Heft 2/2022 (März 2022)

Offene Wiss.Mit.-Stelle am Kölner IPR-Institut
Am Institut für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln (Prof. Dr. Dr. h.c. Mansel) ist zum nächstmöglichen Termin eine Vollzeitstelle bzw. sind zwei Teilzeitstellen als

Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in (w/m/d)

zu besetzen. Fremdsprachenkenntnisse in einer der folgenden Sprachen sind von Vorteil: Niederländisch, Italienisch, Spanisch oder Französisch. Mindestens ein überdurchschnittliches juristisches Staatsexamen im deutschen Recht wird vorausgesetzt. Es handelt sich um entweder eine Vollzeitstelle mit 39,83 Wochenstunden oder um zwei Teilzeitstellen mit 19,92 Wochenstunden. Sofern die tariflichen Voraussetzungen vorliegen, richtet sich die Vergütung nach der Entgeltgruppe 13 TV-L. Bitte senden Sie Ihre Bewerbung mit den üblichen Unterlagen in einer PDF-Datei bis zum 20.3.2022 an ipr-institut@uni-koeln.de.

EuEheVO: Zulässige Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit
EuGH 10.2.2022 – Rs. C-522/20 – OE ./. VY
Das in Art. 18 AEUV verankerte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist dahin auszulegen, dass es dem nicht entgegensteht, dass die Zuständigkeit des Gerichts des Aufenthaltsmitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 1 lit. a sechster Gedankenstrich EuEheVO eine Mindestdauer des Aufenthalts des Antragstellers unmittelbar vor der Antragstellung voraussetzt, die sechs Monate kürzer ist als die in Art. 3 Abs. 1 lit. a fünfter Gedankenstrich dieser Verordnung vorgesehene, und zwar deshalb, weil der Antragsteller Angehöriger dieses Mitgliedstaats ist.

Art. 6 Abs. 4 lit. c Rom I-VO erfasst keine Waldinvestments
EuGH 10.2.2022 – Rs. C-595/20 – UE ./. ShareWood Switzerland AG, VF
Art. 6 Abs. 4 lit. c Rom I-VO ist dahin auszulegen, dass Kaufverträge, die einen Pachtvertrag und einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen beinhalten und sich auf Bäume beziehen, die auf einem Grundstück gepflanzt wurden, das ausschließlich mit dem Ziel gepachtet wird, diese Bäume zum Zweck der Gewinnerzielung zu ernten, keine „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben" im Sinne dieser Bestimmung sind.

Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO: Details der Teilflug-Erfüllungsorte
EuGH 3.2.2022 – Rs. C-20/21 – JW, HD, XS ./. LOT Polish Airlines
Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO ist dahin auszulegen, dass bei einem Flug, der durch eine bestätigte einheitliche Buchung für die gesamte Reise gekennzeichnet und in zwei oder mehr Teilflüge unterteilt ist, auf denen die Beförderung von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, der Ankunftsort des ersten Teilflugs nicht als „Erfüllungsort" im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn eine auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs[-] und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 erhobene Klage auf Ausgleichszahlung allein durch eine wegen verzögerten Abflugs eingetretene Verspätung dieses Teilflugs veranlasst wurde und sich gegen das mit dessen Durchführung beauftragte Luftfahrtunternehmen richtet.

Solvabilitäts-Richtlinie und lex fori concursus
EuGH 13.1.22 – Rs. 724/20 – Paget Approbios SAS ./. Depeyre entreprises SARI, Alpha Insurance A/S
1. Art. 292 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) ist dahin auszulegen, dass der in diesem Artikel genannte Begriff „anhängiger Rechtsstreit über einen Vermögensgegenstand oder ein Recht der Masse" einen anhängigen Rechtsstreit umfasst, der eine Klage auf Versicherungsleistung eines Versicherungsnehmers wegen in einem Mitgliedstaat entstandener Schäden gegen ein Versicherungsunternehmen zum Gegenstand hat, das sich in einem anderen Mitgliedstaat in einem Liquidationsverfahren befindet.
2. Art. 292 der Richtlinie 2009/138 ist dahin auszulegen, dass das Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Rechtsstreit anhängig ist, im Sinne dieses Artikels alle Wirkungen des Liquidationsverfahrens auf diesen Rechtsstreit regeln soll. Insbesondere sind die Bestimmungen des Rechts dieses Mitgliedstaats anzuwenden, die erstens vorsehen, dass die Eröffnung eines solchen Verfahrens zur Unterbrechung des anhängigen Rechtsstreits führt, die zweitens die Fortsetzung des Verfahrens davon abhängig machen, dass der Gläubiger seine Forderung einer Versicherungsleistung gegen das Versicherungsunternehmen angemeldet hat und dass den für die Durchführung des Liquidationsverfahrens zuständigen Organen der Streit verkündet worden ist, und die drittens jede Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung untersagen, da diese Forderung nur mehr als bestehend festgestellt und ihrer Höhe nach festgesetzt werden kann, sofern solche Bestimmungen grundsätzlich nicht in die dem Recht des Herkunftsmitgliedstaats vorbehaltene Zuständigkeit nach Art. 274 Abs. 2 der Richtlinie eingreifen.

Weiter Anwendungsbereich der EU-Iran-Boykott-VO
EuGH 21.12.2021 – Rs. C-124/20 – Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH
1. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen in der durch die Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2014 und die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung Nr. 2271/96 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass darin den von Art. 11 dieser Verordnung erfassten Personen auch dann untersagt wird, den in den im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Gesetzen vorgesehenen Forderungen oder Verboten nachzukommen, wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der Drittländer, die diese Gesetze erlassen haben, keine Weisung zu deren Einhaltung vorliegt.
2. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 in der durch die Verordnung Nr. 37/2014 und die Delegierte Verordnung 2018/1100 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einer von Art. 11 der Verordnung in geänderter Fassung erfassten Person, die nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung in geänderter Fassung verfügt, nicht verwehrt, Verträge mit einer Person, die in der „Liste der besonders benannten Staatsangehörigen und gesperrten Personen" (Specially Designated Nationals and Blocked Persons List) aufgeführt ist, ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Wenn alle Beweismittel, über die das nationale Gericht verfügt, auf den ersten Blick darauf hindeuten, dass eine von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 in geänderter Fassung erfasste Person den im Anhang dieser Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen nachgekommen ist, ohne insoweit über eine Genehmigung zu verfügen, verlangt Art. 5 Abs. 1 der Verordnung in geänderter Fassung allerdings, dass es im Rahmen eines Zivilprozesses über einen behaupteten Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen ebendieser Person obliegt, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass ihr Verhalten nicht darauf abzielte, diesen Gesetzen nachzukommen.
3. Die Verordnung Nr. 2271/96 in der durch die Verordnung Nr. 37/2014 und die Delegierte Verordnung Nr. 2018/1100 geänderten Fassung, insbesondere ihre Art. 5 und 9, ist im Licht von Art. 16 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung von Verträgen nicht entgegensteht, die durch eine von Art. 11 der Verordnung in geänderter Fassung erfasste Person zur Befolgung von Forderungen oder Verboten, die auf den im Anhang der Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen beruhen, erklärt wurde, obgleich sie nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung in geänderter Fassung verfügt, soweit die Feststellung der Unwirksamkeit für diese Person keine in Anbetracht der Ziele der Verordnung in geänderter Fassung, die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Europäischen Union im Allgemeinen zu schützen, unverhältnismäßigen Auswirkungen hat. Bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die Verfolgung dieser Ziele, der mit der Feststellung der Unwirksamkeit einer gegen das in Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung in geänderter Fassung vorgesehene Verbot verstoßenden Vertragskündigung gedient wird, gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwägen, dass die betroffene Person wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt wird, sowie gegen deren Ausmaß für den Fall, dass sie die Geschäftsverbindung mit einer Person nicht beenden darf, gegen die sich die Sekundärsanktionen richten, die sich aus den im Anhang dieser Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen ergeben.

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Unteilbarkeit negatorischer Ansprüche und Mosaiktheorie für Internetdelikte
EuGH 21.12.21 – Rs. C-251/20 – Gtflix Tv ./. DR
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine Person, die der Ansicht ist, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet verletzt worden seien, und die sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der sie betreffenden veröffentlichten Inhalte als auch auf Ersatz des durch diese Veröffentlichung entstandenen Schadens klagt, vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet diese Äußerungen zugänglich sind oder waren, Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts entstanden sein soll, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Art. 13 und 28 EuErbVO: Zuständiges Gericht bei Ausschlagung
Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar beim EuGH 20.1.2022 – Rs. C-617/20
Die Art. 13 und 28 EuErbVO sind dahin auszulegen, dass das im auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbaren Recht vorgesehene Erfordernis, die Ausschlagungserklärung gegenüber dem Nachlassgericht abzugeben, d. h. dem Gericht des Ortes, an dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, eine Voraussetzung für die Formgültigkeit dieser Erklärung darstellt. Damit führt die Nichteinhaltung dieses Erfordernisses als solche nicht zur Ungültigkeit einer vor einem nach Art. 13 EuErbVO zuständigen Gericht abgegebenen Erklärung, wenn sich ihre Formgültigkeit nach dem in Art. 28 Buchst. b dieser Verordnung bezeichneten Recht beurteilt.

Art. 45 und 46 EuGVVO: Kein Exequatur des Exequatur
Schlussanträge des Generalanwalts Pikamäe beim EuGH 16.12.2021 – Rs. C-568/20
Die Art. 45 und 46 EuGVVO sind dahin auszulegen, dass das Gericht des ersuchten Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Versagung der Vollstreckung befasst ist, diesem Antrag mit der Begründung stattgeben kann, dass die Entscheidung und die Bescheinigung nach Art. 53 dieser Verordnung, die das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats erlassen habe, gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats verstießen, da der geltend gemachte Rechtsfehler eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung der Union und damit jener dieses Staates als wesentlich geltenden Rechtsnorm darstelle. Dies trifft auf einen Fehler bei der Anwendung von Art. 2 Buchst. a und Art. 39 der Verordnung zu, wonach die Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, in einem Mitgliedstaat ergangen sein muss.
Bei der Prüfung, ob ein offensichtlicher Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des ersuchten Staates aufgrund der Missachtung einer materiellen oder formellen Vorschrift des Unionsrechts vorliegt, hat das Gericht dieses Staates zu berücksichtigen, dass die Rechtsbürger – unter der Voraussetzung, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat zu sehr erschweren oder unmöglich machen – in diesem Mitgliedstaat von allen gegebenen Rechtsbehelfen Gebrauch machen müssen, um im Vorhinein zu verhindern, dass es zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) kommt.

Art. 33 Abs.1 EuGVVO 2001: Folgen der autonomen Rechtskraftdefinition – Gleichstellung und Wirkungserstreckung
Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation (Frankreich) 17.11.2021 – Rs. C-707/21
1. Ist Art. 33 Abs.1 EuGVVO 2001 dahin auszulegen, dass sich die autonome Definition der Rechtskraft auf sämtliche Voraussetzungen und Wirkungen der Rechtskraft bezieht, oder dahin, dass ein Teil dieser Voraussetzungen und Wirkungen durch das Recht des befassten Gerichts und/oder des Gerichts, das die Entscheidung erlassen hat, bestimmt werden kann?
2. Ist, sofern die erste Hypothese zutrifft, davon auszugehen, dass bei den Gerichten zweier Mitgliedstaaten erhobene Klagen in Anbetracht der autonomen Definition der Rechtskraft dieselbe Grundlage haben, wenn der Kläger einen identischen Sachverhalt vorträgt, aber unterschiedliche rechtliche Gründe geltend macht?
3. Ist bei zwei Klagen, von denen eine auf vertragliche Haftung und eine auf deliktische Haftung gestützt ist, die aber auf demselben Rechtsverhältnis – wie der Ausübung eines Mandats als Verwaltungsratsmitglied – beruhen, anzunehmen, dass sie dieselbe Grundlage haben?
4. Schreibt, sofern die zweite Hypothese zutrifft, Art. 33 Abs. 1 EuGVVO 2001, in dessen Anwendung entschieden wurde, dass eine gerichtliche Entscheidung in den Mitgliedstaaten dieselbe Geltung und dieselben Wirkungen haben muss, wie die, die sie in dem Mitgliedstaat hat, in dem sie ergangen ist, eine Bezugnahme auf das Recht des Ursprungsgerichts vor oder lässt er hinsichtlich der daran geknüpften prozessualen Folgen die Anwendung des Rechts des angerufenen Gerichts zu?

Art. 11 Abs. 1, 13 Abs. 2 EuGVVO und Quasiversicherer
Vorabentscheidungsersuchen des OGH (Österreich) 21.10.2021 – Rs. C-685/21
Ist Versicherer im Sinn von Art. 11 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 2 EuGVVO auch ein Unternehmen, das zwar kein Versicherungsunternehmen ist, aber wegen einer Ausnahme von der Versicherungspflicht im Sinn von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/103/EG über die Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (kodifizierte Fassung) nach dem anwendbaren Recht als „Quasiversicherer" für die von ihm gehaltenen Kraftfahrzeuge wie ein Versicherer nach den Vorschriften des Versicherungsrechts haftet?

Art. 4 Abs. 1, 20 Abs. 1 EuGVVO bei Mitarbeitgeberschaft
Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation (Frankreich) 13.10.21 – Rs. C-639/21
1. Sind die Art. 4 Abs. 1 und 20 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem geltend gemacht wird, eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die von einem Arbeitnehmer vor den Gerichten dieses Staates verklagt wird, sei Mitarbeitgeberin dieses von einer anderen Gesellschaft eingestellten Arbeitnehmers, das betreffende Gericht nicht verpflichtet ist, zur Feststellung seiner Zuständigkeit für die Klagen gegen die beiden Gesellschaften zuvor zu prüfen, ob eine Mitarbeitgeberschaft vorliegt?
2. Sind diese Artikel dahin auszulegen, dass in einem solchen Fall die Autonomie der besonderen Zuständigkeitsvorschriften für individuelle Arbeitsverträge nicht der Anwendung der in Art. 4 Abs. 1 EuGVVO enthaltenen allgemeinen Zuständigkeitsvorschrift entgegensteht, nach der die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat?

Art. 33 und 36 EuGVVO 2001: Umfang der Rechtskraft bei „unfair dismissal"
Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation (Frankreich) 8.9.2021– Rs. C-567/21
1. Sind die Art. 33 und 36 EuGVVO 2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen, dass, wenn nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats der Entscheidung deren Rechtskraft verhindert, dass dieselben Parteien ein neues Verfahren über Ansprüche anstrengen, die im ursprünglichen Verfahren hätten geltend gemacht werden können, sich diese Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat derart auswirkt, dass ein Gericht des ersuchten Mitgliedstaats, dessen ratione temporis anzuwendendes Recht in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten eine ähnliche Verpflichtung zur Bündelung von Rechtsbehelfen vorsah, über diese Ansprüche nicht entscheiden darf?
2. Falls die erste Frage verneint wird: Sind die Art. 33 und 36 EuGVVO 2001 dahin auszulegen, dass ein Rechtsbehelf wie der des „unfair dismissal" im Vereinigten Königreich denselben Grund und denselben Gegenstand hat wie ein Rechtsbehelf wie der im französischem Recht gegen eine Entlassung ohne tatsächlichen und schwerwiegenden Grund vorgesehene Rechtsbehelf, so dass, nachdem der Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich eine Entscheidung erwirkt hat, mit der das „unfair dismissal" festgestellt und eine entsprechende Entschädigung (compensatory award) zugesprochen wurde, der Rechtsbehelf des Arbeitnehmers auf Schadensersatz wegen Entlassung ohne tatsächlichen und schwerwiegenden Grund, Ausgleich für die nicht eingehaltene Kündigungsfrist und Entlassungsentschädigung vor dem französischen Gericht unzulässig ist? Ist in diesem Zusammenhang der Schadensersatz wegen Entlassung ohne tatsächlichen und schwerwiegenden Grund (der möglicherweise den gleichen Grund und den gleichen Gegenstand wie der „compensatory award" hat) zu unterscheiden von der Entlassungsentschädigung und dem Ausgleich für die nicht eingehaltene Kündigungsfrist, die nach französischem Recht fällig werden, wenn die Entlassung auf einem tatsächlichen und schwerwiegenden Grund beruht, jedoch bei einer Entlassung wegen einer schweren Verfehlung nicht fällig werden?
3. Sind die Art. 33 und 36 EuGVVO 2001 dahin auszulegen, dass ein Rechtsbehelf wie der des „unfair dismissal" im Vereinigten Königreich und ein Rechtsbehelf auf Zahlung von im Arbeitsvertrag vorgesehenen Boni oder Prämien denselben Grund und denselben Gegenstand haben, wenn diese Rechtsbehelfe auf ein- und demselben Vertragsverhältnis zwischen den Parteien beruhen?

Art. 4, 7 Abs. 2 EuKPfVO und Verurteilung zur Zahlung von Zwangsgeld
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de premiére instance de Liège (Belgien) 7.5.2021 – Rs. C-291/21
1. Handelt es sich bei einer zugestellten gerichtlichen Entscheidung, mit der eine Partei zur Zahlung eines Zwangsgelds für den Fall des Verstoßes gegen eine Unterlassungsanordnung verurteilt wird, um eine gerichtliche Entscheidung, mit der der Schuldner aufgefordert wird, die Forderung des Gläubigers zu erfüllen, im Sinne von Art. 7 Abs. 2 EuKPfVO?
2. Fällt eine gerichtliche Entscheidung, mit der eine Partei zur Zahlung eines Zwangsgelds verurteilt wird und die im Ursprungsland vollstreckbar ist, unter den Begriff „gerichtliche Entscheidung" im Sinne von Art. 4 EuKPfVO, obwohl die Höhe des Zwangsgelds nicht gemäß Art. 55 EuGVVO festgesetzt wurde?

Keine Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit bei Beschwerde gegen Bejahung internationaler Zuständigkeit
BGH 29.9.2021 – XII ZB 495/20
1. Grundsätzlich findet eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts in der Beschwerdeinstanz auch dann nicht statt, wenn die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte vom Rechtsmittelgericht zu prüfen ist.
2. Hängt die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht von denselben Voraussetzungen ab, die für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte maßgebend sind, ist das Beschwerdegericht nach § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO an der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts gehindert.

Intertemporales internationales Scheidungsrecht
BGH 19.5.2021 – XII ZB 190/18
Ist ein Scheidungsverfahren zwischen dem 21.6.2012 und dem 28.1.2013 eingeleitet worden, gelten für die Anknüpfung des Scheidungsstatuts anstelle von Art. 17 Abs. 1 EGBGB 2009 die höherrangigen Regelungen der Rom III-VO; wegen der Anknüpfung des Versorgungsausgleichs wird Art. 17 Abs. 1 EGBGB 2009 demgegenüber nicht von der Rom III-VO verdrängt, so dass sich das auf den Versorgungsausgleich anwendbare Recht weiterhin nach dem Ehewirkungsstatut bestimmt und es deshalb in der Interimsphase zu einer Divergenz zwischen dem tatsächlichen Scheidungsstatut und dem Versorgungsausgleichsstatut kommen kann.
2. Nicht ehezeitlich erworbene ausländische Anrechte der Ehegatten unterfallen nicht dem Anwendungsbereich von § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG und können folglich auch keine Ausgleichssperre nach § 19 Abs. 3 VersAusglG auslösen.

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und Schlüssigkeit des Vortrags
OLG Köln 11.2.2022 – 6 U 84/21
Wird dargelegt, dass eine unerlaubte Handlung Verbraucher in Deutschland betreffen kann, ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anzunehmen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Handlung den Beklagten zugerechnet werden kann.

Namensbestimmungsrecht bei Elternteil unbekannten Aufenthalts und Identitätsfeststellung bei Resettlement-Flüchtlingen
KG Berlin 25.1.2022 – 1 W 18/21, 1 W 19/21
Resettlement-Flüchtlingen, denen auf Grund der Anordnung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 23 Absatz 4 Aufenthaltsgesetz zur Aufnahme bestimmter Flüchtlinge unterschiedlicher Staatsangehörigkeit oder staatenloser Flüchtlinge aus dem Sudan und aus dem Libanon vom 24. September 2015 eine Aufnahmezusage erteilt worden ist, kann nicht zugemutet werden, sich einen Reisepass ihres Heimatstaates (hier Eritrea) zu beschaffen. Für die Identitätsfeststellung im Personenstandsverfahren kann in diesem Fall ein im Inland ausgestellter Reiseausweis für Ausländer in Verbindung mit anderen ermittelten Indizien ausreichend sein.
Kann die Scheidung einer Ehe nicht nachgewiesen werden und ist der Aufenthalt des einen Ehegatten unbekannt, erhält das Kind nicht von Gesetzes wegen den Namen des anderen Elternteils, der die elterliche Sorge ausübt. Es bedarf auch dann der Bestimmung des Namens durch diesen Elternteil, nachdem ihm das Bestimmungsrecht durch das Familiengericht übertragen worden ist.
(Einsender: Ronny Müller, Richter am KG)

Anerkennung einer palästinensischen Scharia-Scheidung
KG Berlin 11.1.2022 – 1 W 345/21
Bei einer im Westjordanland unter Beteiligung eines Scharia-Gerichts erfolgten Scheidung der Ehe eines dort wohnhaften Palästinensers und einer ebenfalls dort wohnhaften Palästinenserin handelt es sich um eine sogenannte Heimatstaatenentscheidung. Stellt sich bei der Beurkundung eines Personenstandsfalles die Vorfrage, ob eine solche Scheidung im Inland anzuerkennen ist, kann die Beurkundung nicht abgelehnt werden, weil kein Verfahren auf Anerkennung der Scheidung durch die Justizverwaltungsbehörde erfolgt ist. Über die Anerkennung hat der Standesbeamte selbst zu entscheiden.
(Einsender: Ronny Müller, Richter am KG)

Grenzüberschreitende verbraucherschützende Verbandsklage
OLG Hamburg 16.12.2021 – 15 U 160/20
1. Nach § 4a UKlaG ist ein innergemeinschaftlicher Verstoß gegen Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen notwendig. Sowohl nach altem als auch nach neuem Recht beurteilt sich dies nach dem im Streitfall gemäß den Grundsätzen des Kollisionsrechts (insb. Art. 4 und 6 Rom II-VO) bzw. dem Herkunftslandprinzip zu bestimmenden anwendbaren Sachrecht.
2. Das Kollisionsrecht verweist auf die einschlägigen Bestimmungen des polnischen Lauterkeitsrecht, wenn bei einem Rechtsstreit vor einem deutschen Gericht über die Unterlassung von irreführemde Handlungen entschieden wird, die sich an polnische Verbraucher richtet. Durch die durch die UPG-Richtlinie herbeigeführte Vollharmonisierung entsprechen die Vorschriften dem deutschen Recht.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)

Art. 45 Abs. 2 EuGVVO und neuer Zuständigkeitsvortrag
OLG Frankfurt a.M. 10.12.2021 – 26 W 21/21
Aus Art. 45 Abs. 2 EuGVVO folgt, dass es dem Schuldner versagt ist, im Versagungsverfahren neuen Sachvortrag einzubringen, der sich auf die Eröffnung der durch Art. 45 Abs. 1 lit. e geschützten Gerichtsstände der Art. 10 bis 24 EuGVVO bezieht.
(Einsender: Jens-Daniel Braun, Richter am OLG Frankfurt a.M.)

Gerichtsstands- und Rechtswahl in AGB
OLG Frankfurt a.M. 8.12.2021 – 4 U 251/20
Zur Rechtswahl und Wahl des Gerichtsstandes in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Franchisevertrages bei Verbindung zum Recht mehrerer Staaten findet die Rom I-VO Anwendung.

Grenzüberschreitende Zustellung durch WhatsApp-Nachricht
OLG Frankfurt a.M. 22.11.2021 – 28 VA 1/21
1. Die nach kanadischem Recht mögliche Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke als pdf-Anhang einer WhatsApp-Nachricht erfüllt nicht die Wirksamkeitsvoraussetzungen nach Art. 5 Abs. 1 des im Verhältnis zwischen Deutschland und Kanada anwendbaren Haager Übereinkommens über die Zustellung von Schriftstücken im Ausland (HZÜ). Die Frage, ob die in Art. 10 lit. a HZÜ vorgesehene Zustellungsform per Post auch eine Zustellung per WhatsApp umfasst, kann dahinstehen, weil Deutschland bei Ratifizierung des Vertrags insoweit von seinem ihm eingeräumten Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hat, diese Norm bei Zustellungen ins Inland also gerade nicht zur Anwendung gelangt. Damit scheitert eine Anerkennung eines auf die fehlerhafte Zustellung ergangenen kanadischen Scheidungsurteils an dem Anerkennungshindernis des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG.
2. Für die Bejahung der Anerkennungsfähigkeit des kanadischen Scheidungsurteils reicht es auch nicht aus, dass der Antragsgegnerin infolge der noch rechtzeitig erfolgten Mitteilung der Antragsschrift eine Rechtswahrnehmung in Kanada möglich gewesen wäre, der Zustellungsfehler dafür also ohne Bedeutung war. Denn die Anerkennung erfordert zwingend nicht nur eine rechtzeitige, sondern auch eine ordnungsgemäße Zustellung.
3. Schließlich kann der Antragsgegnerin die Berufung auf das Anerkennungshindernis des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG auch nicht deshalb verwehrt werden, weil sie einen nach der kanadischen Verfahrensordnung möglicherweise zulässigen Rechtsbehelf gegen das Scheidungsurteil nicht eingelegt oder weil sie inzwischen selbst in Deutschland ein Scheidungsverfahren eingeleitet hat.

Art. 5 S. 1 EuUnterhVO: Tatbestand der Einlassung
BayObLG 11.11.2021 – 101 AR 145/21
1. Ein nach den Vorschriften der EuUnterhVO an sich unzuständiges Gericht wird gemäß Art. 5 S. 1 EuUnterhVO zuständig, wenn sich die beklagte Partei vor ihm „auf das Verfahren einlässt". Das Tatbestandsmerkmal „Einlassung" auf das Verfahren ist unionsrechtlich autonom zu interpretieren. Hierunter ist jede Verteidigungshandlung des Beklagten zu verstehen, die eine Sachentscheidung herbeiführen will, ohne zugleich eine Rüge der Unzuständigkeit auszusprechen.
2. Als Einlassung genügt jede Verteidigungshandlung, die auf eine Klageabweisung zielt, insbesondere ein Antrag auf Klageabweisung. Die Zuständigkeitsrüge ist spätestens mit der Stellungnahme zu erheben, die nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts als das erste Verteidigungsvorbringen anzusehen ist.
3. Die zuständigkeitsbegründende Wirkung des Art. 5 EuUnterhVO setzt nicht voraus, dass der Beklagte über sein Rügerecht und die Rechtsfolgen der unterlassenen Rüge belehrt worden ist.
4. Eine Art. 26 Abs. 2 EuGVVO oder Art. 8 Abs. 2 EheGüVO entsprechende Regelung enthält Art. 5 EuUnterhVO nicht.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)

Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ: Zukunftswirkung der Zustimmung zum Aufenthaltswechsel
OLG Nürnberg 3.11.2021 – 7 UF 840/21
Die Zustimmung zu einem auf Dauer angelegten Aufenthaltswechsel der Kinder gem. Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ kann auch längere Zeit im Voraus für einen erst in der Zukunft geplanten Wegzug gegeben werden.

Art. 12 Abs. 1 HKÜ: Nur ausnahmsweise Rückführung in neuen Staat
OLG Rostock 14.10.2021 – 10 UF 88/21
Einer Rückführung eines Kindes gemäß Art. 12 Abs. 1 HKÜ in einen anderen Vertragsstaat, als den Staat des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes stehen im Regelfall die Schutzzwecke des HKÜ entgegen, so dass eine solche nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt.

Gesamtverweisung des Schiedsvereinbarungsstatut und chinesisches IPR
OLG Karlsruhe 8.10.2021 – 10 Sch 4/18
1. Das autonome deutsche IPR kennt keine geschriebene Kollisionsnorm für Schiedsvereinbarungen mehr. Allgemein wird eine Rechtswahl für zulässig erachtet, die auch konkludent erfolgen kann. Hinsichtlich der objektiven Anknüpfung wird entweder auf das Statut des Hauptvertrags oder aber auf das Recht des Schiedsortes. Das so ermittelte Schiedsvereinbarungsstatut entscheidet auch über die Frage, ob die Schiedsklausel überhaupt wirksam abgeschlossen wurde.
2. Die Verweisung ist im Grundsatz Gesamtverweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Diese nimmt das chinesische IPR an. Es gilt das Gesetz der Volksrepublik China zur Anwendung des Rechts auf zivilrechtliche Beziehungen mit Außenberührung vom 28.10.2010.
(Einsender: Prof. Dr. Michael Stürner, Leitsätze von Livia Biasco, Köln)

Auf die Regressklage gegen den Haftpflichtversicherer des Anhängers anwendbares Recht
OLG Stuttgart 22.6.2021 – 10 U 369/20
Wenn nach einem Unfall zweier in Rumänien zugelassener und versicherter Fahrzeuge in Deutschland das auf den Versicherungsvertrag zwischen dem zuerst regulierenden Haftpflichtversicherer der Zugmaschine und seinem Versicherungsnehmer anwendbare rumänische Recht abweichend von der deutschen Rechtslage weder eine Halterhaftung des Anhängerhalters gegenüber dem Geschädigten noch einen Direktanspruch des Geschädigten gegen den Anhängerversicherer vorsieht, findet auf die Regressklage gegen den Haftpflichtversicherer des Anhängers deutsches Recht Anwendung.
(Einsender: OLG Stuttgart; Leitsatz von Aaron Jeschor, Köln)

Inlandsbezug, Kindeswohl und Wertvorstellungen ausländischer Kulturkreise
KG Berlin 23.12.2020 – 16 UF 10/20
1. Bei einem hinreichenden Inlandsbezug bestimmen sich die Maßstäbe, an denen das „Kindeswohl" im Sinne von § 1684 Abs. 4 BGB zu messen ist, nicht nach den Wertvorstellungen ausländischer Kulturkreise, sondern nach der Werteordnung des Grundgesetzes und den im Inland anerkannten gesellschaftlichen Werte- und Moralvorstellungen.
2. Nachdem Art. 9 Abs. 3 UN-Kinderrechtskonvention das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, nur gewährt, soweit dies nicht seinem Wohl widerspricht, bietet die UN-Kinderrechtskonvention vom 20.11.1989 im Ergebnis kein höheres Schutzniveau als bereits durch § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB vermittelt wird.

Art. 56 HUntGÜ: Intertemporale Anwendbarkeit im Verhältnis zur Türkei
OLG Karlsruhe 16.1.2020 – 10 WF 1/19
1. Rechtlicher Maßstab ist in erster Linie das Haager Übereinkommens vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (HUntGÜ), das im Verhältnis zur Türkei nach deren Beitritt seit dem 1.2.2017 die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen über Unterhaltsverpflichtungen regelt.
2. In intertemporaler Hinsicht erklärt Art. 56 Abs. 1 lit. b HUntGÜ das Übereinkommen für anwendbar, wenn der Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach Inkrafttreten des Übereinkommens bei der zuständigen Stelle des Vollstreckungsstaates gestellt wurde. Nachdem vorliegend der Antrag der Antragstellerin am 9.8.2018 beim Landgericht Karlsruhe einging, ist das HUntGÜ anwendbar und ersetzt insoweit das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 02.10.1973, Art. 48 HUntGÜ.
3. Nach der Übergangsvorschrift des Art. 56 Abs. 2 HUntGÜ kommt auf die Frage der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer – wie hier – vor Inkrafttreten des HUntGÜ ergangenen Entscheidung das (anerkennungsfreundlichere) Regime des HUntGÜ zur Anwendung.
(Einsender: Prof. Dr. Michael Stürner)

Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO und Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge
LG Berlin 7.1.2022 – 67 O 31/21
1. Personen mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats können gem. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Der Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" ist unabhängig vom jeweiligen nationalen Rechtsverständnis autonom auszulegen.
2. Bei einer Klage auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge genügt für die Anwendung des Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO die Feststellung, dass ohne eine freiwillig eingegangene vertragliche Beziehung zwischen den Parteien nicht gezahlt worden wäre und kein Rückgewähranspruch bestünde.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)

Vollstreckung ungarischer Mautgebühr und ordre public
LG Frankfurt a.M. 22.12.2021 – 2-01 S 78/21
1. Die Halterhaftung in der ungarischen MautVO begründet keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public. Auch nach dem Bundesfernstraßenmautgesetzes (BFStrMG) besteht eine Haftung des Halters für die Autobahnmaut. Es macht für die Frage, ob ein Verstoß gegen den deutschen ordre public vorliegt, keinen entscheidenden Unterschied, ob die Ausgestaltung öffentlich-rechtlich oder zivilrechtlich ist.
2. Zwar ist davon auszugehen, dass durch die Nutzung der ungarischen Autobahn ein Vertrag zulasten des Halters abgeschlossen wird. Doch kann ein Verstoß gegen den deutschen ordre public auch nicht damit begründet werden, dass es sich bei der Halterhaftung um einen Vertrag zulasten Dritter handle, der dem deutschen Recht fremd sei.
3. Auch die gemäß § 7/A Abs. 10 S. 2 MautVO zu erhebende erste Zusatzgebühr verstößt nicht offensichtlich gegen die deutsche öffentliche Ordnung. Denn bei der ersten Erhöhung handelt es sich um eine mit den Kosten des mit der nachträglichen Mauterhebung einhergehenden Verwaltungsaufwands zu rechtfertigenden pauschalen Schadensersatzes. Auch die deutliche Erhöhung der Zusatzgebühr nach Ablauf von 60 Tagen um das Vierfache vermag einen Verstoß gegen den ordre public nicht zu begründen. Denn auch das deutsche Recht kennt mit § 288 BGB eine klare Sanktionierung des Zahlungsverzugs.

AGB-Rechtswahl und Klauselkontrolle
LG Landshut 19.11. 2021 – 54 O 2882/20
Rechtswahlklauseln in den allgemeinen Geschäftsbedingungen eines im Vereinigten Königreich ansässigen Luftfahrtunternehmens sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit an § 305 c BGB zu messen, wenn der gewöhnliche Aufenthalt der betroffenen Passagiere in Deutschland liegt.
(Leitsatz von Livia Biasco, Köln)

Auskunft zum Inhalt ausländischen Rechts über Richternetzwerke
AG Hamm 12.3.2021 – 3 F 25/21
Über den inländischen Verbindungsrichter kann sich ein Familiengericht an den ausländischen Verbindungsrichter im Europäischen Justiziellen Netz für Zivil- und Handelssachen oder im Internationalen Haager Richternetzwerk wenden, um Auskunft zu dem anwendbaren ausländischen Recht und dessen konkreter Auslegung zu erlangen.
(Einsender und Verfasser des Leitsatzes: Dr. Martin Menne, Richter am KG)

Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO und Lehrer-Amtshaftung mit Auslandsbezug
OGH 16.11.2021 – 1 Ob 186/21s
1. Es besteht kein Amtshaftungsanspruch bei der Verletzung von Aufsichtspflichten durch einen beamteten Lehrer bei einer Amtshaftung mit Auslandsbezug.
2. Auch bei der Einstufung der Schadensersatzklage gegen den für einen ausländischen Dienstgeber tätigen beklagten Lehrer einer öffentlichen Schule, der den Kläger verletzt haben soll, ist auf die Haftung des Lehrers als Zivilsache im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO deutsches Recht anzuwenden.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)

Örtliche Zuständigkeiten nach der EuMahnVO in Österreich
OGH 15.11.2021 – 10 Nc 21/21a
1. Für das Verfahren nach der Europäischen Mahnverfahrensverordnung ist in Österreich nach § 252 Abs. 2 ZPO ausschließlich das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zuständig. Es hat bei Vorliegen einer Mahnklage anhand des Antragsformulars nach Art. 8 EuMahnVO zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung eines Zahlungsbefehls (Art. 2, 3, 4, 6 und 7 EuMahnVO) gegeben sind. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Gericht einen Europäischen Zahlungsbefehl zu erlassen (Art. 12 EuMahnVO).
2. Nach einem fristgerechten Einspruch ist das Verfahren – außer im hier nicht verwirklichten Fall eines gegenteiligen Antrags des Antragstellers – vor den zuständigen österreichischen Gerichten gemäß den Regeln des nationalen Zivilverfahrens weiterzuführen (Art. 17 Abs. 1 EuMahnVO), wobei die Überleitung nach dem Verfahrensrecht dieses Staats zu erfolgen hat (Art. 17 Abs. 2 EuMahnVO).
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)

HKÜ und rechtliches Interesse an der Rückführungsentscheidung bei Rückkehr vor Entscheidungskraft
OGH 15.11.2021 – 6 Ob 214/21z
1. Ob sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt hat, ist lediglich nach Art. 12 Abs. 2 HKÜ, also in solchen Fällen von Bedeutung, in denen der Rückführungsantrag erst nach Ablauf der Jahresfrist eingegangen ist.
2. Kehrt das Kind vor der Entscheidung in erster Instanz in den Herkunftsstaat zurück, ist das Verfahren einzustellen, weil in einem solchen Fall der Entführungstatbestand zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht mehr verwirklicht ist.
3. Kehrt das Kind hingegen erst nach der Rückführungsentscheidung, aber noch vor deren Rechtskraft in den Herkunftsstaat zurück, sei es „freiwillig" mit dem Entführer, sei es zwangsweise, fällt das rechtliche Interesse des Antragsgegners an der Entscheidung jedoch nicht weg; über sein Rechtsmittel ist daher zu entscheiden.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)

HKÜ: Rückführung und Verdacht des Kindesmissbrauchs
EGMR 23.11.2021, Beschwerdenummer 12.937/20
In einem Kindesrückgabeverfahren nach dem HKÜ ist der von einem Kind mit ausreichender Einsichtsfähigkeit zum Ausdruck gebrachte Wunsch, bei seiner Mutter oder seinem Vater bleiben zu wollen, ein Schlüsselelement. Ein Widerstand von Seiten des Kindes, sich bei einem Elternteil in einem bestimmten Land niederzulassen, steht jedoch einer Rückgabe nicht zwingend im Weg. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Kind noch keinen ausreichenden Grad an Reife erlangt hat, um die Tragweite der mit Kindesentführung verbundenen – oftmals komplexen – Fragen zu begreifen.
Die von den Gerichten getroffene Anordnung, ein von seiner Mutter entführtes Kind gegen seinen Willen in das Land, wo auch sein unter dem Verdacht des Kindesmissbrauchs stehender Vater lebt, zurückzuschicken, stellt dann keine Verletzung von Art. 8 EMRK dar, wenn die Gerichte nach Durchführung eines fairen Verfahrens angemessene Schritte unternommen haben, um das Wohlergehen des Kindes im Zielstaat zu garantieren, und es die Heimreise mit seiner Mutter antreten kann, welche sich dort um das Kind kümmern wird.

 

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