Heft 1/2021 (Januar 2021)

Zwei neue Commercial Courts in Baden-Württemberg
Am 1.11.2020 wurden in Baden-Württemberg zwei neue Commercial Courts an den Landgerichten Mannheim und Stuttgart eingerichtet. Die Kammern dienen insbesondere dazu, rechtlich komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten in grenzüberschreitenden Fällen zu verhandeln. Zu diesem Zweck ist es möglich, das Verfahren auf Englisch zu führen. Weitere Informationen sind unter https://www.commercial-court.de/commercial-court abrufbar.

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bei Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
EuGH 24.11.2020 – Rs. C-59/19 – Wikingerhof ./. Booking.com
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass er für eine Klage gilt, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.

Art. 25 EuGVVO bei Ryanair Inkasso
EuGH 18.11.2020 – Rs. C-519/19 – Ryanair DAC ./. DelayFix
Art. 25 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine Fluggesellschaft eine Gerichtsstandsklausel, die in einem zwischen ihr und einem Fluggast geschlossenen Beförderungsvertrag enthalten ist, einer Inkassogesellschaft, an die der Fluggast seine Forderung abgetreten hat, nicht entgegenhalten kann, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die Entscheidung einer gegen sie auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 erhobenen Klage auf eine Ausgleichsleistung in Abrede zu stellen, es sei denn, dass nach den Rechtsvorschriften des Staates, dessen Gerichte in dieser Klausel bestimmt sind, die Inkassogesellschaft in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei eingetreten ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Gegebenenfalls ist eine solche Klausel, die in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher, nämlich dem Fluggast, und einem Gewerbetreibenden, nämlich der betreffenden Fluggesellschaft, enthalten ist, ohne im Einzelnen ausgehandelt worden zu sein, und die dem Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz der Fluggesellschaft befindet, eine ausschließliche Zuständigkeit zuweist, als missbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anzusehen.

EuGVVO und WEG-Zweckänderung
EuGH 11.11.2020 – Rs. C-433/19 – Ellmes Property Services Limited ./. SP
1. Art. 24 Nr. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass die Klage eines Wohnungseigentümers, mit der einem anderen Wohnungseigentümer derselben Liegenschaft verboten werden soll, die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung seines Wohnungseigentumsobjekts eigenmächtig und ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, ein Verfahren ist, welches „dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen" im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand hat, sofern diese Widmung nicht nur den Miteigentümern dieser unbeweglichen Sache, sondern jedermann entgegengehalten werden kann, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
2. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO ist dahin auszulegen, dass dann, wenn die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts nicht jedermann entgegengehalten werden kann, die Klage eines Wohnungseigentümers, mit der einem anderen Wohnungseigentümer derselben Liegenschaft verboten werden soll, die Widmung seines Wohnungseigentumsobjekts eigenmächtig und ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, ein Verfahren ist, das „ein[en] Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand hat. Unter Vorbehalt einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist der Erfüllungsort der Verpflichtung der Ort, an dem das Wohnungseigentumsobjekt belegen ist.

EuGVVO und Parkgebührenklagen
Schlussanträge des Generalanwalts Michal Bobek beim EuGH 26.11.2020 – Rs. C-307/19
1. Zu der ersten Vorlagefrage und dem ersten Teil der dritten Vorlagefrage
Die EuZustVO ist dahin auszulegen, dass ein Vollstreckungsbefehl auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde" nur dann als „gerichtliches Schriftstück" im Sinne von Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung zu qualifizieren ist, wenn die ausstellende Stelle ein zur Gerichtsorganisation eines Mitgliedstaats gehörendes Rechtsprechungsorgan ist.
Die Art. 2 und 16 EuZustVO sind dahin auszulegen, dass in Fällen, in denen ein Mitgliedstaat Notare nicht als „Übermittlungsstellen" im Sinne von Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung benannt hat, solche Notare „außergerichtliche Schriftstücke" nicht zum Zwecke der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat übermitteln können.
2. Zu der zweiten Vorlagefrage und dem zweiten Teil der dritten Frage
Der Begriff „Zivil- und Handelssachen" in Art. 1 Abs. 1 EuGVVO und Art. 1 Abs. 1 EuZustVO ist dahin auszulegen, dass die den zugrundeliegenden Rechtsstreit kennzeichnende Rechtsbeziehung im Vergleich zu dem in solchen Fällen allgemein auf den Einzelnen anwendbaren Rahmen sich nicht durch eine einseitige Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch eine der Parteien auszeichnen darf.
Es ist zwar Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, doch dürften die Umstände des vorliegenden Falles nicht auf eine solche Ausübung hoheitlicher Befugnisse hindeuten.
3. Zu den Vorlagefragen 5 bis 7
Art. 7 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass das Parken eines Fahrzeugs auf einem auf einer öffentlichen Straße ausgewiesenen Parkplatz nach der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats, in dem die Erteilung der Parkscheine und die Erhebung der Gebühren einer privaten Einrichtung übertragen ist, einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann.

Intertemporaler Anwendungsbereich der EuUnterhVO
Schlussanträge des Generalanwalts Gerard Hogan beim EuGH 12.11.2020 – Rs. C-729/19
1. Die in Art. 75 Abs. 2 festgelegte Ausnahme vom zeitlichen Geltungsbereich der EuUnterhVO ist dahin auszulegen, dass sie nur für Entscheidungen gilt, die von einem Gericht in Staaten erlassen wurden, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidungen bereits Mitglieder der Europäischen Union waren.
2. Es ist nicht möglich, auf der Grundlage von Art. 75 EuUnterhVO oder einer sonstigen Bestimmung dieser Verordnung die Anerkennung und Vollstreckung einer vor Beitritt eines Staates zur Union von einem Gericht dieses Staates erlassene Entscheidung nach den in der EuUnterhVO festgelegten Vorschriften zu erwirken.

EuGVVO und Klage auf das Arbeitsentgelt
Schlussanträge des Generalanwalts Henrik Saugmandsgaard Øe beim EuGH 29.10.2020 – Rs. C-804/19
1. Die Klage eines Arbeitnehmers mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat gegen einen Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat auf Zahlung des in einem Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitsentgelts fällt unter die EuGVVO, insbesondere unter deren Kapitel II Abschnitt 5, auch wenn dieser Arbeitnehmer faktisch keine Arbeitsleistung in Erfüllung des streitigen Vertrags erbracht hat.
2. Die EuGVVO steht der Anwendung von Zuständigkeitsregeln im nationalen Recht des angerufenen Gerichts entgegen, wonach sich der Arbeitnehmer an das Gericht, in dessen Bezirk er während der Dauer des Arbeitsverhältnisses seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder an das Gericht, in dessen Bezirk das Entgelt zu zahlen ist, wenden kann.
3. Haben ein Arbeitnehmer und ein Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag geschlossen und wurde aus irgendeinem Grund von dem Arbeitnehmer faktisch keine Arbeitsleistung in Erfüllung des Vertrags erbracht, dann entspricht der „Ort..., an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet", im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. b Ziff. i EuGVVO grundsätzlich dem in diesem Vertrag vereinbarten Arbeitsort.

Anwendbarkeit der EuEheVO bei italienischer „Privatscheidung"
Vorabentscheidungsersuchen des BGH 28.10.2020 – XII ZB 187/20
1. Handelt es sich bei einer Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014) um eine Entscheidung über die Scheidung einer Ehe im Sinne der EuEheVO?
2. Für den Fall der Verneinung von Frage 1: Ist eine Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014) entsprechend der Regelung des Art. 46 der EuEheVO zu öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen zu behandeln?

Diskriminierung im Rahmen der EuEheVO aufgrund Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsdauer?
Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (Österreich) 19.10.2020 – Rs. C-522/20
1. Verstößt Art. 3 Abs. 1 lit. a Spiegelstrich 6 EuEheVO gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV, weil er abhängig von der Staatsbürgerschaft des Antragstellers eine gegenüber Art. 3 Abs. 1 lit. a Spiegelstrich 5 EuEheVO kürzere Aufenthaltsdauer des Antragstellers als Voraussetzung für eine Zuständigkeit der Gerichte des Aufenthaltsstaates vorsieht?
2. Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird:
Führt ein solcher Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dazu, dass nach der Grundregel des Art. 3 Abs. 1 lit. a Spiegelstrich 5 EuEheVO für alle Antragsteller unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft eine Aufenthaltsdauer von 12 Monaten Voraussetzung für die Berufung auf den Gerichtsstand des Aufenthaltsorts ist oder ist für alle Antragsteller von der Voraussetzung einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten auszugehen?

Art. 7 Nr. 1 lit. a und Nr. 2 EuGVVO bei arglistigem Verleiten zu Vertragsschluss
Vorabentscheidungsersuchen des BGH 13.10.2020 – VI ZR 63/19
Sind Art. 7 Nr. 1 lit. a und Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für eine auf Schadensersatz gerichtete Klage eröffnet ist, wenn der Kläger durch arglistige Täuschung zum Abschluss eines Kaufvertrages und zur Zahlung des Kaufpreises veranlasst worden ist?

EuEheVO/ EuUnterhVO und gewöhnlicher Aufenthalt von EU-Vertragsbediensteten in Drittstaaten
Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Provincial de Barcelona (Spanien) 6.10.2020 – Rs. C-501/20
1. Wie ist der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt" in Art. 3 EuEheVO und in Art. 3 EuUnterhVO im Fall von Angehörigen eines Mitgliedstaats auszulegen, die sich aufgrund der ihnen als Vertragsbediensteten der Europäischen Union übertragenen Aufgaben in einem Drittstaat aufhalten und denen von diesem Drittstaat die Eigenschaft von diplomatischen Vertretern der Europäischen Union zuerkannt wird, wenn ihr Aufenthalt in diesem Staat mit der Ausübung der ihnen von der Union übertragenen Aufgaben zusammenhängt?
2. Falls für die Zwecke von Art. 3 EuEheVO und Art. 3 EuUnterhVO die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten von ihrem Status als Vertragsbedienstete der Europäischen Union in einem Drittstaat abhängt, wie wirkt sich dies dann auf die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ihrer minderjährigen Kinder nach Art. 8 EuEheVO aus?
3. Sollte davon auszugehen sein, dass die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in dem Drittstaat haben, kann dann zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 8 EuEheVO als Anknüpfungspunkt die Staatsangehörigkeit der Mutter, deren Aufenthalt in Spanien vor der Eheschließung, die spanische Staatsangehörigkeit der minderjährigen Kinder und deren Geburt in Spanien berücksichtigt werden?
4. Sollte festgestellt werden, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern und der Kinder nicht in einem Mitgliedstaat befindet, ist dann eingedenk dessen, dass nach der EuEheVO kein anderer Mitgliedstaat für die Entscheidung über die Anträge zuständig ist, der Umstand, dass der Antragsgegner Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, ein Hindernis für die Anwendung der in Art. 7 und 14 EuEheVO enthaltenen Vorschriften über die Restzuständigkeit?
5. Falls festgestellt wird, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern und der Kinder nicht in einem Mitgliedstaat befindet, wie ist dann für die Zwecke der Bestimmung des Kindesunterhalts die Notzuständigkeit (forum necessitatis) in Art. 7 EuUnterhVO auszulegen, und welche Voraussetzungen sind insbesondere für die Feststellung erforderlich, dass es nicht zumutbar ist oder sich als unmöglich erweist, ein Verfahren in einem Drittstaat (in diesem Fall Togo), zu dem der Rechtsstreit eine enge Verbindung aufweist, einzuleiten oder zu führen? Muss der Verfahrensbeteiligte nachweisen, dass er das Verfahren in diesem Staat erfolglos eingeleitet hat oder einzuleiten versucht hat? Und besteht schon aufgrund der Staatsangehörigkeit eines der Verfahrensbeteiligten eine hinreichende Verbindung zum entsprechenden Mitgliedstaat?
6. Verstößt es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Ehegatten starke Bindungen zu bestimmten Mitgliedstaaten aufweisen (Staatsangehörigkeit, früherer Aufenthalt), gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte, wenn nach den Verordnungen kein Mitgliedstaat zuständig ist?

Statusanerkennung einer doppelten weiblichen Elternschaft?
Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) 2.10.2020 – Rs. C-490/20
1. Sind Art. 20 AEUV und Art. 21 AEUV sowie die Art. 7, 24 und 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie den bulgarischen Verwaltungsbehörden, bei denen ein Antrag auf Bescheinigung der in einem anderen Mitgliedstaat der EU erfolgten Geburt eines Kindes mit bulgarischer Staatsangehörigkeit gestellt wurde, die mit einer spanischen Geburtsurkunde, in der zwei Personen weiblichen Geschlechts als Mütter eingetragen sind, ohne nähere Angaben, ob eine und wenn ja, welche von ihnen die leibliche Mutter des Kindes sei, bescheinigt worden war, nicht gestatten, die Ausfertigung einer bulgarischen Geburtsurkunde mit der Begründung abzulehnen, dass die Klägerin sich weigere anzugeben, welche die leibliche Mutter des Kindes sei?
2. Sind Art. 4 Abs. 2 EUV und Art. 9 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die Wahrung der nationalen Identität und der Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten der EU bedeutet, dass Letztere in Bezug auf die Vorschriften für die Feststellung der Abstammung über ein weites Ermessen verfügen? Im Einzelnen:
– Ist Art. 4 Abs. 2 EUV dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten gestattet, Informationen über die biologische Abstammung des Kindes zu verlangen?
– Ist Art. 4 Abs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass es unabdingbar ist, die nationale Identität und die Verfassungsidentität eines Mitgliedstaats einerseits und das Wohl des Kindes andererseits im Bestreben eines Interessenausgleichs gegeneinander abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass derzeit weder in Bezug auf die Werte noch in rechtlicher Hinsicht ein Konsens über die Möglichkeit besteht, als Eltern in einer Geburtsurkunde Personen gleichen Geschlechts, ohne nähere Angaben, ob und wenn ja, wer von ihnen leiblicher Elternteil des Kindes ist, eintragen zu lassen? Falls diese Frage zu bejahen ist, wie könnte dieser Interessenausgleich konkret erzielt werden?
3. Sind die Rechtsfolgen des Brexit insoweit von Bedeutung für die Beantwortung der ersten Frage, als die eine Mutter, die in der in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Geburtsurkunde angegeben ist, Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, die andere Mutter Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der EU ist, wenn man insbesondere berücksichtigt, dass die Weigerung der Ausfertigung einer bulgarischen Geburtsurkunde des Kindes ein Hindernis für die Ausstellung eines Identitätsnachweises des Kindes durch einen Mitgliedstaat der EU darstellt und dadurch gegebenenfalls die uneingeschränkte Ausübung seiner Rechte als Unionsbürger erschwert?
4. Falls die erste Frage bejaht wird: Verpflichtet das Unionsrecht, insbesondere der Effektivitätsgrundsatz, die zuständigen nationalen Behörden, von dem Muster für die Abfassung einer Geburtsurkunde, das Bestandteil des geltenden nationalen Rechts ist, abzuweichen?

Art. 7 Nr. 2 und Art. 8 EuGVVO in Konzerninsolvenzkonstellationen
Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Midden-Nederland (Niederlande) 2.9.2020 – Rs. C-498/20
1. a) Ist die Wendung „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass „der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens" (Handlungsort) der Ort des Sitzes der Gesellschaft ist, die die Forderungen ihrer Gläubiger nicht befriedigen kann, wenn diese Uneinbringlichkeit darauf beruht, dass die Großmuttergesellschaft dieser Gesellschaft ihre Sorgfaltspflicht gegenüber diesen Gläubigern verletzt hat?
b) Ist die Wendung „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass „der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs" (Erfolgsort) der Ort des Sitzes der Gesellschaft ist, die die Forderungen ihrer Gläubiger nicht befriedigen kann, wenn diese Uneinbringlichkeit darauf beruht, dass die Großmuttergesellschaft dieser Gesellschaft ihre Sorgfaltspflicht gegenüber diesen Gläubigern verletzt hat?
c) Sind zusätzliche Umstände erforderlich, die es rechtfertigen, dass das Gericht am Ort des Sitzes der Gesellschaft, die keine Befriedigungsmöglichkeit bietet, zuständig ist, und, falls ja, welche?
d) Ist der Umstand, dass der niederländische Insolvenzverwalter der Gesellschaft, die die Forderungen ihrer Gläubiger nicht befriedigen kann, im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabe zur Verwertung der Insolvenzmasse und zugunsten (jedoch nicht namens) der Gesamtheit der Gläubiger eine Klage auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung erhoben hat, für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO von Bedeutung? Eine solche Klage führt dazu, dass die individuelle Lage der einzelnen Gläubiger nicht geprüft wird und dem in Anspruch genommenen Dritten im Verhältnis zum Insolvenzverwalter nicht alle Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen, die ihm gegenüber einzelnen Gläubigern möglicherweise zur Verfügung gestanden hätten.
e) Ist der Umstand, dass sich der Wohnsitz eines Teils der Gläubiger, zu deren Gunsten der Insolvenzverwalter die Klage erhebt, nicht im Gebiet der Europäischen Union befindet, für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO von Bedeutung?
2. Ist Frage 1 anders zu beantworten, wenn es um eine von einer Stiftung erhobene Klage geht, die zum Ziel hat, die kollektiven Interessen der Gläubiger zu vertreten, die einen Schaden im Sinne von Frage 1 erlitten haben? Eine solche Verbandsklage führt dazu, dass im betreffenden Verfahren nicht festgestellt wird, a) wo sich der Wohnsitz dieser Gläubiger befindet, b) unter welchen besonderen Umständen die Forderungen der betreffenden Gläubiger gegen die Gesellschaft zustande gekommen sind und c) ob gegenüber den einzelnen Gläubigern eine Sorgfaltspflicht im oben genannten Sinne besteht und ob diese verletzt wurde.
3. Ist Art. 8 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass das Gericht des Hauptprozesses, wenn es seine Entscheidung, mit der es sich für diesen Prozess für zuständig erklärt hat, aufhebt, dadurch automatisch seine Zuständigkeit für die vom Interventionskläger erhobene Klage verliert?
4. a) Ist Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO dahin auszulegen, dass „der Staat, in dem der Schaden eintritt", der Staat ist, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, die den Schaden nicht ersetzen kann, den die Gläubiger dieser Gesellschaft aufgrund der oben genannten Sorgfaltspflichtverletzung erlitten haben?
b) Ist der Umstand, dass die Klagen von einem Insolvenzverwalter im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabe zur Verwertung der Insolvenzmasse und von einem Vertreter kollektiver Interessen zugunsten (jedoch nicht namens) der Gesamtheit der Gläubiger erhoben worden sind, für die Bestimmung dieses Staates von Bedeutung?
c) Ist der Umstand, dass sich der Wohnsitz eines Teils der Gläubiger nicht im Gebiet der Europäischen Union befindet, für die Bestimmung dieses Staates von Bedeutung?
d) Führt der Umstand, dass es zwischen der niederländischen insolventen Gesellschaft und ihrer Großmuttergesellschaft Finanzierungsvereinbarungen gab, in denen mit einer Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestimmt und deutsches Recht für anwendbar erklärt wurde, dazu, dass die behauptete unerlaubte Handlung der BMA AG gemäß Art. 4 Abs. 3 der Rom II-VO eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat als den Niederlanden aufweist?

Persönlicher Anwendungsbereich der Art. 13 Abs. 2, Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla Krakowa-Śródmieścia w Krakowie (Polen) 18.8.2020 – Rs. C-393/20
1. Ist Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO dahin auszulegen, dass sich darauf eine Person berufen kann, die im Gegenzug für Leistungen, die sie an einen unmittelbar Geschädigten eines Verkehrsunfalls im Zusammenhang mit dem entstandenen Schaden erbracht hat, jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Versicherer ausübt und die den Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers, der seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht ihres Sitzes verklagt?
2. Ist Art. 7 Nr. 2 bzw. Art. 12 EuGVVO dahin auszulegen, dass sich darauf eine Person berufen kann, die von dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls durch einen Abtretungsvertrag eine Forderung erworben hat, um den Versicherer des Verkehrsunfallverursachers, dessen Sitz sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Unfallorts befindet, wegen haftpflichtrechtlicher Ansprüche vor Gericht des Mitgliedstaats des Unfallorts zu verklagen?

Art. 7 lit. a EuErbVO und stillschweigende Unzuständigkeitserklärung
Vorabentscheidungsersuchen des OLG Köln 8.8.2020 – Rs. C-422/20
1. Ist für eine Unzuständigkeitserklärung des zuvor angerufenen Gerichts nach Art. 7 lit. a EuErbVO erforderlich, dass sich dieses Gericht ausdrücklich für unzuständig erklärt oder kann auch eine nicht ausdrückliche Erklärung genügen, wenn ihr durch Auslegung zu entnehmen ist, dass dieses Gericht sich für unzuständig erklärt hat?
2. Ist das Gericht des Mitgliedsstaates, dessen Zuständigkeit sich aus einer Unzuständigkeitserklärung des zuvor angerufenen Gerichts des anderen Mitgliedstaates ergeben soll, befugt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung des zuvor angerufenen Gerichts nach Art. 6 lit. a und Art. 7 lit. a EuErbVO vorlagen? In welchem Umfang ist die Entscheidung des zuvor angerufenen Gerichts bindend? Insbesondere:
a) Ist das Gericht des Mitgliedsstaates, dessen Zuständigkeit sich aus einer Unzuständigkeitserklärung des zuvor angerufenen Gerichts des anderen Mitgliedstaates ergeben soll, befugt zu prüfen, ob der Erblasser das Recht des Mitgliedstaates wirksam nach Art. 22 EuErbVO gewählt hat?
b) Ist das Gericht des Mitgliedsstaates, dessen Zuständigkeit sich aus einer Unzuständigkeitserklärung des zuerst angerufenen Gerichts des anderen Mitgliedstaates ergeben soll, befugt, zu prüfen, ob bei dem zuvor angerufenen Gericht ein Antrag einer Verfahrenspartei nach Art. 6 lit. a EuErbVO auf Erklärung der Unzuständigkeit gestellt worden war?
c) Ist das Gericht des Mitgliedsstaates, dessen Zuständigkeit sich aus einer Unzuständigkeitserklärung des zuerst angerufenen Gerichts des anderen Mitgliedstaates ergeben soll, befugt zu prüfen, ob das zuvor angerufene Gericht mit Recht angenommen hat, dass die Gerichte des Mitgliedstaats des gewählten Rechts in der Erbsache besser entscheiden können?
3. Sind Art. 6 lit. a und Art. 7 lit. a EuErbVO, die eine Rechtswahl „nach Artikel 22" voraussetzen, auch dann anwendbar, wenn in einer vor dem 17.8.2015 errichteten letztwilligen Verfügung keine ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl des Erblassers getroffen worden ist, sondern sich das auf die Rechtsnachfolge anwendbare Recht nur aus Art. 83 Abs. 4 EuErbVO ergeben kann?

Art. 39 Abs. 2 EuGVVO a.F.: Avisierter Zwangsvollstreckungsort
BGH 15.10.2020 – IX ZB 55/19
1. In der Rechtsbeschwerdeinstanz kann eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit entgegen § 549 ZPO a.F. nur stattfinden, wenn neben dieser auch die internationale Zuständigkeit im Streit ist und beide von denselben Voraussetzungen abhängen.
2. Für den Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, i.S.d. Art. 39 Abs. 2 EuGVVO a.F. reicht die Absicht des Gläubigers aus, sie an diesem Ort zu betreiben, ohne dass es auf dort derzeit belegenes Vermögen des Schuldners ankommt.
(Leitsätze von David Faust, Köln)

Beschränkung des Vorabentscheidungsersuchens zu Art. 16 Abs. 2 LugÜ
BGH 6.10.2020 – XI ZR 371/18
Die zweite Frage des Vorabentscheidungsersuchens vom 12.5.2020 an den EuGH wird zurückgenommen, da die Entscheidung des EuGH, Beschluss v. 3.9.2020 – Rs. C-89/20, mBank insoweit Klarheit hergestellt hat, als dass es für die Zuständigkeit nach Art. 16 Abs. 2 LugÜ für den Wohnsitz des Verbrauchers auf den Zeitpunkt der Klageerhebung ankommt.
(Leitsatz von David Faust, Köln)

Folgeentscheidung zur Rechtssache „Sahyouni"
BGH 26.8.2020 – XII ZB 158/18
Zur kollisionsrechtlichen Behandlung einer im Wege der einseitigen Verstoßung nach syrischem Recht durchgeführten Privatscheidung zweier deutsch-syrischer Doppelstaater (Rechtssache „Sahyouni").

EuInsVO/ EuGVVO und umgekehrte Torpedoklage
KG 3.12.2020 – 2 W 1009/20
1. Zur Frage, ob eine Klage aus einem zur Insolvenzvermeidung ausgestellten Comfort Letter eine unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehende und damit in engem Zusammenhang stehende Klage i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO darstellt.
2. Ein Gericht in England, vor dem vor Ablauf des Übergangszeitraums nach Art. 126 Austrittsabkommen ein gerichtliches Verfahren eingeleitet worden ist, ist im Übergangszeitraum und auch danach als das „Gericht eines Mitgliedstaates" im Sinne des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO zu behandeln.
3. Zur Frage, inwieweit ein nach Art. 25 EuGVVO möglicherweise derogiertes Gericht bei der Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO prüfen darf, ob die fragliche Gerichtsstandsvereinbarung tatsächlich zur ausschließlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts führt (sog. umgekehrte Torpedoklage).
4. Es sind auch solche Gerichte im Sinne des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ausschließlich zuständig, deren Zuständigkeit durch eine asymmetrische, also einseitig begünstigende, Gerichtsstandsklausel begründet wird.
5. Es sind auch solche Gerichte im Sinne des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ausschließlich zuständig, deren Zuständigkeit durch eine Gerichtsstandsklausel begründet wird, die nur die Gerichte eines Mitgliedstaats als solche als zuständig benennt.

Einziehung eines deutschen Erbscheins wegen internationaler Unzuständigkeit
OLG Düsseldorf 20.11.2020 – 3 Wx 138/20
Zur Einziehung eines von einem deutschen Gericht erteilten Erbscheins nach einem auf Gran Canaria in Spanien verstorbenen deutschen Erblasser wegen Unzuständigkeit des Gerichts in internationaler oder örtlicher Hinsicht (hier Ablehnung wegen zu verneinender Erschütterung der Überzeugung dahin, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte).

Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB: Neugeborenenaufenthalt, Prioritätsprinzip, Sachnormverweisung
KG 17.11.2020 – 1 W 1037/20, 1 W 1277/20
1. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB setzt auch bei einem Neugeborenen die körperliche Anwesenheit voraus. Der Prioritätsgrundsatz gilt auch, falls eine Vater-Kind-Zuordnung erstmals zu einem Zeitpunkt nach der Geburt möglich ist.
2. Eine Weiterverweisung kann auch dann gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB unbeachtlich sein, wenn sie sich aus dem vom Aufenthaltsstatut berufenen Recht ergibt.
(Einsender: Ri'inKG Dr. Annette Rieger)

Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 Abs. 2 ZPO bei Auslandstitel
OLG München 9.11.2020 – 7 W 1210/20
1. Fehlt es im Zusammenhang mit der Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 Abs. 2 ZPO an einem deutschen Prozessgericht des ersten Rechtszuges, da die Entscheidung in einem anderen Staat ergangen ist, wird diese Lücke durch entsprechende Anwendung der §§ 1117, 1086 Abs. 1 ZPO geschlossen, wodurch das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat.
2. Eine Bescheinigung i.S.d. Art. 53 EuGVVO muss eine Beschreibung der Maßnahme, das heißt eine Wiedergabe des Tenors der zu vollstreckenden einstweiligen Entscheidung, enthalten.
(Leitsätze von David Faust, Köln)

Privatscheidung nach japanischem Recht außerhalb der Rom II-VO
KG 3.11.2020 – 1 VA 1010/20 (nicht rechtskräftig)
1. Eine Ehescheidung durch Übereinkunft (hier japanischen Rechts), deren für die Wirksamkeit erforderliche Anmeldung von der Registerbehörde nur formal geprüft wird, ist eine Privatscheidung, die nur anerkannt werden kann, wenn die Voraussetzungen des aus deutscher Sicht maßgeblichen Scheidungsstatuts erfüllt sind. Sie unterfällt nicht dem Anwendungsbereich der Rom III-VO.
2. Eine Rechtswahl gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB i.V.m. Art. 5 ff. Rom III-VO setzt zumindest den übereinstimmenden Willen der Ehegatten voraus, ein Recht zu wählen, der in der Urkunde hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird; ein nur hypothetischer Wille oder eine bloße Geltungsannahme genügen nicht.
(Einsender: Ri'inKG Dr. Annette Rieger)

Art. 21 Abs. 1 EuErbVO: Europäisches Nachlassverzeichnis und Einzelnachlassgegenstände
OLG Düsseldorf 14.10.2020 – I-3 Wx 158/20
Bei Erbfällen mit Auslandsberührung kommt nach der vom Senat geteilten herrschenden Meinung (vgl. u.a. OLG München ZEV 2017, 580 f.; OLG Nürnberg ZEV 2017, 579 f.) die Angabe einzelner Nachlassgegenstände (hier: Eigentumswohnung in Polen) im Europäischen Nachlassverzeichnis unter Anwendung deutschen Erbrechts (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO) nicht in Betracht, insbesondere dann nicht, wenn dem Übergang des gesamten Eigentums ein Erbschaftskauf zugrunde liegt.
(Einsender: RiOLG a. D. Peter von Wnuck-Lipinski)

Belegenheitsort globalverbriefter Aktien
BayObLG 8.10.2020 – 101 SchH 120/20
Ein Vermögenswert in Form von globalverbrieften Aktien ist dort belegen, wo sich die Globalurkunde tatsächlich befindet.
(Leitsatz von David Faust, Köln)

Deliktsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO
OLG Rostock 30.9.2020 – 2 U 6/17
1. Im Sinn des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort.
2. Im Rahmen des Art. 32 Abs. 1 S. 1 lit. a EuGVVO wirkt die Zustellung auf den Zeitpunkt zurück, in dem dem Kläger zuzurechnende Zustellungshindernisse behoben sind.

Art. 69 EuErbVO: Richtigkeitswiderlegung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
OLG München 29.9.2020 – 34 Wx 236/20
Ergibt sich aus dem Vortrag der Antragstellerin im Grundbuchverfahren, dass ein dinglicher Übergang des Eigentums an einem Nachlassgegenstand nicht schon mit dem Tod des Erblassers, sondern erst mit Abschluss eines Auseinandersetzungsvertrags erfolgt ist, ist die Vermutung der Richtigkeit des Europäischen Nachlasszeugnisses nach Art. 69 EuErbVO widerlegt.

Auslandsaufenthalt in China: 21 EuErbVO und § 1371 Abs. 1 BGB
OLG Frankfurt 14.9.2020 – 21 W 59/20
1. Sind langjährige berufliche und soziale Bindungen des Erblassers an seinen neuen tatsächlichen Aufenthaltsort vorhanden, muss der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 21 EuErbVO am Ort des tatsächlichen Aufenthalts nicht zwingend entgegenstehen, dass von dem Erblasser eine Rückkehr in sein früheres Heimatland beabsichtigt und ins Werk gesetzt worden war.
2. Umfasst der Nachlass eines Erblassers mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in der Volksrepublik China auch inländisches Grundvermögen, ist die von dem IPR der Volksrepublik China hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens angeordnete Anwendung des Erbrechts am inländischen Belegenheitsort zugleich gemäß Art. 34 Abs. 1 EuErbVO als Nachlassspaltung beachtlich.
3. Haben die Eheleute in dem gesetzlichen Güterstand einer Errungenschaftsgemeinschaft nach dem Ehegüterrecht der Volksrepublik China gelebt, kann der überlebende Ehegatte bei Anwendung deutschen Erbstatus einen nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbteil weder aufgrund einer international-privatrechtlichen Substitution des ausländischen Güterstands zur inländischen Zugewinngemeinschaft noch aufgrund einer international-privatrechtlichen Anpassung beanspruchen, sondern bleibt grundsätzlich auf den gemäß § 1931 Abs. 1 BGB nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil beschränkt.

Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 15 EuEheVO
OLG Karlsruhe 11.9.2020 – 16 UF 39/19
Die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 15 Abs. 1 EuEheVO sind bei der Entscheidung darüber, ob sich das Gericht gemäß Art. 15 Abs. 5 S. 2 EuEheVO für unzuständig zu erklären hat, nicht erneut zu prüfen.

Art. 101, 102 AEUV und Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO
OLG Düsseldorf 7.9.2020 – VI-U 4/20
Es existiert kein eigener europarechtlicher Anspruch zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 101, 102 AEUV. Der Anspruch ist daher nach Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO anzuknüpfen.
(Leitsatz von David Faust, Köln)

Rechtswahlabrede im Hauptvertrag als konkludente Wahl des Schiedsgerichtsstatuts
UK Supreme Court 9.10.2020 – Enka Insaat Ve Sanayi A.S. v 000 Insurance Company Chubb, [2020] UKSC 38
Eine ausdrückliche Rechtswahl im Hauptvertrag kann grundsätzlich als eine konkludente Rechtswahl im Rahmen der im Hauptvertrag enthaltenen Schiedsgerichtsvereinbarung angesehen werden. Die Erteilung einer einstweiligen Verfügung gegen eine Klage kann stets bei den Gerichten des Staates, in dem das Schiedsgericht seinen Sitz hat, beantragt werden.
(Leitsatz von David Faust, Köln)

Inlandsschiedsspruch nach chinesischem Recht unabhängig vom Sitz der Schiedsinstitution
Guangzhou People's Intermediate Court v. 6.8.2020 – Brentwood Industries Inc. v. Guangdong Faanlong Co, Ltd and Others, 2015 Sui Zhong Min Si Fa Chu No. 62
Erlässt ein in China belegenes Schiedsgericht einen Schiedsspruch, so ist dieser als inländische Entscheidung in China vollstreckbar, gleich wo die Organisation, der das Schiedsgericht angehört, ihren Sitz hat.
(Leitsatz von David Faust, Köln)

 

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