Heft 6/2021 (November 2021)
Überprüfung Rom II-VO
Das Britische Institut für Internationales Recht und Rechtsvergleichung (BIICL) hat eine Studie zur Unterstützung der Erstellung eines Berichts über die Anwendung der Rom II-Verordnung veröffentlicht, die es im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführt hat. Die Studie bewertet die zehnjährige Anwendung der Rom II-Verordnung in den Mitgliedsstaaten und soll die Kommission bei zukünftigen Reformen anleiten.
Die Studie ist verfügbar unter: https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/11043f63-200c-11ec-bd8e-01aa75ed71a1
Art. 35 EuGVVO: Verfahrenskonkurrenzen und Schutz des Staates vor Geldforderungen im Einstweiligen Rechtsschutz
EuGH 6.10.2021 – Rs. C-581/20 – Skarb Państwa Rzeczypospolitej Polskiej reprezentowany przez Generalnego Dyrektora Dróg Krajowych i Autostrad ./.TOTO SpA u.a.
1. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein nach den allgemeinen Rechtsvorschriften beim Gericht eines Mitgliedstaats anhängig gemachter und betriebener Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz betreffend Vertragsstrafen wegen der Erfüllung eines Vertrags über den Bau einer öffentlichen Schnellstraße, der auf eine Ausschreibung, deren Auftraggeber eine öffentliche Einrichtung ist, geschlossen wurde, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Bestimmung fällt.
2. Art. 35 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen nach dieser Vorschrift befasst ist, sich nicht für unzuständig zu erklären hat, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats bereits über einen Antrag entschieden hat, der denselben Gegenstand hat, aus demselben Grund gestellt wurde und dieselben Parteien betrifft.
3. Art. 35 EuGVVO dahin auszulegen, dass ein Antrag auf einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen nach dem Recht des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts zu prüfen ist und dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Zusammenhang mit einer Klage betreffend Geldforderungen gegen den Staat oder eine öffentliche Einrichtung unzulässig ist, nicht entgegensteht.
Art. 19 Abs. 1 EUV: Gewährleistung der Unabhängigkeit der Richter vor nationalstaatlichen Eingriffen zum Schutz der Anwendung des Unionsrechts
EuGH 6.10.2021 – Rs. C-487/19 – W.Ż. ./. Prokurator Generalny zastępowany przez Prokuraturę Krajową u.a.
Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem Ablehnungsantrag im Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf befasst ist, mit dem ein Richter, der in einem Gericht tätig ist, das Unionsrecht auslegen und anwenden kann, eine Entscheidung anficht, durch die er ohne seine Zustimmung versetzt wurde, einen Beschluss als nicht existent anzusehen hat, mit dem ein letztinstanzlich und in Einzelrichterbesetzung entscheidender Spruchkörper diesen Rechtsbehelf zurückgewiesen hat, wenn eine solche Folge in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten, und wenn sich aus der Gesamtheit der Bedingungen und Umstände, unter denen das Verfahren zur Ernennung dieses Einzelrichters stattgefunden hat, ergibt, dass die Ernennung unter offensichtlicher Verletzung der Grundregeln erfolgt ist, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit des betroffenen Justizsystems sind, und dass die Integrität des Ergebnisses dieses Ernennungsverfahrens dadurch gefährdet ist, dass bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des betreffenden Richters geweckt werden, so dass der genannte Beschluss nicht als von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erlassen angesehen werden kann.
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ 2007: Auslandsbezug nach Vertragsschluss
EuGH 30.9.2021 – Rs. C-296/20 – Commerzbank AG ./. E.O.
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ 2007, dessen Abschluss im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit dem Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 genehmigt wurde, ist dahin auszulegen, dass diese Vorschrift die Zuständigkeit für den Fall bestimmt, dass der beruflich oder gewerblich Handelnde und der Verbraucher, die Parteien eines Verbrauchervertrags sind, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in demselben durch das Übereinkommen gebundenen Staat ansässig waren und ein Auslandsbezug des Rechtsverhältnisses erst nach dem genannten Vertragsschluss aufgrund dessen entstanden ist, dass der Verbraucher seinen Wohnsitz später in einen anderen durch das Übereinkommen gebundenen Staat verlegt hat.
Art. 3 Abs. 1 lit. b, Art. 83 Abs. 2 EuErbVO: Vertragliche Rechtswahl für Einzelliegenschaft
EuGH 9.9.2021 – Rs. C-277/20 – UM ./. HW als Nachlassverwalter des ZL u.a.
1. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO ist dahin auszulegen, dass ein Vertrag, in dem eine Person vorsieht, dass bei ihrem Tod das Eigentum an einer ihr gehörenden Liegenschaft auf andere Vertragsparteien übergeht, einen Erbvertrag im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
2. Art. 83 Abs. 2 EuErbVO ist dahin auszulegen, dass er nicht auf die Prüfung der Wirksamkeit einer Rechtswahl anzuwenden ist, die vor dem 17. August 2015 lediglich für einen Erbvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b dieser Verordnung, der einen bestimmten Vermögenswert des Erblassers und nicht dessen gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen betrifft, getroffen wurde.
Art. 6 lit. a, Art. 7 lit. a und Art. 39 EuErbVO: Gerichtliche Unzuständigerklärungen
EuGH 9.9. 2021 – Rs. C-422/20 – RK./. CR
1. Art. 7 lit. a EuErbVO ist dahin auszulegen, dass es für eine Unzuständigerklärung im Sinne von Art. 6 lit. a dieser Verordnung zugunsten der Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Recht der Erblasser gewählt hat, nicht erforderlich ist, dass sich das zuvor angerufene Gericht ausdrücklich für unzuständig erklärt hat. Diese Absicht muss indessen eindeutig aus der Entscheidung, die es in dieser Hinsicht erlassen hat, hervorgehen.
2. Art. 6 lit. a, Art. 7 lit. a und Art. 39 EuErbVO sind dahin auszulegen, dass das Gericht des Mitgliedstaats, das infolge einer Unzuständigerklärung angerufen wird, nicht befugt ist, zu prüfen, ob die in diesen Bestimmungen aufgestellten Voraussetzungen für die Unzuständigerklärung des zuvor angerufenen Gerichts erfüllt waren.
3. Art. 6 lit. a und Art. 7 lit. a EuErbVO sind dahin auszulegen, dass die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften auch dann anwendbar sind, wenn der Erblasser in seinem vor dem 17. August 2015 errichteten Testament nicht das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht gewählt hat und sich die Bestimmung dieses Rechts nur aus Art. 83 Abs. 4 dieser Verordnung ergibt.
Art. 1 Abs. 1 lit. a EuBewVO, Art. 5 Abs. 1 EuGVVO: Anschriftenermittlung und Mahnbescheid
EuGH 9.9.2021 – verb. Rs. C-208/20 und C-256/20 – „Toplofikatsia Sofia" EAD u.a.
1. Art. 1 Abs. 1 lit. a EuBewVO ist dahin auszulegen, dass er nicht auf eine Situation anwendbar ist, in der ein Gericht eines Mitgliedstaats die Anschrift in einem anderen Mitgliedstaat einer Person, der eine gerichtliche Entscheidung zuzustellen ist, zu ermitteln sucht.
2. Art. 5 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass es ihm nicht zuwiderläuft, dass ein Mahnbescheid gegen einen Schuldner vollstreckbar wird, und dass er nicht vorschreibt, einen solchen Bescheid außer Kraft zu setzen.
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Mosaiktheorie bei unlauterem Wettbewerb im Internet
Schlussanträge des Generalanwalts Gerhard Hogan beim EuGH 16.9.2021 – Rs. C-251/20
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein Kläger, der sich auf ein unlauteres Wettbewerbsverhalten beruft, das in der Verbreitung verunglimpfender Äußerungen im Internet besteht, und der sowohl die Richtigstellung der Angaben als auch die Entfernung bestimmter Inhalte sowie den Ersatz des hieraus entstandenen immateriellen und wirtschaftlichen Schadens begehrt, vor den Gerichten eines jeden Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die online veröffentlichten Inhalte zugänglich sind oder waren, nur auf Ersatz des Schadens klagen kann, der im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verursacht wurde. Die Anrufung dieser Gerichte setzt jedoch voraus, dass der Kläger nachweisen kann, dass er in diesem Zuständigkeitsbereich über eine erhebliche Zahl von Abnehmern verfügt, die zu der in Rede stehenden Veröffentlichung Zugang gehabt und diese verstanden haben dürften.
Auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Herausgabeklage fällt nicht unter Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVVO 2001
Schlussanträge des Generalanwalts Henrik Saugmandsgaard Øe beim EuGH 9.9.2021 – Rs. C-242/20
Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 EuGVVO 2001 sind dahin auszulegen, dass eine auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Klage auf Herausgabe
–nicht unter die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" im Sinne der erstgenannten Vorschrift fällt, es sei denn, sie ist eng mit einem früheren Vertragsverhältnis verbunden, das zwischen den Parteien des Rechtsstreits besteht oder bestehen soll, und
–nicht unter die Wendung „unerlaubte Handlung oder ... Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder ... Ansprüche aus einer solchen Handlung" im Sinne der zweitgenannten Vorschrift fällt.
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bei Internetbetrug
BGH 20.7.2021 – VI ZR 63/19
Macht ein in Deutschland ansässiger Kläger geltend, er habe aufgrund vorsätzlich falscher Angaben des in Bulgarien ansässigen Beklagten über den Zustand einer Sache in einer auf einer Internetplattform eingestellten Verkaufsanzeige einen Kaufvertrag abgeschlossen und den vereinbarten Kaufpreis an den Beklagten überwiesen und stützt der Kläger den Schadensersatzanspruch ausschließlich auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB, ist für diese Klage der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet.
Funktionelle Zuständigkeit bei Rechtsbehelf gegen Vollstreckungsversagung
BGH 15.7.2021 – IX ZB 73/19
Der in der Bundesrepublik Deutschland als sofortige Beschwerde ausgestaltete unionsrechtliche Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag auf Versagung der Vollstreckung kann fristwahrend nur beim Oberlandesgericht eingelegt werden.
Art. 31 Abs. 2 EuGVVO und einseitig ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen
BGH 15.6.2021 – II ZB 35/20
Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist auf einseitig ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden, wenn durch die Vereinbarung eine ausschließliche Zuständigkeit des später angerufenen Gerichts zulasten der vor dem erstbefassten Gericht klagenden Partei vereinbart wurde.
Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 und fiktive Zustellung
BGH 9.6.2021 – XII ZB 416/19
1. Nach Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 ist nicht auf die formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung vom Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis vom laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.
2. Ob im Fall einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung vom Verfahren die Verteidigungsrechte des Antragsgegners im Sinne von Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 gewahrt sind, ist im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
3. Der Versagungsgrund des Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 entfällt nicht dadurch, dass der Antragsgegner nach Erlangung der Kenntnis von der ausländischen Entscheidung keinen nach der Verfahrensordnung des Ursprungsstaats zulässigen Rechtsbehelf eingelegt hat.
Prüfung doppelrelevanter Tatsachen und gewöhnlicher Arbeitsort gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. b sublit. i EuGVVO
LAG Niedersachsen 12.07.2021 – 12 Sa 1341/20
1. a) Im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit nach der EuGVVO ist nicht erforderlich, zu strittigen Tatsachen, die sowohl für die Frage der Zuständigkeit als auch für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs von Relevanz sind, ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen, weil dies die Gefahr birgt, der Begründetheitsprüfung vorzugreifen.
b) Der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers ist für die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausreichend, weil es im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nach der EuGVVO nicht erforderlich ist, ein umfassendes Beweisverfahren zur strittigen Tatsache des gewöhnlichen Arbeitsorts des Arbeitnehmers durchzuführen, da diese – nach der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen – sowohl für die Zuständigkeit als auch für das Bestehen des Klaganspruchs, namentlich für die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach der Rom I-VO, relevant ist und erst in der Begründetheitsprüfung näher untersucht werden muss.
2. a) Unter dem gewöhnlichen Arbeitsort gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. b sublit. i EuGVVO, ist der Ort zu verstehen, an dem der Arbeitnehmer die mit seinem Arbeitgeber vereinbarten Tätigkeiten tatsächlich ausübt, und dass dies, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehr als einem Vertragsstaat ausübt, der Ort ist, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber hauptsächlich erfüllt und, in Ermangelung eines Mittelpunkts der Tätigkeit, sich auf den Ort bezieht, an dem oder von dem aus er den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt.
b) Für die Bestimmung des Mittelpunkts der Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer die ihm übertragene Aufgabe von einem Büro in einem Vertragsstaat aus erfüllt hat, von dem aus er seine Arbeit für seinen Arbeitgeber organisierte, wo er seinen Wohnsitz begründet hatte, von wo aus er seinen Tätigkeiten nachging und wohin er nach jeder im Zusammenhang mit seiner Arbeit stehenden Auslandsreise zurückkehrte.
c) Die "an dem" -Klausel gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. b sublit. i Alt. 1 EuGVVO und die "von dem aus" -Klausel gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. b sublit. i Alt. 2 EuGVVO stehen zueinander in einem Subsidiaritätsverhältnis. Ersteres liegt dann vor, wenn der Arbeitsort nicht lediglich als ein gewöhnlicher Arbeitsantrittsort fungiert und damit weder eine Art Stützpunkt noch Basis ist, sondern vielmehr den Mittelpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers bildet. Nur wenn es keinen Ort gibt, "an dem" die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, kommt die "von dem aus" -Klausel zum Zuge, die auf schwächere Bezüge ausweicht, da es die stärkeren Bezüge des "an dem" eben konkret nicht gibt.
§§ 202 SGG, 293 S. 1 ZPO: Beweiserhebung über ausländisches Recht
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen 18.5.2021 – L 18 KN 69/16
Über ausländisches Recht (hier: griechisches Prozessrecht) ist Beweis zu erheben, solange das Gericht nicht selbst über besondere Sachkunde verfügt, §§ 202 SGG, 293 S. 1 ZPO. Das so ermittelte und ggf. ausgelegte ausländische Recht ist irreversibel, weil es sich dabei um Tatsachenfeststellungen handelt.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)
§ 110 ZPO: Sicherheitsleistung nach Brexit
OLG Frankfurt a. M. 9.9.2021 – 11 U 84/18 (Kart)
Im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ansässige Kläger haben seit Ablauf der Übergangsfrist des Brexit-Austrittsabkommens auf Verlangen gemäß § 110 ZPO Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten.
Regressansprüche bei Unfall eines Gespanns aus Zugfahrzeug und Anhänger: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
OLG Karlsruhe 20.8.2021 – 12 U 155/21
1. Nach einem Unfall eines Gespanns aus Zugfahrzeug und Anhänger in Deutschland, wobei sowohl das Zugfahrzeug als auch der Anhänger im Ausland in je unterschiedlichen Ländern zugelassen und haftpflichtversichert sind, richtet sich der Innenausgleich der Haftpflichtversicherer von Zugfahrzeug und Anhänger nach deutschem Recht.
2. Ferner sind deutsche Gerichte international für solche Regressansprüche zuständig.
(Leitsätze von Aaron Jeschor, Köln)
Nachlassspaltung nach thailändischem IPR
OLG Hamm 10.8.2021 – 10 W 53/21
Für das unbewegliche Vermögen aus dem Nachlass gilt gem. § 37 des thailändischen IPRG das Recht des Ortes, an dem sich dieses befindet. Unbewegliches Eigentum auf deutschem Territorium unterliegt demnach deutschem Erbrecht.
Rechtsbindungswille bei Genehmigungserklärung nach Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ
OLG Saarbrücken 9.8.2021 – 6 UF 105/21
1. An den Rechtsbindungswillen einer Genehmigungserklärung nach Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ sind besonders hohe Anforderungen zu stellen.
2. Die in § 68 Abs. 5 FamFG (in seiner seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung) enthaltene Regelung, bestimmte kindschaftsrechtliche Hauptsacheverfahren von der Anwendung des § 68 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 1 FamFG auszunehmen, findet auf HKÜ-Verfahren keine - auch keine entsprechende - Anwendung.
Brexit: Keine Gründungstheorie nach Handels- und Kooperationsabkommen
OLG München 5.8.2021 – 29 U 2411/21
1. Seit dem Vollzug des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gem. Art. 50 EUV durch Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2020 ist eine britische Limited, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat, nach der sogenannten milden Form der Sitztheorie je nach tatsächlicher Ausgestaltung als GbR, OHG oder – bei nur einer Gesellschafterin – als einzelkaufmännisches Unternehmen zu behandeln.
2. Eine Fortgeltung der Gründungstheorie mit der Konsequenz der fortbestehenden Rechts- und Parteifähigkeit einer britischen Limited trotz tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland wie unter der Geltung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV folgt nicht aus dem Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020 (ABl. L 444/2020 vom 31.12.2020), weil es keine Vorschriften enthält, die ausdrücklich und unmittelbar die Niederlassungsfreiheit gewähren, sondern sich aus seinem Anhang SERVIN-1 Nr. 10 vielmehr ergibt, dass die Parteien des Abkommens die Niederlassungsfreiheit gerade nicht in Bezug nehmen oder vereinbaren wollten.
Streitgenossenschaft zwischen Reiseveranstalter und Luftbeförderungsunternehmen bei Klage des Reisenden
BayObLG 22.7.2021 – 102 AR 51/21
1. Macht der Reisende mit seiner Klage gegen den Reiseveranstalter, bei dem er eine Pauschalreise mit Flugbeförderung gebucht hat, und das Luftbeförderungsunternehmen, das der Veranstalter mit der Durchführung der Beförderungsleistung beauftragt hat, einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertraglicher Pflichten geltend, der über diejenigen Rechte hinausgeht, die dem Fluggast gegen das Luftbeförderungsunternehmen nach der Fluggastrechteverordnung zuerkannt werden, so kommt eine Streitgenossenschaft zwischen Reiseveranstalter und Luftbeförderungsunternehmen in Betracht.
2. Für die Klage des in Deutschland wohnhaften Reisenden gegen das in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässige Luftfahrtunternehmen wegen Verletzung von Leistungspflichten, die der Pauschalreisende nach den Grundsätzen des Vertrags zugunsten Dritter aus eigenem Recht gegenüber dem Luftfahrtunternehmen beanspruchen kann, ist am inländischen vertraglichen Abflugort der unionsrechtlich determinierte Gerichtsstand des Erfüllungsorts eröffnet.
3. Dort befindet sich auch der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach autonom nationalem Zivilprozessrecht für die Klage des Reisenden gegen den im Inland ansässigen Pauschalreiseveranstalter wegen Verletzung der vertraglichen Pflicht, dem Reisenden die vereinbarte Beförderungsleistung zu verschaffen.
Brasilien: Substitution bei Ausschlagung der Erbschaft
OLG Köln 14.7.2021 – 2 Wx 119/21
1. Die Form einer in Brasilien erklärten Ausschlagung der Erbschaft nach einem in Deutschland verstorbenen Erblasser richtet sich alternativ nach brasilianischem Recht (Ortsform) oder nach deutschem Recht (das anzuwendende Erbrecht).
2. Die notwendige notarielle Beglaubigung der Unterschrift des Ausschlagenden kann im Wege der Substitution durch die Beglaubigung einer vergleichbaren autorisierten Person des brasilianischen Rechts ersetzt werden.
AGB und Genussrechte im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, Materiellrechtliche Qualifikation von Prozesszinsen
HansOLG Bremen 1.7.2021 – 3 U 39/20
1. Die Wahl des österreichischen Rechts in Genussrechtsbedingungen ist nicht überraschend i.S.d. § 864a ABGB, wenn die Emittentin ihren Sitz in Österreich hat und dies für den Anleger auch ohne Weiteres erkennbar ist.
2. Die Emittentin von Genussrechten trifft die Pflicht, vertragswidrige Beeinträchtigungen des Genussrechtskapitals zu unterlassen bzw. zu unterbinden. Verletzt sie diese Pflicht, indem sie die Genussrechte im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung ohne angemessenen Ausgleich (Gewährung gleichwertiger Rechte oder Abfindung) zum Untergang bringt, kann eine vertragliche Schadensersatzverpflichtung gegenüber den betroffenen Anlegern entstehen.
3. Ob ein Anspruch auf Prozesszinsen besteht, richtet sich nach dem auf den Rechtsstreit anwendbaren Sachrecht und nicht nach dem anwendbaren Prozessrecht. Denn bei dem Anspruch auf Prozesszinsen handelt es sich um einen materiell-rechtlichen Anspruch, so dass die lex fori nicht zur Anwendung gelangt.
Art. 17 Abs. 1 lit. c der EuGVVO erfasst auch Leistungskondiktion
LG Waldshut-Tiengen 21.9.21 – 2 O 296/20
1. Der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag" i.S.d. Art. 17 Abs. 1 lit. c der EuGVVO ist weit zu verstehen und umfasst auch den Anspruch auf Rückgewähr von Beträgen, die auf der Grundlage eines Vertrags ohne Rechtsgrund gezahlt wurden.
2. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO darf eine vom Heimatrecht des Verbrauchers abweichende Rechtswahl nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Abs. 1 der Norm anwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und ASE-Vertrag
LG München I 3.9.2021 – 37 O 9343/21
1. Wird dem in Luxemburg ansässigen Betreiber eines Online Marktplatzes der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Sperrung des Verkäuferkontos eines in Deutschland ansässigen Händlers vorgeworfen, sind deutsche Gerichte gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international zuständig, denn eine Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages ist zur Beurteilung der Begründetheit der Klage nicht unerlässlich.
2. Hat der jeweilige Händler seinen Geschäftssitz in Deutschland, begründet dieser die örtliche Zuständigkeit gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, wenn nicht aus anderen Gründen eine engere Verbindung zu einem anderen Gerichtsstandort gegeben ist.
3. Soweit die Verfügungsklägerin ihr Unterlassungsbegehren auf einen vertraglichen Anspruch aus dem ASE-Vertrag stützt, beurteilt sich die internationale Zuständigkeit dagegen nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO begründet im Falle einer Anspruchskonkurrenz auch keine Annexzuständigkeit kraft Sachzusammenhangs auch für die vertraglichen Ansprüche.
Art. 25 EuGVVO und § 20 Abs. 3 S. 3 SchVG
LG Stuttgart 13.7.2021 – 31 O 69/20 KfH
§ 20 Abs. 3 S. 3 SchVG (Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen) gilt im Anwendungsbereich des Art. 25 EuGVVO und wird nicht durch diesen überlagert. Demnach ist in Bezug auf Schuldner mit Sitz im Inland ausschließlich das Gericht am Sitz des Schuldners und in Bezug auf Schuldner mit Sitz im Ausland ausschließlich das Landgericht Frankfurt am Main zuständig.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)
Französisches Schadensrecht bei Verkehrsunfall
LG Karlsruhe 9.7.2021 – 6 O 175/17
1. Wurde das Fahrzeug nach einem Verkehrsunfall in Frankreich in Eigenregie repariert, so sind bei der Schadensregulierung die für die Instandsetzung tatsächlich verauslagten Kosten zu Grunde zu legen. Diese Kosten sind vom Sachverständigen bei dem Unfallgeschädigten zu erheben. Auf Gutachtensbasis kann nicht mehr reguliert werden.
2. Der Geschädigte hat vor einer Veräußerung des reparierten Fahrzeugs für die gebotene Nachweisbarkeit Sorge zu tragen, sei es durch Sicherung der Kette an Informationen, wo das Fahrzeug durch den Sachverständigen besichtigt werden kann, oder durch den Antrag an das Gericht, wegen der beabsichtigten Veräußerung parallel zum einzuholenden Rechtsgutachten, die vom Gericht angeordnete zweistufige Beweiserhebung beginnen zu lassen und damit dem Schadensgutachter die Besichtigung des Fahrzeugs zu ermöglichen.
3. Eine Wertminderung ist nicht nur dann zu ersetzen, wenn es sich um ein besonders hochwertiges und neuwertiges Fahrzeug handelt. Sie ist dabei nach den Maßstäben des Landes zu bewerten, in dem das Fahrzeug zugelassen ist.
4. Auch wenn der Zinsanspruch nach dem französischen Schadensrecht zu bestimmen ist, können die Zinsen mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und zeitlich ab Rechtshängigkeit nach Maßgabe der §§ 288, 291 BGB berechnet werden, wenn die Beklagte weder dieser geltend gemachten Zinshöhe noch dem Zinsbeginn entgegentritt.
Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO: Nachträgliche Rechtswahl bei Urheberrechtsverletzung in internationalen Gewässern
LG Hamburg 18.06.2021 – 310 O 317/19
Ungeachtet von Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO ist eine nachträgliche Rechtswahl deutschen Urheberrechts durch die Parteien wirksam, wenn die urheberrechtsverletzende Handlung und deren Erfolg (hier nach §§ 20, 20b, 22 UrhG) an Bord eines Schiffes in internationalen Gewässern stattgefunden hat und bei objektiver Anknüpfung gleich gewichtige Verbindungen zum deutschen Recht (hier wegen des Sitzes des Schiffseigners in Deutschland) und zu einer anderen Rechtsordnung (hier zum maltesischen Recht wegen des Orts der Schiffsregistrierung) bestehen würden.
Wirksamkeit einer Zustellung nach der EuZustVO
LG Hamburg 25.2.2021 – 327 O 433/19
1. Für die Wirksamkeit einer Zustellung nach der EuZustVO ist es unerheblich, wenn auf dem Formblatt nach Anlage II zur EuZustVO die Telefonnummer der Empfangsstelle nicht angegeben ist.
2. Auch im Anwendungsbereich der EuZustVO kommt eine Heilung grundsätzlich in Betracht, wobei sich die Heilung nach den Vorschriften des Übermittlungsmitgliedstaats bemisst, wenn nicht ein Verstoß gegen die EuZustVO selbst in Rede steht.
3. Dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVVO ist nicht zu entnehmen, dass die auf den anderen Mitgliedsstaat ausgerichtete Tätigkeit das Aktivgeschäft betreffen muss. Eine solche einschränkende Auslegung wäre auch mit Blick auf den Verbraucherschutzzweck der EuGVVO jedenfalls dann unzulässig, wenn das auf die Verbraucher in einem anderen Mitgliedsstaat ausgerichtete Geschäft gerade die Einnahme von Anlegergeldern betrifft und einen wesentlichen Teil der unternehmerischen Tätigkeit ausmacht.
4. Rechtshängigkeitszinsen unterliegen der lex fori, auch wenn auf den zu verzinsenden Anspruch ein anderes Sachrecht anzuwenden ist.
Art. 7 Abs. 2 EuGVVO: Keine Zuständigkeit bei Pressedelikt ohne direkten Klägerbezug
Berufungsgericht Warschau 16.7.2021 – I ACz 605/1
1. Art. 7 Abs. 2 EuGVVO kann – unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung C-800/19 – nicht in der Hinsicht ausgelegt werden, dass in einer Situation, in der der Kläger sich durch einen von einem deutschen Verlag veröffentlichten Text in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sieht, aber als Person im Text weder direkt noch indirekt beschrieben wird (hier: lediglich Verwendung des Begriffs „polnisches Vernichtungslager"), die Klage vor dem Gericht des Ortes erhoben werden kann, an dem der Kläger seinen Lebensmittelpunkt hat.
2. Eine dessen ungeachtet erhobene Klage ist mangels nationaler Zuständigkeit der polnischen Gerichte gemäß Art. 1099 § 1 S. 2 poln. Zivilprozessordnung abzuweisen.
(Leitsätze von Aaron Jeschor, Köln)
Art. 8 Abs.1 EuEheVO: Gewöhnlicher Kindesaufenthalt
OGH 23.6.2021 – 6 Ob 78/21w
1. Unter dem gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes i.S.d. Art. 8 Abs.1 EuEheVO ist nach ständiger Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs der Ort zu verstehen, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist.
2. Dabei hat das nationale Gericht alle tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Von Bedeutung ist insbesondere die Dauer, Regelmäßigkeit und Gründe des Aufenthalts im Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort der Einschulung, Sprachkenntnisse und familiäre und soziale Bindungen im betreffenden Staat.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)
Anknüpfungsgegenstand des Erbstatuts und des Insolvenzstatuts
OGH 22.6.2021 – 10 Ob 42/20d
1. Das allgemeine Erbstatut ist in Art. 23 Abs. 1 EuErbVO geregelt und richtet sich hier – zufolge Art. 21 Abs. 1 EuErbVO – nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Verstorbenen zum Todeszeitpunkt.
2. Dem allgemeinen Erbstatut unterliegen
- die Gründe für den Eintritt des Erbfalls sowie dessen Zeitpunkt und Ort, worunter auch die erbrechtliche Umschreibung des Nachlasses fällt (Art. 23 Abs. 2 lit. a EuErbVO),
- der Übergang der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte, Rechte und Pflichten auf die Erben, somit zu welchem Zeitpunkt, in welcher Form (ex lege oder durch gerichtliche Entscheidung) und unter welchen Voraussetzungen mit welchen Wirkungen der Nachlass oder auch Teile davon auf die Berechtigten übergehen bzw. Ansprüche fällig werden (Art. 23 Abs. 2 lit. e EuErbVO), sowie
- die Rechte der Erben, Testamentsvollstrecker und anderer Nachlassverwalter, insbesondere im Hinblick auf die Veräußerung von Vermögen und die Befriedigung der Gläubiger (Art. 23 Abs. 2 lit. f EuErbVO).
3. Gemäß Art. 18 EuInsVO 2015 gilt für die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit über einen Gegenstand oder ein Recht, der bzw. das Teil der Insolvenzmasse ist, ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig ist.
(Leitsätze von Livia Biasco, Köln)
Art 4 EuErbVO: Gewöhnlicher Erblasseraufenthalt bei allein krankheitsbedingtem Auslandsaufenthalt
OGH 26.5.2021 – 2 Ob 48/21d
1. Für die Bestimmung des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers i.S.v Art 4 EuErbVO ist die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende besonders enge und feste Bindung zu einem Staat maßgebend.
2. Auch ein über längere Zeit andauernder, krankheitsbedingter Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts führt nicht zwingend zur Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts.
(Leitsätze von Aaron Jeschor, Köln)
Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO und Schiedsrichterhaftung
Cour d'Appel de Paris 22.6.2021 – RG 21/07623 - N° Portalis 35L7-V-B7F-CDQZJ
Eine Klage auf Feststellung der Haftung eines Schiedsrichters nach der Aufhebung eines Schiedsspruchs, die auf der Verletzung der Aufklärungspflicht des Schiedsrichters beruht, ist eng mit der Konstituierung des Schiedsgerichts und der Durchführung des Schiedsverfahrens verbunden. Sie fällt – auch wenn sie in der Sache dem allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsrecht unterliegt – unter den in Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO vorgesehenen Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit.
(Leitsätze von Hanna Freienstein, Köln)
Europäisches Kollisionsrecht ist nicht fakultativ
Cour de cassation 26.5.2021 – ECLI:FR:CCAS:2021:C100421
Aus Art. 12 Code de procédure civile und den Grundsätzen des Vorrangs und der Effektivität des Rechts der Europäischen Union folgt, dass Regeln des Europäischen Kollisionsrechts, die nicht abbedungen werden können, auch dann anzuwenden sind, wenn die Parteien sich nicht auf sie berufen.
(Leitsatz von Dr. Susanne Deißner, Köln)
Art. 15 Abs. 1, 3 ErwSÜ und Vertretungsmachtsübertragung
Cour de cassation 27.1.2021 – ECLI:FR:CCAS:2021:C100101
Aus Art. 15 Abs. 1, 3 ErwSÜ folgt, dass die Übertragung einer in der Schweiz erteilten Vertretungsmacht im Falle von Geschäftsunfähigkeit nach Frankreich nicht von einer Gültigkeitsbedingung des französischen Rechts – z.B. dem Erfordernis, dass die Vollmacht ausdrücklich Vorkehrungen für die Überwachung des Bevollmächtigten vorsehen muss –, die vom schweizerischen Recht nicht vorgesehen ist, abhängig gemacht werden darf.
(Leitsatz von Hanna Freienstein, Köln)