Heft 6/2019 (November 2019)

Prof. Dr. Rolf Wagner zum 65. Geburtstag
Am 30.10.2019 feierte der Leiter des Referats für Inter­nationales Privatrecht im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Professor Dr. Rolf Wagner seinen fünfundsechzigsten Geburtstag. Er hat in den letzten Dekaden das ­deutsche IPR als Referatsleiter und das europäische wie staatsvertragliche Kollisionsrecht als Vertreter der Bundesregierung bei Verhandlungen in Brüssel und Den Haag entscheidend beeinflusst. Den Lesern der IPRax ist er auch als Mitautor der Jahresberichte zum Europäischen Kollisionsrecht bekannt. Als Referatsleiter des BMJV hat er seit langen Jahren an allen Beratungen des Deutschen Rats für IPR teilgenommen und die Auswahl der Beratungsgegenstände entscheidend beeinflusst. Herausgeber und Verlag gratulieren ihm vielmals!
 
Treuhandvertrag und Rom I-VO /
AGB-Rechtswahlkontrolle
EuGH 3.10.2019 – C-272/18 – Verein für Konsumenteninformation ./. TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds
1.  Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ und Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO sind dahin auszulegen, dass vertragliche Pflichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die ihren Ursprung in einem Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft haben, nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens und der Verordnung ausgenommen sind.
2.  Art. 5 Abs. 4 lit. b EVÜ und Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-VO sind dahin auszulegen, dass ein Treuhandvertrag, aufgrund dessen die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen in dem Staat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vom Gebiet eines anderen Staates aus, d. h. aus der Ferne, zu erbringen sind, nicht unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausschluss fällt.
3.  Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzmitgliedstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich im Sinne der genannten Bestimmung ist, wenn sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 5 Abs. 2 EVÜ und Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre.
 
Verbraucherbegiff in EuGVVO und Rom I-VO bei Differenzgeschäft zur ­Privat­anlage
EuGH 3.10.2019 – C-208/18 – Petruchová
Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine natür­liche Person, die aufgrund eines Vertrags wie eines mit einer ­Broker-Gesellschaft geschlossenen Differenzgeschäfts Transaktionen auf dem internationalen Devisenmarkt FOREX (Foreign Exchange) über diese Gesellschaft tätigt, als „Verbraucher“ im Sinne dieser Vorschrift einzustufen ist, wenn der Abschluss dieses Vertrags nicht zu der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person gehört, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. In Bezug auf diese Einstufung sind zum einen Fakto ren wie der Wert der aufgrund von Verträgen wie Differenz­geschäften vorgenommenen Transaktionen, die Höhe der mit dem Abschluss solcher Verträge verbundenen Risiken finan­zieller Verluste, etwaige Kenntnisse oder eine etwaige Erfahrung der Person auf dem Gebiet von Finanzinstrumenten oder ihr aktives Handeln im Rahmen solcher Transaktionen für sich genommen grundsätzlich nicht erheblich und hat zum anderen für sich genommen der Umstand grundsätzlich keine Auswirkungen, dass Finanzinstrumente nicht unter Art. 6 Rom I-VO fallen oder dass diese Person ein „Kleinanleger“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 12 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanz­instrumente [...] ist.
 
EuGVO / EuInsVO: Forderungsstreit und Insolvenzanmeldung
EuGH 18.9.2019 – C-47/18 – Skarb Pa´nstwa Rzeczypospolitej Polskiej ./. Riel
1. Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Feststellung des Bestehens einer Forderung zum Zweck ihrer Anmeldung in einem Insolvenzverfahren vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen ist.
2. Art. 29 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass er auf eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen ist, aber in den der EuInsVO 2002 fällt, auch nicht entsprechend ­anwendbar ist.
3. Art. 41 EuInsVO 2002 ist dahin auszulegen, dass ein Gläubiger in einem Insolvenzverfahren eine Forderung ohne förmliche Mitteilung ihres Entstehungszeitpunkts anmelden kann, wenn das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet worden ist, nicht zur Mitteilung dieses Zeitpunkts verpflichtet und er ohne besondere Schwierigkeit aus den in Art. 41 genannten Belegen abgeleitet werden kann, was zu beurteilen Sache der zuständigen Stelle ist, die mit der Prüfung der Forderungen betraut ist.
 
Unionsmarke: Zuständigkeit am Werbeort für Verletzerklage gegen Dritten
EuGH 5.9.2019 – C-172/18 – AMS Neve Ltd u.a. ./. Heritage Audio SL u.a.
Art. 97 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unionsmarke] ist dahin auszu­legen, dass der Inhaber einer Unionsmarke, der glaubt, durch die ohne seine Zustimmung erfolgte Benutzung eines mit dieser Marke identischen Zeichens durch einen Dritten in der Werbung und in Verkaufsangeboten, die elektronisch für Waren angezeigt werden, die mit denen, für die diese Marke eingetragen ist, identisch oder ihnen ähnlich sind, geschädigt worden zu sein, gegen diesen Dritten eine Verletzungsklage vor einem Unionsmarkengericht des Mitgliedstaats erheben kann, in dem sich die Verbraucher oder Händler befinden, an die sich diese Werbung oder Verkaufsangebote richten, obwohl der Dritte die Entscheidungen und Maßnahmen im Hinblick auf diese elektronische Anzeige in einem anderen Mitgliedstaat getroffen hat.
 
Isolierte Zuständigkeit bei Scheidungsfolgesachen nach EuUntVO
EuGH 5.9.2019 – C-468/18 – R ./. P
Art. 3 lit. a und d sowie Art. 5 EuUntVO sind dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Gericht eines Mitgliedstaats mit einer Klage befasst wird, mit der drei zusammenhängende, die Ehescheidung der Eltern eines minderjährigen Kindes, die elterliche Verantwortung für dieses Kind und die Unterhaltspflicht für das Kind betreffende Anträge gestellt werden, das über die Scheidung befindende Gericht, das seine Zuständigkeit für die Entscheidung über den die elterliche Verantwortung betreffenden Antrag verneint hat, gleichwohl für die Entscheidung in der Unterhaltssache zuständig ist, wenn es zugleich das Gericht des Ortes ist, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder das Gericht, vor dem der Beklagte sich auf das ­Verfahren eingelassen hat, ohne den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen.
 
Bescheinigung nach Art. 53 EuGVVO ohne Zuständigkeitsüberprüfung
EuGH 4.9.2019 – C-347/18 – Salvoni ./. Fiermonte
Art. 53 EuGVVO in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2015/281 der Kommission vom 26. November 2014 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er es dem Ursprungsgericht, bei dem die Ausstellung der in diesem Art. 53 EuGVO vorgesehenen Bescheinigung in Bezug auf eine rechtskräftige Entscheidung beantragt wird, nicht erlaubt, von Amts wegen zu prüfen, ob gegen die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt 4 dieser Verordnung verstoßen wurde, um den Verbraucher über einen eventuell festgestellten Verstoß zu informieren und es ihm zu erlauben, in Kenntnis der Sachlage die Möglichkeit zu erwägen, von dem in Art. 45 EuGVO vorge­sehenen Rechtsbehelf Gebrauch zu machen.
 
Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bei Preiskartell am Marktort
EuGH 29.7.2019 – C-451/18 – Tibor-Trans Fuvarozó és Kereskedelmi Kft. ./. DAF TRUCKS N.V.
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, bei einer Klage auf Ersatz des Schadens, der durch eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV verursacht wurde, die u. a. in Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für Lastkraftwagen bestand, in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens den Ort des durch diese Zuwiderhandlung beeinträchtigten Marktes bezeichnet, d. h. den Ort, an dem die Preise des Marktes verfälscht wurden, auf dem dem Geschädigten nach dessen Aussage dieser Schaden entstanden ist, und zwar auch dann, wenn sich die Klage gegen einen an dem betreffenden Kartell Beteiligten richtet, mit dem der Geschädigte keine vertraglichen Beziehungen eingegangen war.
 
Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F.: engste Beziehung und prospektive Tatsachen
BGH 26.6.2019 – XII ZB 299/18
a) Für die Beurteilung der bei Eheschließung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F. bestehenden engsten Verbindung der Ehegatten mit einem Staat kann auch die der Ehe-schließung nachfolgende Tatsachenentwicklung indizielle Bedeutung haben.
b) Die Feststellung der zuständigen Verwaltungsbehörde nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines von einem ausländischen Gericht erlassenen Scheidungsurteils gegeben sind, wirkt auf den Zeitpunkt der Rechtskraft dieses Urteils zurück (Fortführung von Senatsurteil vom 6. Oktober 1982 IVb ZR 729/80 FamRZ 1982, 1203).
 
Europäisches Nachlasszeugnis und ­Grundbucheintragung
KG 3.9.2019 – 1 W 161/19
Der Nachweis der Bewilligungsbefugnis eines Erben kann durch ein Europäisches Nachlasszeugnis nur durch Vorlage einer von der Ausstellungsbehörde ausgestellten beglaubigten Abschrift des Zeugnisses geführt werden, deren Gültigkeitsfrist im Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch noch nicht abgelaufen ist. Das gilt auch bei
Ablauf der Gültigkeitsfrist nach Antragstellung beim Grundbuchamt.
 
EuErbVO und § 1371 BGB
OLG München 24.9.2019 – 31 Wx 326/18
1. Bei Erbfällen vor dem 17.8.2015 (Inkrafttreten der ­EuErbVO), bei denen das Erbrechts- und das Güterrechtsstatut auseinanderfallen, verbleibt es bei der vom BGH (ZEV 2015, 409 ff.) angenommenen güterrechtlichen Einordnung von § 1371 Abs. 1 BGB.
2. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf (ZEV 2018, 205 ff.) ist für die Nachlassgerichte nur in Verfahren bindend, in denen der Anwendungsbereich der EuErbVO eröffnet ist.
3. Ein Erbschein, der vor Inkrafttreten der EuErbVO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH zur güterrechtlichen Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB erteilt wurde, ist deswegen nicht unrichtig geworden und nicht einzuziehen.
 
Brautgabe als Naturalobligation und ­Ehewirkungsstatut
OLG Frankfurt a.M. 26.4.2019 – 8 UF 192/17
1. Ein Braut- bzw. Morgengabeversprechen unterliegt der allgemeinen Ehewirkungsanknüpfung, soweit kein anderer konkreter Schwerpunkt des Versprechens feststellbar ist.
2. Das Braut- bzw. Morgengabeversprechen bei nicht prägend ausländischem Hintergrund und anzuwendendem deutschen Sachrecht stellt eine gerichtlich nicht einklagbare Naturalobligation, also ein schuldrechtliches Leistungspflichtverhältnis, das mit rechtlichen Zwangsmitteln einseitig nicht durchsetzbar ist, dar.
3. Ein Braut- bzw. Morgengabeversprechen weist eine Nähe zu deutschen notarbedürftigen eherechtlichen Vereinbarungen auf und bedarf auch aufgrund einer notwendigen Beratung und Warnung der notariellen Form.
(Leitsätze von David Faust und Marcel Gernert, beide Köln)
 
Deutsch-Türkisches Nachlassabkommen und § 1371 BGB
OLG Hamm 21.3.2019 – 10 W 31/17
1. Die Erbfolge eines türkischen Staatsangehörigen bestimmt sich hinsichtlich des zum Nachlass gehörenden, in Deutschland gelegenen unbeweglichen Vermögens nach deutschem Recht. Insoweit kommt es zur Nachlassspaltung.
2. Die Erbquote der Ehefrau ist nicht gemäß § 1371 Abs. 1 BGB zu erhöhen, wenn der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet ist. Die in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene Frage, ob die Vorschrift erb- oder güterrrechtlich zu qualifizieren ist, kann offen bleiben.
 
Art. 125 UMV u. Niederlassungsgerichtsstand
öOGH 20.12.2018 – 4 Ob 195/18g
Zur Begründung einer Zuständigkeit nach Art. 125 Abs. 1 UMV i.V.m. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ist für eine Niederlassung einer Gesellschaft keine gesellschaftliche Verflechtung der „Außen­stelle“ mit dem „Stammhaus“ erforderlich. Vielmehr reichen ein von beiden gesetzter Anschein und die Möglichkeit der „Außen­stelle“ aus, als Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit Geschäfte mit Dritten zu schließen, wie es auch das „Stammhaus“ täte.
(Leitsätze von David Faust, Köln)

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