel zum Ausdruck und ist durch einen Größenvergleich zwischen den Niederlassungen zu ermitteln. Mehrere Hauptniederlassungen eines Unternehmens kann es hingegen nicht geben.

2. Die Rechtsprechung des französischen Kassationshofs steht dem nicht entgegen. In dessen neuesten Rechtsprechung ist der Begriff der Hauptniederlassung in Übereinstimmung mit BGH und BAG als der Ort definiert, an dem die Gesellschaft im Wesentlichen ihre Geschäftstätigkeit ausübt.

(Leitsätze v. Karin Jackwerth, Köln)

(Inzidente) Überprüfung der Sorgerechtsentscheidung im HKÜ-Rückführungs-verfahren nur bei Rechtsstaatszweifeln

OLG Rostock 9.6.2023 – 10 UF 62/23

Eine (inzidente) Überprüfung der Entscheidungen des Gerichtes des Heimatstaates zum Sorge- oder Umgangsrecht findet im Rückführungsverfahren nach dem HKÜ grundsätzlich nicht statt. Das Rückführungsverfahren dient gerade (auch) dazu, die Entscheidungszuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates zu wahren und das Verfahren im Heimatstaat des Kindes sicherzustellen. Ist im Heimatstaat bereits aktuell eine Umgangsregelung getroffen worden, hat das HKÜ-Gericht diese Entscheidungen zu respektieren. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn es Zweifel an einem rechtsstaatlichen Verfahren im Heimatland des Kindes gibt.

Verbraucher i.S. von Art. 17 EuGVVO bei privater Geldanlage und Zeitpunkt des erforderlichen Auslandsbezugs

BayObLG 7.6.2023 – 102 AR 119/23 e

1. Der Verbrauchereigenschaft i.S. von Art. 17 ff. EuGVVO steht es nicht entgegen, auf Gewinnerzielung ausgerichtete Rechtsgeschäfte zur privaten Geldanlage wie beispielsweise Renovierungsarbeiten an einer im Eigentum stehenden Mietwohnung abzuschließen, selbst wenn im Einzelfall hohe Summen investiert werden.

2. Zur Bestimmung des Vorliegens eines Verbrauchervertrags i.S. des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ist sowohl bei Passiv- als auch bei Aktivprozessen unerheblich, ob bereits bei Vertragsschluss ein Auslandsbezug vorlag, oder ob dieser erst anschließend entstanden ist.

3. Zur Bestimmung des Gerichtsstands der Niederlassung i.S. des Art. 7 Nr. 5 EuGVVO muss der Beklagte noch zum Zeitpunkt der Klageeinreichung eine Niederlassung in dem Mitgliedsstaat besitzen, dessen Gerichte im Rechtsstreit angerufen werden, und die Streitigkeit aus dem Betrieb dieser Niederlassung folgen. Dass eine solche Niederlassung bei Vertragsschluss noch existierte, ist nicht ausreichend.

(Leitsätze v. Karin Jackwerth, Köln)

Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale der Art. 8, 10 ff. EuGVVO

BayObLG 26.5.2023 – 101 AR 157/22

1. Soweit kein reiner Inlandssachverhalt vorliegt, ist zur Bestimmung eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstands grundsätzlich die EuGVVO anzuwenden.

2. Der geschützte Personenkreis bei Vorliegen eines Versicherungsverhältnisses i.S. des Art. 10 ff. EuGVVO erfasst, unter Verweis auf EuGH-Rechtsprechung zu vergleichbaren Bestimmungen des EVÜ 1968, nur Versicherte, nicht aber Versicherer, da diese als wirtschaftlich stärkere Parteien den besonderen Schutz nicht bedürfen.

3. Der Art. 8 EuGVVO ist um das folgende ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zu ergänzen: Er ist nur anwendbar, wenn sich der Wohnsitz des Beklagten in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat des angerufenen Gerichts befindet. Soweit dies nicht der Fall ist, bestimmt sich die sachliche und örtliche Zuständigkeit nach nationalem Recht.

(Leitsätze v. Karin Jackwerth, Köln)

Art. 8 EuEheVO 2003 umfasst auch mit der Hauptsache verbundene einstweilige Maßnahmen

OLG Karlsruhe 26.5.2023 –5 WF/23

1. Die internationale Zuständigkeit in der Hauptsache nach

Art. 8 EuEheVO 2003 umfasst auch einstweilige Maßnahmen in diesem Zusammenhang. Dies gilt auch dann, wenn Hauptsache und einstweilige Maßnahmen nach nationalem Recht nicht im selben Verfahren, sondern in gesonderten Verfahren geltend zu machen sind.

2. Bei einem rechtmäßigen plötzlichen Umzug des betreuenden Elternteils kann für den Antrag auf vorläufigen Obhutswechsel des anderen Elternteils Mutwilligkeit nach § 76 Abs. 1 FamFG mit § 114 ZPO auch dann nicht angenommen werden, wenn bereits ein Hauptsacheverfahren läuft.

Vorenthaltung eines Leasingfahrzeugs in der Insolvenz: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht der Nutzungsentschädigung

OLG Saarbrücken 5.4.2023 – 5 U 54/21

1. Zur Zulässigkeit einer Klage auf Zahlung von Nutzungsentschädigung nach Beendigung eines Fahrzeug-Leasingvertrags und auf Schadensersatz wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen gegen eine in Frankreich ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (SARL), wenn bereits vor Klageerhebung über das Vermögen dieser Gesellschaft ein Insolvenzverfahren nach französischem Recht eröffnet worden war.

2. Zum anwendbaren Recht und zur sachlichen Berechtigung im Falle vertraglicher und gesetzlicher Ansprüche wegen Vorenthaltung eines Leasingfahrzeugs durch die in Frankreich ansässige Leasingnehmerin, die sich gegenüber der früheren Leasinggeberin auf eine vereinbarungsgemäße Übernahme des Fahrzeugs nach Ablauf der Vertragslaufzeit berufen hat.

Internationaler Anwendungsbereich des

OLG Brandenburg 30.3.2023 – 13 UF 199/20

Art. 14 EGBGB i. V. mit Art. 26 Abs. 1 lit. a) EuGüVO knüpft im Gegensatz zu den Eheschließungsvoraussetzungen des Art. 13 EGBGB nicht an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Eheschließung, sondern an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten nach Eheschließung an.

(Leitsätze v. Karin Jackwerth, Köln)

Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2002/ Art. 22 I EuInsVO 2017: Nachweis der Befugnis eines Insolvenzverwalters

OLG Brandenburg, 14.3.2023 – 3 W 142/22

Zum Nachweis der Verwalterbefugnis muss ein Insolvenzverwalter gem. Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2002 bzw. gem. dem gleichlautenden Art. 22 I EuInsVO 2017 eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung, durch die er bestellt worden ist, oder eine andere dem Gericht ausgestellte Bescheinigung in beglaubigter Form vorlegen. Im Rahmen von Insolvenzverfahren, die vor Ablauf der vereinbarten Übergangsfrist zum 31.1.2020 eröffnet wurden, gilt diese Nachweisverpflichtung unverändert auch für Insolvenzverwalter im Vereinigten Königreich.

(Leitsatz v. Karin Jackwerth, Köln)

Überprüfung des Schiedsspruchs nach französischem Recht

Cour de Cassation, 13.4.2023 – n° 21-50.053

1. Gemäß Art. 1525 Abs. 1 des Code de procédure civile kann gegen eine Entscheidung über die Anerkennung bzw. Vollstreckung eines im Ausland ergangenen Schiedsspruchs Berufung eingelegt werden.

2. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift liegt vor, wenn ein Gericht, welches die Prüfung der Gründe für die Unzulässigkeit des Exequaturantrags ablehnt, feststellt, dass die Berufung gegen die Exequaturentscheidung abseits von Fällen von Ermessensmissbrauch oder einer Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundsätze nur in den in Art. 1520 des Code de procédure civile abschließend aufgezählten Fällen möglich ist. Denn diese Vorschrift betrifft die Überprüfung des Schiedsspruchs, verhindert nicht aber die Prüfung von Einreden, die dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung entgegengehalten werden können. (Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Territorialität von Vollstreckungs- maßnahmen eines Staates wegen Steuerschulden und Verzicht auf seine Vollstreckungsimmunität

Cour de Cassation, 13.4.2023 – n° 18-20.915

1. Wird oder soll das Vermögen eines Staates nicht speziell für die Ausübung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben verwendet (werden), reicht der ausdrückliche Verzicht dieses Staates auf seine Vollstreckungsimmunität aus, damit die betroffenen Vermögenswerte Gegenstand einer Vollstreckungsmaßnahme sein können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Vermögenswerte Steuerforderungen betreffen, und ohne dass darüber hinaus ein besonderer Verzicht erforderlich wäre.

2. Der Grundsatz der Einheit des Vermögens bedeutet, dass Schulden, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer Zweigniederlassung entstanden sind, am Sitz der Gesellschaft eingetrieben werden können, auch wenn es sich dabei um eine Steuerschuld handelt, die durch die Tätigkeit der Zweigniederlassung einer Gesellschaft mit Sitz in Frankreich auf dem Gebiet eines ausländischen Staates entstanden ist.

3. Wenn die Festsetzung von Steuern und ihre Einziehung im eigenen Hoheitsgebiet hoheitliche Befugnisse eines souveränen Staates darstellen und der Grundsatz der Territorialität von Vollstreckungsmaßnahmen einen Staat daran hindert, seine Steuerforderungen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates auf anderen Wegen als denen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit einzutreiben, so ist es im Übrigen nicht zulässig, dass ein Staat seine Steuerforderungen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates auf andere Weise einzieht.

4. Sobald ein ausländischer Staat auf seine Vollstreckungsimmunität verzichtet, können Steuerforderungen, die dieser Staat gegenüber in Frankreich ansässigen Abgabepflichtigen hat, hingegen ohne Weiteres Gegenstand von Vollstreckungsmaßnahmen nach den allgemeinen Vorschriften sein.

(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Art. 6 und 21 EuGVVO i.V. mit Art.14 Code civil und Zuständigkeit nach lex fori

Cour de Cassation, 29.6.2022 – n° 21-11.722

1. Aus Art. 6 und 21 EuGVVO i. V. mit Art. 14 Code civil folgt, dass die Zuständigkeit anhand der Bestimmungen des nationalen Rechts zu ermitteln ist, wenn sich weder der Wohnsitz des Beklagten noch der Ort, an dem die Arbeit verrichtet wurde, oder der Ort, an dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden.

2. Zu den insoweit relevanten Bestimmungen des nationalen Rechts zählt insbesondere Art. 14 Code civil. Ausländer mit Wohnsitz in Frankreich können sich ebenso wie Inländer auf diese Vorschrift berufen.

(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Art. 146 und Art. 180 Abs. 1 Code civil: Ehegatten Konsens als zwingende Voraussetzung auch bei ausländischem Ehestatut

Cour de Cassation, 18.5.2022 – n° 21-11.106

1. Gemäß Art. 202-1 Code civil richten sich die Voraussetzungen für die Eheschließung im Verhältnis zu jedem Ehegatten nach seinem eigenen Heimatrecht.

2. Unabhängig davon, welches Recht insoweit anwendbar ist, erfordert die Eheschließung jedoch auch die Zustimmung der Ehegatten i.S. der Art. 146 und 180 Abs. 1 Code civil.

3. Gemäß Art. 146 Code civil wird keine wirksame Ehe geschlossen, wenn diese Zustimmung nicht vorliegt. Wenn sich ein Ehegatte zur Begründung seiner Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Ehe auf die fehlende Heiratsabsicht des anderen beruft, stützt sich diese Klage auf Art. 146 Code civil; mit der Folge, dass das französische Recht anwendbar ist.

(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Art. 1520 Abs. 5 Code de procédure civile: Prüfungsbefugnis hinsichtlich desfranzösischen orde public internatioale

Cour de Cassation, 23.3.2022 – n° 17-17.981

1. Aus Art. 1520 Abs. 5 Code de procédure civile folgt, dass das staatliche Gericht prüfen muss, ob die Anerkennung bzw.

Vollstreckung des Schiedsspruchs mit dem internationalen ordre public vereinbar ist.

2. Diese Prüfung ist weder auf die dem Schiedsgericht vorgelegten Beweismittel beschränkt noch an die von diesem getroffenen Feststellungen, Beurteilungen und Qualifikationen gebunden; es ist gleichwohl Aufgabe des Schiedsgerichts sicherzustellen, dass bei der Vorlage der Beweismittel ihm gegenüber die Grundsätze des kontradiktorischen Verfahrens und der Waffengleichheit beachtet werden.

(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Territorialitätsgrundsatz für Voll-streckungsverfahren bei Pfändung einer Drittforderung

Cour de Cassation, 10.12.2020 – n° 18-17.937

1. Eine Pfändungsmaßnahme, die es einem Gläubiger mit einem Vollstreckungstitel gem. Art. L. 211-1 Code des procédures civiles d’exécution ermöglicht, Geldforderungen seines Schuldners gegenüber einem Dritten zu pfänden, setzt die Ausübung von Zwang gegenüber dem Dritten voraus.

2. Deshalb ergibt sich aus dem Territorialitätsgrundsatz für Vollstreckungsverfahren, der sich aus dem Grundsatz der Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten ableitet, dass eine solche Maßnahme nur wirksam ist, wenn der Dritte in Frankreich niedergelassen ist.

3. Handelt es sich bei dem Dritten um eine juristische Person, so ist diese nur dann in Frankreich niedergelassen, wenn sie dort entweder ihren Sitz hat oder dort über eine Einrichtung verfügt, die befugt ist, die Zahlung einer Forderung des von der Pfändung betroffenen Schuldners gegen ihn zu begleichen.

4. Das Urteil eines Berufungsgerichts, welches zur Aufhebung einer Pfändung bei einem Pariser Büro einer Gesellschaft nach amerikanischem Recht feststellt, dass die gepfändete Forderung aus einem zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und einer Gesellschaft nach amerikanischem Recht mit Sitz in Ohio geschlossenen Mietvertrag resultiert und sich dadurch notwendigerweise auf dem Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten befindet, ist daher aufzuheben.

(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Kollisionsrechtliche Behandlung von Ansprüchen auf Rückgabe von Kulturgütern

Hoge Raad, 10.2.2023 – 21/02812

1. Die Worte „der ersuchende Mitgliedstaat“ in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/7/EWG können nach ihrer gewöhnlichen Bedeutung nicht so eng ausgelegt werden, dass sie nur die Zentralbehörde des betreffenden Mitgliedstaats erfassen. Daran ändert auch Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/60/EU nichts, der Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/7/EWG ersetzt.

2. Gemäß Art. 10:2 BW (niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch) werden Kollisionsnormen von Amts wegen angewandt. Diese Vorschriften fallen daher in den Anwendungsbereich von Art. 25 Rv, der das Gericht anweist, die Rechtsgrundlagen seiner Entscheidung von Amts wegen zu erörtern.

3. Die Kollisionsnorm des Art. 10:118 BW hat jedoch keinen prozessualen Charakter, sodass sie vom Revisionsgericht nur innerhalb des im Rechtsmittelverfahren eröffneten Rahmens (gegebenenfalls) von Amts wegen angewandt werden sollte.

4. Stellt das Revisionsgericht eindeutig und unmissverständlich fest, dass das Gericht der Vorinstanz die Zurechnungsfrage implizit nach niederländischem Recht beurteilt hat und dies in der Revision nicht mit einer (zu beachtenden) Rüge angegriffen wurde, ist somit davon auszugehen, dass in der Revision zu Recht nicht von Amts wegen über die Frage des auf die Zurechnungsfrage anwendbaren Rechts zu entscheiden ist.

(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Zur kollisionsrechtlichen Behandlung von Sicherungseigentum/Eigentumsvorbehalt

OGH, Beschluss v. 24.8.2022 – 7 Ob 99/22t

1. Entsprechend der aktuellen Neubewertung der Rechtslage bei grenzüberschreitenden Sicherungsrechten durch den OGH ist bereits nach einer an Wortlaut und Normzweck orientierten Auslegung der §§ 7, 31 IPRG der Untergang eines in Deutschland wirksam begründeten Eigentums (bloß) durch den Import der Sache nach Österreich nicht zu begründen und eine Verletzung des Unionsrechts in diesem Zusammenhang daher ausgeschlossen.

2. Sieht das Recht eines Staats einen wirksamen Erwerb von „gewöhnlichem“ Eigentum auch ohne Übergabe vor, ist der Erwerb ungeachtet der unterschiedlichen Rechtslage des neuen Lageorts auch dort wirksam, weil der Eigentumserwerb ein bereits abgeschlossener Tatbestand i.S. des § 7 IPRG ist. Nichts anderes kann für eine wirksam vorgenommene Sicherungsübereignung gelten, die zu einer Vollrechtsübertragung führt. Der mit einem späteren Transport bewirkte Statutenwechsel kann nicht zurückwirken.

3. Ein Rechtsverlust stünde auch im Widerspruch zum in § 7 IPRG allgemein anerkannten Prinzip der wohlerworbenen Rechte (droits aquis), welche auch unter dem neuen Statut erhalten bleiben, wenn das erworbene Recht an der Sache dem neuen Statut nicht völlig wesensfremd ist. Letzteres trifft auf in Deutschland zur Sicherung übertragenes Eigentum nämlich nicht zu, weil ein solches Institut auch in Österreich anerkannt ist.

4. Im Umstand, dass nach deutschem – im Gegensatz zum österreichischen Recht – ein Besitzkonstitut ausreicht, um Sicherungseigentum wirksam zu begründen, liegt auch kein Verstoß gegen den ordre public.

5. Auf § 31 Abs. 2 IPRG kann ein Wegfall des Sicherungseigentums nicht gestützt werden, weil die Bestimmung ausdrücklich vom Inhalt und nicht von den Wirkungen der einmal begründeten dinglichen Rechte spricht und damit lediglich die Anpassung fremder Mobiliarsachenrechte an den Typenkatalog und die Rechtsschutzeinrichtungen des neuen Lageortrechts meint.

(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

Court of Arbitration for Sport (CAS): Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht

Tribunal Arbitral du Sport/Court of Arbitration for Sport, 3.2.2022 – TAS 2021/A/7824

Zur Zuständigkeit des Schiedsgerichts:

1. Gemäß Art. 186 Abs. 2 IPRG muss die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts vor jeder Einlassung auf die Hauptsache erhoben werden. Dies ist Ausdruck des in Art. 2 Abs. 1 ZGB (schweizerisches Zivilgesetzbuch) verankerten Grundsatzes von Treu und Glauben, der für alle Rechtsgebiete, einschließlich der Schiedsgerichtsbarkeit, gilt.

2. Wer sich in einem kontradiktorischen Schiedsverfahren über eine schiedsfähige Sache ohne Vorbehalt auf die Hauptsache einlässt, erkennt damit konkludent die Zuständigkeit des Schiedsgerichts an und verliert endgültig das Recht, die Einrede der Unzuständigkeit zu erheben.

Zum anwendbaren Recht:

3. Parteien, die sich dafür entscheiden, ihre Streitigkeiten der Zuständigkeit des CAS zu unterwerfen, unterwerfen sich damit auch - konkludent, aber eindeutig – der Regeln dieses Schiedsgerichts. Sie erklären sich insbesondere damit einverstanden, dass das in der Sache anwendbare Recht nach den Regeln des Art. R58 der Verfahrensordnung des CAS ermittelt wird.

4. Aus Art. R58 der Verfahrensordnung des CAS folgt, dass strittige Fragen vorrangig durch den Verband in Anwendung der auf den konkreten Fall anwendbaren Vorschriften zu klären sind. Die einschlägigen Vorschriften (hier: die Statuten der FIFA) haben somit Vorrang vor den Rechtsnormen, die von den Parteien, z.B. im streitgegenständlichen Vertrag, gewählt wurden. Diese können bei der Lösung des Rechtsstreits nur subsidiär herangezogen werden. Zur Verwertung unrechtmäßig erlangter Beweismittel durch das Schiedsgericht:

5. Gemäß Art. 184 Abs. 1 IPRG führt das Schiedsgericht die Beweisaufnahme selbst durch. Diese Bestimmung erteilt dem Schiedsgericht die Befugnis, über die Zulässigkeit von Beweismitteln zu entscheiden, die von einer Partei vorgelegt werden.

6. Hat sich eine Partei Beweismittel unrechtmäßig beschafft, ist das Schiedsgericht in seiner Entscheidung frei, ob es diese Beweismittel verwertet oder nicht. Dass dem Schiedsgericht eine derartige Entscheidungsbefugnis einzuräumen ist, ergibt sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Art. 152 ZPO, der das Gericht bezüglich der Verwertung rechtswidrig beschaffter Beweismittel dazu anweist abzuwägen, ob das Interesse an der Wahrheitsfindung überwiegt. (Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Veranstaltungshinweise

Am 17. November 2023 findet an der Universität Wien die 20. Jubiläumskonferenz zum Thema “The Love for International Organizations” statt. Die Konferenz wird von Niels M. Blokker und Ramses A. Wessel, in enger Zusammenarbeit mit August Reinisch, organisiert. Weitergehende Informationen unter https://esil-sedi.eu/wp-content/uploads/2023/06/ IOLR-Anniversary-Conference_17-Nov-2023_Save-the-Date.pdf

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