Heft 3/2021 (Mai 2021)
EU gegen Lugano-Beitritt des UK
Nachdem das Vereinigte Königreich am 20.4.2020 ein Beitrittsersuchen zum Lugano Übereinkommen stellte, erklärte die EU-Kommission bei einem Treffen der EU-Botschafter am 12.4.2021, dass sie einen Betritt ablehne. Als Begründung wurde angeführt, dass das Lugano Übereinkommen für die Staaten gedacht sei, die Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) sind. An beiden Wirtschaftskooperationen nimmt das Vereinigte Königreich nicht mehr teil.
Schweizerisches IPRG auf Englisch
Auf der offiziellen schweizerischen Publikationsplattform des Bundesrechts (Fedlex) wurde eine englische Übersetzung des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) veröffentlicht. Hintergrund der Veröffentlichung war unter anderem die wachsende Nachfrage nach einem Zugang zu dem Gesetz in englischer Sprache.
Das auf der Website einzusehende Gesetz ist auf dem Stand von Februar 2021 und enthält auch die neuesten Gesetzesänderungen betreffend die Distributed Ledger Technologie (DLT). Die englische Version des Gesetzes wird als „offizielle nicht-offizielle" Übersetzung bezeichnet, da sie zwar auf der offiziellen schweizerischen Publikationsplattform veröffentlicht wurde, Englisch jedoch keine Amtssprache in der Schweiz ist. Die Übersetzung dient daher primär der Informierung über das schweizerische IPR und hat keine Rechtskraft.
Die englische Version des schweizerischen IPRG ist abrufbar unter: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1988/1776_1776_1776/en
EuGVVO und Beitreibung kommunaler Parkraumgebühren
EuGH 25.3.2021 – Rs. C-307/19 – Obala i lučice d.o.o. ./. NLB Leasing d.o.o.
1. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Bestimmung ein Antrag auf Beitreibung der Tagesparkscheingebühr für einen gekennzeichneten Parkplatz auf einer öffentlichen Verkehrsfläche fällt, der von einer Gesellschaft gestellt wurde, die von einer Gebietskörperschaft mit der Verwaltung solcher Parkplätze betraut wurde.
2. Art. 24 Nr. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf Beitreibung einer Tagesparkscheingebühr für einen gekennzeichneten Parkplatz auf einer öffentlichen Verkehrsfläche nicht unter den Begriff „Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen" im Sinne dieser Bestimmung fällt.
3. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist zum einen dahin auszulegen, dass unter die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" im Sinne dieser Bestimmung ein Antrag auf Beitreibung einer Gebühr fällt, die auf einem Vertrag beruht, der das Parken auf einem der gekennzeichneten Parkplätze auf einer öffentlichen Verkehrsfläche zum Gegenstand hat, die von einer hiermit betrauten Gesellschaft organisiert und verwaltet werden, und zum anderen dahin, dass dieser Vertrag einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich dieser Verordnung darstellt.
Art. 10 EuEheVO und Entführung in einen Drittstaat
EuGH 24.3.2021 – Rs. C-603/20 PPU – SS ./. MCP
Art. 10 EuEheVO ist dahin auszulegen, dass er im Fall der Feststellung, dass ein Kind zum Zeitpunkt der Stellung eines die elterliche Verantwortung betreffenden Antrags infolge einer Entführung in einen Drittstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat erlangt hat, nicht anwendbar ist. In einem solchen Fall ist die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gemäß den anwendbaren internationalen Übereinkommen oder, in Ermangelung eines solchen internationalen Übereinkommens, gemäß Art. 14 EuEheVO zu ermitteln.
Arbeitsvertragsgerichtsstand ohne Arbeitsverrichtung
EuGH 25.2.2021 – Rs. C-804/19 – BU ./. Markt24 GmbH
1. Die Bestimmungen in Kapitel II Abschnitt 5 („Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge") der EuGVVO sind dahin auszulegen, dass sie auf eine Klage eines Arbeitnehmers mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat gegen einen Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat anzuwenden sind, wenn der Arbeitsvertrag im Wohnsitzmitgliedstaat des Arbeitnehmers ausgehandelt und geschlossen wurde und vorsah, dass sich der Ort für die Erbringung der Arbeitsleistung im Mitgliedstaat des Arbeitgebers befindet, auch wenn diese Arbeit aus einem dem Arbeitgeber zuzurechnenden Grund nicht verrichtet worden ist.
2. Die Bestimmungen in Kapitel II Abschnitt 5 der EuGVVO sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung nationaler Zuständigkeitsvorschriften auf eine Klage wie die in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils angeführte unabhängig davon, ob sich diese Regeln als für den Arbeitnehmer vorteilhafter erweisen, entgegenstehen.
3. Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine Klage wie die in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils angeführte unbeschadet von Art. 7 Nr. 5 EuGVVO bei dem Gericht des Ortes erhoben werden kann, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gemäß dem Arbeitsvertrag den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber zu erfüllen hatte.
Art. 46d Abs. 2 EBGBG: Halterhaftung bei Gespann und Innenausgleich der Versicherer untereinander
BGH 3.3.2021 – IV ZR 312/19
Bei einem Unfall in Deutschland, an dem ein Gespann aus einem in Deutschland versicherten Zugfahrzeug und einem in Tschechien versicherten Anhänger beteiligt war, ist aufgrund der in Deutschland bestehenden Versicherungspflicht deutsches Recht gem. Art. 46d Abs. 2 EBGBG anzuwenden.
(Leitsatz von Aaron Jeschor, Köln)
EU-Binnenzustellung „demnächst" und Übersetzungserfordernis
BGH 25.2.2021 – IX ZR 156/19
Die Zustellung der Klage in einem anderen EU-Mitgliedstaat erfolgt „demnächst", wenn der Kläger sie mit einer durch das Gericht einzuholenden Übersetzung beantragt und den vom Gericht angeforderten Auslagenvorschuss unverzüglich einzahlt.
Art. 22 Abs. 2 EuErbVO: Verordnungsautonome Rechtswahlabrede
BGH 24.2.2021 – IV ZB 33/20
Die Frage, ob der Erblasser eine konkludente Rechtswahl im Sinne von Art. 22 Abs. 2 EuErbVO getroffen hat, ist unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetisch gewählte Recht zu beurteilen (hier: Wahl des deutschen Rechts für die Bindungswirkung in einem zwischen einer deutschen Erblasserin und ihrem österreichischen Ehemann geschlossenen Erbvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 1 [Buchst.] b) EuErbVO).
Arbeitnehmergerichtsstand und Klage aus drittbezogener Patronatsabrede
BAG 24.6.2020 – 5 AZR 55/19
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
1. Ist Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 2, Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer eine juristische Person, die nicht sein Arbeitgeber ist und die ihren Wohnsitz i.S.v. Art. 63 Abs. 1 EuGVVO nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, die dem Arbeitnehmer gegenüber jedoch aufgrund einer Patronatsvereinbarung unmittelbar für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten haftet, vor dem Gericht des Ortes verklagen kann, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit im Arbeitsverhältnis mit dem Dritten gewöhnlich verrichtet oder zuletzt verrichtet hat, wenn ohne die Patronatsvereinbarung der Arbeitsvertrag mit dem Dritten nicht zustande gekommen wäre?
2. Ist Art. 6 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass der Vorbehalt hinsichtlich Art. 21 Abs. 2 EuGVVO die Anwendung einer nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats bestehenden Zuständigkeitsregelung ausschließt, die es dem Arbeitnehmer ermöglicht, eine juristische Person, die ihm gegenüber unter wie in der ersten Frage beschriebenen Umständen für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, als „Rechtsnachfolger" des Arbeitgebers am Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen, wenn eine solche Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO nicht vorliegt?
3. Falls die erste Frage verneint und die zweite Frage bejaht wird:
a) Ist Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass der Begriff der „beruflichen Tätigkeit" die abhängige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf deren Grundlage eine juristische Person für Ansprüche eines Arbeitnehmers aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, einen Vertrag bildet, den der Arbeitnehmer zu einem Zweck geschlossen hat, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann?
4. Sollte in Beantwortung der vorstehenden Fragen das vorlegende Gericht für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig sein:
a) Ist Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO dahin auszulegen, dass der Begriff der „beruflichen Tätigkeit" die abhängige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO dahin auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf deren Grundlage eine juristische Person gegenüber einem Arbeitnehmer für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, einen Vertrag bildet, den der Arbeitnehmer zu einem Zweck geschlossen hat, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann?
Art. 3 lit. b EuUnterhVO und § 28 AUG: Örtliche Zuständigkeit im Unterhaltsverfahren
OLG Stuttgart 23.2.2021 – 17 UF 254/20
1. Hat in einem Unterhaltsverfahren ein Beteiligter seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland, so ist das bezüglich der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts bestehende Spannungsverhältnis zwischen Art. 3 lit. b EuUnterhVO und § 28 AUG gemäß der Rechtsprechung des EuGH durch eine Prüfung im Einzelfall aufzulösen [...].
2. Aufgrund der höheren Sachkunde der Konzentrationsgerichte, die zur Verwirklichung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und zum Schutz der Interessen eines Unterhaltsberechtigten beiträgt [...], ist im Regelfall die örtliche Zuständigkeit der Konzentrationsgerichte gemäß § 28 Abs. 1 AUG begründet. Hiervon ist nur in besonders gelagerten Fällen abzuweichen, wenn die geordnete Rechtsdurchsetzung und die Interessen der Beteiligten eine Zuständigkeit des Aufenthaltsgerichts nahelegen.
3. Auch in Auslandsunterhaltsverfahren, in denen es um Kindesunterhalt geht und in denen deutsches Recht anzuwenden ist, bedarf es zur Lösung der dort häufig auftretenden Rechtsfragen einer besonderen Sachkunde.
4. Bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung fällt ins Gewicht, wenn der Unterhaltsberechtigte selbst auf den ihm durch Art. 3 lit. b EuUnterhVO gewährten räumlichen Vorteil verzichtet, indem er bewusst seinen Antrag bei dem weiter entfernten Konzentrationsgericht einreicht.
5. Der Vorteil der räumlichen Nähe verliert an Gewicht, wenn keine Privatperson, sondern – aufgrund einer Legalzession – eine Behörde den Unterhaltsanspruch geltend macht.
§ 293 ZPO: Hohe Hürden bei Ermittlung ausländischen Rechts kraft gerichtlicher Sachkunde
OLG Saarbrücken 14.2.2020 – 6 WF 22/20
1. Bei der Frage, ob für einen gegen einen Unterhaltstitel gerichteten Vollstreckungsabwehrantrag die Gerichte des Staates international zuständig sind, in dem der Titel errichtet wurde, oder diejenigen des Staates, in dem der Titel vollstreckt werden soll, handelt es sich um eine schwierige, höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage, die mithin nicht im Verfahrenskostenhilfeverfahren durchentschieden werden kann.
2. Ist der Streitfall aus Sicht des Gerichts unter Anwendung ausländischen Sachrechts zu entscheiden, so muss das Gericht im Lichte seiner § 293 ZPO entspringenden Ermittlungspflicht – will es von der Einholung eines Rechtsgutachtens absehen und Verfahrenskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung verweigern – nachvollziehbar und belastbar darlegen, dass es die entscheidungserheblichen Normen des fremden Rechts aufgrund eigener Sachkunde zuverlässig ermitteln konnte.
EuErbVO: Europäisches Nachlasszeugnis für einen Nachlassinsolvenzverwalter
OLG Frankfurt a.M. 9.2.2021 – 21 W 151/20
1. Art. 76 EuErbVO steht der Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses für einen Nachlassinsolvenzverwalter nicht entgegen.
2. Der Nachlassinsolvenzverwalter ist Antragsberechtigter im Sinne des Art. 63 EuErbVO.
Gleichwertigkeit aller Alternativen des Art. 19 EGBGB
OLG München 3.2.2020 – 11 Wx 569/19
1. Voraussetzung für die Anordnung einer Berichtigung durch das Gericht nach § 48 PStG ist dessen Überzeugung davon, dass die vorhandene Eintragung unrichtig ist, und weiter davon, dass die beantragte Eintragung richtig ist.
2. Bei Fällen mit Auslandsbezug bestimmt sich die Abstammung eines Kindes gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Aufenthaltsstatut), alternativ gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB nach dem Recht des Staates, dem der betreffende Elternteil angehört (Personalstatut). Sämtliche der in Art. 19 Abs. 1 EGBGB genannten Alternativen sind grundsätzlich gleichwertig.
(Leitsätze von Hanna Freienstein, Köln)
Art. 17 EuGVVO und Publikumsgesellschaft
OLG Celle 29.1.2021 – 9 U 66/20
1. Der Kläger verliert seine Verbrauchereigenschaft i.S.v. Art. 17 EuGVVO nicht dadurch, dass er durch die Verschmelzung der Rechtsvorgängerin, bei der der Kläger Genussrechte gezeichnet hatte, auf die Beklagte an der Beklagten beteiligt ist.
2. Eine Verbrauchersache im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO kann ferner auch dann vorliegen, wenn Gegenstand des Verfahrens zwar Ansprüche aus einem Gesellschaftsvertrag sind, der Zweck des Beitritts jedoch vorrangig darin besteht, Kapital anzulegen und nicht Mitglied einer Gesellschaft zu werden.
(Leitsätze von Aaron Jeschor, Köln)
Ausländischer Erblasseraufenthalt und inländische Nachlasspflegschaft
OLG Köln 9.12.2020 – 2 Wx 293/20
1. Deutsche Gerichte sind international für die Anordnung der Nachlasspflegschaft für in Deutschland befindliche Vermögenswerte eines mit letztem gewöhnlichem Aufenthaltsort im Ausland verstorbenen Erblassers zuständig.
2. Die Anordnung und die Überwachung der Nachlasspflegschaft richtet sich nach deutschen Sachvorschriften, auch wenn auf die Erbfolge ausländisches Recht Anwendung findet.
EU-Kontopfändungsverordnung und Zwangsgeld
OLG Köln 2.12.2020 – 13 W 40/20
Ein Zwangsgeld, das die Erzwingung einer Handlung und nicht die Eintreibung von Schulden bezweckt, ist keine Geldforderung im Sinne der EU-Kontopfändungsverordnung; dessen Vollstreckung kann somit nicht vorläufig durch einen Europäischen Kontopfändungsbeschluss gesichert werden.
(mitgeteilt von RA Dr. Alexander Wolf, LL.M. [Barcelona], Mannheim; Leitsatz von Hanna Freienstein, Köln)
Scheidung einer Vorehe: Spannungslage zwischen IPR und IZPR
HansOLG Hamburg 23.11.2020 – 2 W 57/20
1. Beurteilt sich die Wirksamkeit der Eheschließung nach ausländischem Recht, kommt es auch für die Frage der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe auf das ausländische Recht an.
2. Art. 13 EGBGB steht insofern allerdings im Spannungsverhältnis zu § 107 FamFG, nachdem die Auslandsscheidung nur dann im Inland Wirkung entfaltet, wenn sie von der Landesjustizverwaltung anerkannt wurde.
3. Deutsche Behörden und Gerichte haben eine Auslandsscheidung trotz Art. 13 EGBGB daher als nicht wirksam anzusehen.
4. Die Fehlerfolgen eines solchen Auseinanderfallens der Wirksamkeit einer Auslandsscheidung gehen aber nicht weiter als wie sie das deutsche Recht für den Fall der Unwirksamkeit der Scheidung der Vorehe vorsieht.
5. Die Folgeehe auf eine im Iran nach iranischem Recht wirksam geschiedene Vorehe ist daher nach deutschem Recht nur aufhebbar und nicht nichtig, wenn die Scheidung der Vorehe wegen § 107 FamFG im Inland als nicht erfolgt gilt, selbst wenn das iranische Recht bei einer (aus Sicht des iranischen Rechts nicht vorliegenden) Unwirksamkeit der Scheidung der Vorehe von einer Nichtehe ausgehen würde.
6. Die aus einer solchen Folgeehe hervorgehenden Kinder gelten als Kinder des neuen Ehemannes und nicht des Ehemannes der Vorehe.
(Einsender und Leitsätze: Die Mitglieder des 2. Zivilsenats)
Internationale Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO und Lizenzvertrag
LG München 25.2.2021 – 7 O 8011/20
Streiten Parteien um die Feststellung des Bestehens bzw. Nicht-Bestehens eines Lizenzvertrages, kommt es hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO auf den Erfüllungsort des Anspruchs an, auf den es dem Kläger hauptsächlich ankommt. Die vertragscharakteristische Leistung ist hingegen nicht maßgeblich.
(Leitsätze von Hanna Freienstein, Köln)
Ungarische Autobahnmaut und deutscher ordre public
LG München 4.2.2021 – 31 S 10317/20
1. Die Benutzung der ungarischen Autobahnen ohne die erforderliche Vignette begründet einen Vertrag zwischen dem Gebührengläubiger und dem Halter grundsätzlich nicht (Art. 1 Abs. 1, 2 Buchst. g) Rom I-VO).
2. Einer Verurteilung zur Zahlung der erhöhten Zusatzgebühr steht auch im Übrigen der „ordre public"-Vorbehalt des deutschen Rechts entgegen (Art. 26 Rom II-VO, Erwägungsgrund Nr. 32, Art. 40 Abs. 3 EGBGB).
Art. 7 Abs. 1 EuGVVO bei Rückforderung von überzahlter EEG-Förderung
LG Mainz 3.12.2020 – 1 O 105/19
Für Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug über Ansprüche nach dem EEG (hier Rückforderung von überzahlter EEG-Förderung) sind deutsche Gerichte gem. Art. 7 Abs. 1 lit. a, b EuGVVO international zuständig.
(Leitsatz von Aaron Jeschor, Köln)
Parteifähigkeit einer ausländischen Person und § 12 österreichisches IPRG
OGH 4.11.2020 – 3 Ob 168/20g
1. Die Parteifähigkeit einer ausländischen Person ist gemäß § 12 österreichischem IPRG nach deren Personalstatut zu beurteilen. Das Personalstatut ist gemäß § 10 IPRG das Recht des Staats, in dem der Rechtsträger den tatsächlichen Sitz seiner Hauptverwaltung hat.
2. Nach der österreichischen Rechtslage hat die Löschung der Gesellschaft aus dem Gerichtsregister deklarative Wirkung und beeinträchtigt die Partei- und Prozessfähigkeit der Personenhandelsgesellschaft solange nicht, als verwertbares Gesellschaftsvermögen noch unverteilt vorhanden ist.
3. Ob nach slowenischer Rechtslage die Löschung einer Gesellschaft aus dem Gerichtsregister konstitutiv wirkt, die Rechts- und damit Parteifähigkeit der Gesellschaft also auch dann erlischt, wenn sie in Wahrheit nicht vermögenslos ist, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
(Leitsätze von Hanna Freienstein, Köln)
Antrag auf Versagung der Vollstreckung: Verfahrensunterbrechung bis zur EuGH-Vorlageentscheidung
OGH 4.11.2020 – 3 Ob 92/20f
Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 23.9.2020 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung sind alle Verfahren zu unterbrechen, in denen sich ebenfalls die Frage stellt, ob die Bestimmungen der EuGVVO, insbesondere Art. 1, Art. 2 lit. a, Art. 39, Art. 42 Abs. 1 lit. b, Art. 46 und Art. 53 EuGVVO dahin auszulegen sind, dass das Gericht des ersuchten Mitgliedstaats im Verfahren über den Antrag auf Versagung der Vollstreckung bereits aufgrund der Angaben des Ursprungsgerichts in der Bescheinigung nach Art. 53 EuGVVO zwingend davon ausgehen muss, dass eine in den Anwendungsbereich der Verordnung fallende und zu vollstreckende Entscheidung vorliegt.
(Leitsatz von Hanna Freienstein, Köln)
Vorfragenanknüpfung bei Art. 8 Abs. 1 EuEheVO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 KSÜ
OGH 20.10.2020 – 1 Ob 181/20d
Bestimmt sich das auf die Obsorge eines Kindes anwendbare Recht gemäß Art. 8 Abs. 1 EuEheVO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 KSÜ nach österreichischem Recht, so sind die Wirkungen der Unehelichkeit des Kindes (§ 25 Abs. 2 IPRG) und dessen Obsorge (§ 27 Abs. 1 IPRG) nach dem Personalstatut des Kindes – also gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 IPRG nach dessen Staatsangehörigkeit – zu beurteilen.
(Leitsatz von Hanna Freienstein, Köln)
Revisionsgründe bei der Anwendung ausländischen Rechts
OGH 14.10.2020 – 2 Ob 76/20w
1. Das Fehlen einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu nach kollisionsrechtlichen Bestimmungen anzuwendenden Normen ausländischen Rechts ist für die Frage der Rechtserheblichkeit nach § 528 Abs. 1 öZPO ohne Bedeutung.
2. Der Oberste Gerichtshof ist nicht dazu berufen, für die Einheitlichkeit oder Rechtsfortbildung fremden Rechts Sorge zu tragen oder Leitlinien zum richtigen Verständnis ausländischen Rechts – abgehoben von der jeweils maßgebenden ausländischen Rechtspraxis – zu entwickeln. Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit daher nur dann zulässig, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden ist oder hierbei grobe Subsumtionsfehler unterlaufen sind, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssen.
(Leitsätze von Hanna Freienstein, Köln)
EuEheVO und die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klageerhebung
OGH 28.9.2020 – 8 Ob 48/20x
1. Beantragt ein Kind die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klageführung, bestimmt sich das anwendbare Recht nach der EuEheVO.
2. Nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
3. Die Anwendung der EuEheVO ist zwingend und geht in den von ihr erfassten Fällen den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vor.
(Leitsätze von Hanna Freienstein, Köln)
Acte clair: Gemeinschaftliches Testament als Erbvertrag im Sinne des Art. 25 EuErbVO
OGH 29.6.2020 – 2 Ob 123/19f
1. Ein gemeinschaftliches Testament gemäß § 2269 Abs. 1 BGB, in welchem sich die Eheleute gegenseitig als Erben einsetzen und bestimmen, dass nach dem Tod des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen sollte, wodurch wechselseitige Verfügungen der Ehegatten i.S.d. § 2270 BGB erfolgt sind und das bereits nach § 2271 Abs. 2 BGB bindend geworden ist, ist als Erbvertrag i.S.d. Art 25 EuErbVO anzusehen.
2. Eine Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens ist nicht erforderlich, da Auslegungszweifel nicht vorhanden sind („acte clair").
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Brexit: Vollstreckbarerklärungen von Entscheidungen aus Großbritannien unterfallen nicht mehr dem LugÜ
Bezirksgericht Zürich 24.2.2021
Vollstreckbarerklärungen von Entscheidungen aus Großbritannien richten sich seit dem 1.1.2021 nicht mehr nach dem LugÜ 2007, sondern nach dem Schweizer IPRG, welches für Vollstreckbarerklärungen ein kontradiktorisches Verfahren vorsieht (Art. 29 Abs. 2 IPRG).
(Leitsatz von Hanna Freienstein, Köln)
Rechtsquellenvorrang zwischen Art. 5 KSÜ und Art. 8 Abs. 1 EuEheVO
Cour de cassation (Frankreich) 30.9.2020 – Nr. 19-14.761
1. Nach Art. 5 KSÜ, das in der Schweiz am 1.7.2009 und in Frankreich am 1.2.2011 in Kraft getreten ist, sind sowohl die Justiz- als auch die Verwaltungsbehörden des Vertragsstaates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, für Maßnahmen zuständig, die auf den Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes gerichtet sind. Im Falle eines rechtmäßigen Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Vertragsstaat sind die Behörden des Staates am Ort des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.
2. Gemäß Art. 61 EuEheVO besitzen die Bestimmungen der Verordnung, dabei insbesondere Art. 8 Abs. 1 EuEheVO, der in Fragen der elterlichen Verantwortung die Gerichte des Mitgliedstaats für zuständig erklärt, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nur im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten Anwendungsvorrang vor den Bestimmungen des KSÜ.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Unvereinbarkeit im Sinne des Art. 34 Abs. 3 EuGVVO 2001
Cour de cassation (Frankreich) 16.9.2020 – Nr. 18-20.023
Gemäß Art. 33 Abs. 1 EuGVVO 2001 werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. In Art. 34 Abs. 3 EuGVVO 2001 ist jedoch vorgesehen, dass eine Entscheidung nicht anerkannt wird, wenn sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung begehrt wird, ergangen ist. In seiner Entscheidung zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ 1968, dessen Wortlaut mit dem des Art. 34 Nr. 3 EuGVVO 2001 identisch ist, hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass für die Feststellung der Unvereinbarkeit im Sinne dieses Textes zu prüfen ist, ob die fraglichen Entscheidungen Rechtsfolgen nach sich ziehen, die sich gegenseitig ausschließen.
(Leitsatz von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Gewöhnlicher Aufenthalt eines Säuglings im Sinne der EuEheVO
Cour de cassation (Frankreich) 12.6.2020 – Nr. 19-24.108
1. Aus der Rechtsprechung des EuGH zum gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Sinne der EuEheVO folgt, dass dieser dem Ort entspricht, an dem sich der Lebensmittelpunkt des Kindes tatsächlich befindet.
2. Daraus folgt auch, dass, wenn das Kind ein Säugling ist, sein Umfeld im Wesentlichen ein familiäres ist, das durch die Bezugsperson oder die Bezugspersonen bestimmt wird, mit denen es zusammenlebt und die es effektiv versorgen. Folglich kann die ursprünglich von den Eltern geäußerte Absicht, das Kind in einen anderen Mitgliedstaat zurückzubringen, in dem sie vor der Geburt des Kindes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, für sich genommen nicht ausschlaggebend für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sein, da diese Absicht lediglich ein Anhaltspunkt unter vielen ist. Diese ursprüngliche Absicht kann zudem nicht der ausschlaggebende Gesichtspunkt bei der Anwendung einer allgemeinen und abstrakten Regel sein, nach der der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes notwendigerweise derjenige seiner Eltern wäre. Ebenso kann die Zustimmung oder fehlende Zustimmung eines Elternteils in Ausübung seines Sorgerechts zur Niederlassung des Kindes an einem Ort kein entscheidender Gesichtspunkt bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sein.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Anwendung der Art. 2 Abs. 1, 14 Haager AdoptionsÜ
Cour de cassation (Frankreich) 18.3.2020 – Nr. 19-50.031
1. Gemäß Art. 2 Abs. 1 des Haager Übereinkommens vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption, das in Frankreich am 1.10.1998 und in Haiti am 1.4.2014 in Kraft getreten ist, findet das Übereinkommen Anwendung, wenn ein Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat („Heimatstaat") hat, in einen anderen Vertragsstaat („Aufnahmestaat") verbracht wird oder verbracht werden soll, entweder nach seiner Adoption im Heimatstaat durch Ehegatten oder eine Person mit gewöhnlichem Aufenthalt im Aufnahmestaat oder im Hinblick auf eine solche Adoption im Aufnahme- oder Heimatstaat.
2. Nach Art. 14 des Übereinkommens sollen Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat, die ein Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat adoptieren wollen, einen Antrag bei der Zentralen Behörde des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts stellen.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Prüf- und Begründungspflicht nach Art. 4 EuInsVO
Cour de cassation (Frankreich) 11.3.2020 – Nr. 19-10.657
1. Gemäß Art. 4 EuInsVO prüft das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens angerufene Gericht von Amts wegen, ob es nach Art. 3 der Verordnung zuständig ist, sofern das Verfahren in den Anwendungsbereich der EuInsVO fällt.
2. Es gibt in seiner Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gründe für die Annahme seiner Zuständigkeit an und gibt insbesondere an, ob seine Zuständigkeit auf Abs. 1 oder Abs. 2 des Art. 3 beruht.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Grenzen der US-Gerichtspflicht von Produktherstellern
U.S. Supreme Court 25.3.2021 – Ford Motor Co. v. Montana Eighth Judicial District Court et al. – No. 19–368
Die spezifische Zuständigkeit des Gerichts ist begründet, wenn die Klage aus den Verbindungen des Beklagten mit dem Gerichtsstand erwächst („arise out of") oder sich darauf bezieht („relate to"). Ein Kausalzusammenhang zwischen der Klage und den Aktivitäten des Beklagten ist somit nicht zwingend erforderlich. Manche Zusammenhänge begründen die gerichtliche Zuständigkeit auch ohne einen ursächlichen Nachweis.
(Einsender: Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Hay; Leitsätze von Hanna Freienstein, Köln)
Aussetzung eines Antrags eines Prozessfinanzierers auf Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs gegen die Republik Usbekistan
U.S. District Court for the District of Columbia 6.2.2019 – Gretton Limited v. Republic of Uzbekistan – No. 18-1755 (JEB)
Zur Aussetzung eines Antrags auf Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs gegen die Republik Usbekistan:
1. Nach Art. 6 UNÜ steht dem Gericht bei der Entscheidung über einen Antrag auf Zulassung der Vollstreckung ein Ermessen dahingehend zu, die Entscheidung auszusetzen, sofern es dies für angebracht hält. Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn in einem anderen Staat ein Verfahren über die (teilweise) Aufhebung des Schiedsspruchs anhängig ist.
2. Die Entscheidung über den Antrag des Prozessfinanzierers der teilweise obsiegenden Partei auf Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs gegen die Republik Usbekistan, der selbst nicht Partei des Schiedsverfahrens war, ist auszusetzen, bis die französischen Gerichte über die beantragte (teilweise) Aufhebung des Schiedsspruchs entschieden haben.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Schiedseinrede nach rügelosem Einlassen
U.S. District Court for the Eastern District of Pennsylvania 22.8.2018 – PDC Machines Inc. v. Nel Hydrogen A/S – No. 17-5399
Zur Erhebung der Schiedseinrede nach rügelosem Einlassen: Lässt sich die Beklagte rügelos auf ein Verfahren vor staatlichen Gerichten ein, verwirkt sie ihr Recht zur Erhebung der Schiedseinrede.
(Leitsatz von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Anwendungsbereich der EuGVVO und deliktische Schadensersatzforderungen des Insolvenzverwalters
Hoge Raad 3.7.2020 – 16/02741
1. Die Überweisung einer niederländischen Gesellschaft auf ein Konto in Belgien, über die später das Insolvenzverfahren eröffnet wird, sowie die spätere Abhebung des überwiesenen Geldes in Belgien stellen rechtswidrige Handlungen zulasten der Gläubiger dar.
2. Infolge der Peeters/Gatzen-Rechtsprechung des EuGH unterfallen Schadensersatzforderungen des Insolvenzverwalters auf Grundlage einer solchen Handlung nicht der EuInsVO, sondern der EuGVVO 2001. Die internationale Zuständigkeit für die Entscheidung über eine solche Forderung richtet sich damit nach den Zuständigkeitsregeln letzterer, konkret Art. 5 EuGVVO 2001.
3. Im vorliegenden Fall liegt der Handlungsort der unerlaubten Handlung unstreitig in dem Staat, in welchem das Geld abgehoben wird (hier Belgien). Ebenso liegt der Erfolgsort an dem Ort, an dem das betroffene Konto geführt wird (hier ebenfalls Belgien). Dass die geschädigten Gläubiger in den Niederlanden einen finanziellen Schaden aufgrund dieser Handlung erlitten haben, ist indes nicht ausreichend, um einen Erfolgsort in den Niederlanden zu begründen. Damit scheidet eine internationale Zuständigkeit niederländischer Gerichte nach Art. 5 EuGVVO 2001 in diesem Fall aus.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Zuständigkeit niederländischer Gerichte gemäß Art. 8 Abs. 1 EuGVVO und Climate Litigation
Gerechtshof Amsterdam 14.4.2020 – 200.246.355/01
Zur Zuständigkeit niederländischer Gerichte gemäß Art. 8 Abs. 1 EuGVVO wegen eines Personenschadens infolge Umweltverschmutzung in der Elfenbeinküste durch per Schiff von Amsterdam aus transportiertes Abfallmaterial:
Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 8 Abs. 1 EuGVVO ist zugunsten niederländischer Gerichte für das Vorgehen gegen zwei Beklagte eröffnet, gegen die wegen derselben unerlaubten Handlung Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, da in beiden Angelegenheiten die betroffenen Interessen deckungsgleich sind und sie sich somit für eine Bündelung am selben Gerichtsstand anbieten, um einen effizienten und effektiven Rechtsschutz zu fördern.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Internationale Zuständigkeit niederländischer Gerichte bei Deliktsklagen gegen Muttergesellschaften
Rechtbank Amsterdam 25.3.2020 – C/13/652159
1. Niederländische Gerichte sind für eine Klage gegen ein in Israel ansässiges Unternehmen aus unerlaubter Handlung bzw. ungerechtfertigter Bereicherung nur nach Maßgabe des Art. 6 EuGVVO international zuständig.
2. Nach Art. 7 Abs. 1 Rv (niederländische ZPO) besteht eine internationale Zuständigkeit niederländischer Gerichte auch dann, wenn mehrere Beklagte am selben Verfahren beteiligt sind und die Ansprüche gegen die Beklagten so eng miteinander zusammenhängen, dass eine gemeinsame Entscheidung im Sinne der Prozessökonomie geboten ist, auch wenn eine Zuständigkeit für das Verfahren gegenüber einer der Beklagten eigentlich nicht bestünde.
3. Ist die Klage gegen das niederländische Tochterunternehmen jedoch offensichtlich unbegründet, ist der hinreichende Sachzusammenhang zu verneinen, sodass die internationale Zuständigkeit für das Vorgehen gegen die ausländische Muttergesellschaft zu verneinen ist. Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus Art. 9 Rv (forum necessitatis).
4. Wird die ungerechtfertigte Bereicherung durch die Gesellschaft mit Sitz im Ausland begangen, ist niederländisches Recht nicht gemäß Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO anwendbar. Eine Anwendbarkeit niederländischen Rechts kann sich aber aus Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO ergeben.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Regelungen zur Beteiligung am Pensionsfonds sind zwingende Regelungen niederländischen Rechts im Sinne von Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO
Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden 17.3.2020 – 200.206.789/01
Zum auf Arbeitsverträge von Berufskraftfahrern anwendbaren Recht:
1. Die Frage, ob eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Beteiligung an einem niederländischen Pensionsfonds besteht, richtet sich danach, ob sich das Arbeitsverhältnis nach niederländischem Recht richtet.
2. Nach Art. 8 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO unterliegt das Arbeitsverhältnis grundsätzlich dem gewählten Recht (hier: zypriotisches Recht). Nach S. 2 darf dies jedoch nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach den Absätzen 2, 3 und 4 der Vorschrift mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
3. Auf das Arbeitsverhältnis eines Berufskraftfahrers, der aus den Niederlanden für gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, wäre nach Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO grundsätzlich niederländisches Recht anzuwenden.
4. Da es sich in diesem Fall bei den Regelungen zur Beteiligung am Pensionsfonds um zwingende Regelungen niederländischen Rechts handelt, sind sie nach Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO trotz der im Arbeitsvertrag getroffenen Rechtswahl zugunsten zypriotischen Rechts im vorliegenden Fall anwendbar.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO: Erfolgsort bei deliktischen Geldtransaktionen von Bankkonten
Rechtbank Amsterdam 11.3.2020 – C/13/656097
1. Auf einen Anspruch aus unerlaubter Handlung ist nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis erfolgt ist.
2. Bei unerlaubten Handlungen in Form von Barabhebungen und anderen Geldtransaktionen von Bankkonten, die bei einer Bank mit Sitz in Zypern geführt werden, die zu einem Vermögensschaden führen, bei dem nicht nachgewiesen werden kann, dass er in den Niederlanden eingetreten ist, gelangt niederländisches Recht nicht zur Anwendung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Ausnahmen des Art. 4 Abs. 2 und 3 Rom II-VO.
3. Vielmehr gelangt zypriotisches Recht zur Anwendung.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)
Internationale Zuständigkeit bei Klagen aufgrund der Mitwirkungspflicht des Ehemannes an Scheidung nach jüdischem Recht
Gerechtshof Amsterdam 16.7.2019 – 200.236.059/01
Zur Mitwirkungspflicht des Ehemannes an Scheidung nach jüdischem Recht („Get"):
1. Die Weigerung der Mitwirkung des Ehemannes an einer religiösen Scheidung nach jüdischem Recht (sog. „Get") stellt ein rechtswidriges Unterlassen dar.
2. Die niederländischen Gerichte sind nicht gemäß Art. 4 EuGVVO international zuständig für die Entscheidung über eine Klage der Ehefrau auf Mitwirkung des Ehemannes an der Scheidung der in London geschlossenen Ehe zweier britischer Staatsbürger, wenn keiner von ihnen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden hat.
3. Eine internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte ergibt sich (im einstweiligen Verfahren) auch nicht nach Art. 6 Rv (niederländische ZPO) daraus, dass das rabbinische Gericht in London den Antrag der Ehefrau an das „European Beth Din for Agunot" in Amsterdam weitergeleitet hat, wenn die Ehefrau nicht nachweisen kann, dass das niederländische Beth Din den Ehemann mehrfach erfolglos zur Mitwirkung aufgefordert hat. Denn dann liegt auch der Ort der Begehung der rechtswidrigen Handlung nicht in den Niederlanden.
(Leitsätze von Prof. Dr. Karsten Thorn, Hamburg)