Heft 5/2019 (September 2019)
Änderungen der EuEheVO
Der Rat der Europäischen Union hat am 25.6.2019 Änderungen der EuEheVO beschlossen, die ab dem 1.8.2022 gelten sollen. Zum einen wurden klarere Regeln eingeführt, die eine Anhörung und Beteiligung des Kindes erleichtern bzw. erst erforderlich machen. Zum anderen wurde das Exequaturverfahren in Fragen der elterlichen Verantwortung vollständig abgeschafft, weshalb nun notwendige Verfahrensvorschriften, wie verbesserte und klarere Regeln für Fälle von Kindesentführungen, den Urkundenverkehr und die Vollstreckungsharmonisierung, ergänzt wurden.
Art. 24 Nr. 1 und 5 EuGVVO erfassen keine Gläubigerwiderspruchsklage
EuGH 10.7.2019 – C-722/17 – Reitbauer u.a. ./. Casamassima
Art. 24 Nr. 1 und 5 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass die Widerspruchsklage eines Gläubigers gegen die Verteilung des Erlöses der gerichtlichen Versteigerung einer Liegenschaft, mit der zum einen das Erlöschen einer konkurrierenden Forderung durch Aufrechnung und zum anderen die Unwirksamkeit der Begründung des Pfandrechts zur Besicherung dieser Forderung festgestellt werden soll, nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Liegenschaft belegen ist, oder der Gerichte des Ortes der Zwangsvollstreckung fällt.
Art. 15 Abs. 1 EuEheVO: Kindeswohlprüfung und Kindesaufenthalt
EuGH 10.7.2019 – C-530/18 – EP ./. FO
1. Art. 15 Abs. 1 EuEheVO ist dahingehend auszulegen, dass sie eine Ausnahme von der allgemeinen Zuständigkeitsregel des Art. 8 EuEheVO vorsieht, nach der die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten durch den Ort bestimmt wird, an dem das Kind zum Zeitpunkt der Anrufung der Gerichte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
2. Art. 15 EuEheVO ist dahingehend auszulegen, dass, wenn eines oder mehrere der fünf von ihm festgelegten alternativen Kriterien, um zu beurteilen, ob das Kind eine besondere Verbindung zu einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts hat, erfüllt sind, das nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung zuständige Gericht die Möglichkeit hat, die Sache an ein Gericht zu verweisen, das seiner Ansicht nach besser in der Lage ist, die Streitigkeit vor ihm zu lösen, aber nicht dazu verpflichtet ist. Kommt das zuständige Gericht zu dem Schluss, dass die Beziehungen, die das betreffende Kind mit dem Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts verbinden, stärker sind als die, die es mit einem anderen Mitgliedstaat verbinden, so reicht diese Schlussfolgerung aus, um die Anwendung von Art. 15 dieser Verordnung auszuschließen.
3. Art. 15 EuEheVO ist dahingehend auszulegen, dass das Bestehen von Unterschieden zwischen den Rechtsnormen, insbesondere der Verfahrensordnung, eines Mitgliedstaats, der in Bezug auf den Inhalt einer Rechtssache zuständig ist, und denen eines anderen Mitgliedstaats, mit dem das betreffende Kind eine besondere Verbindung hat, wie beispielsweise die Prüfung von Fällen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch Fachrichter, kein allgemeines und abstraktes Kriterium im Hinblick auf das Wohl des Kindes darstellt, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob die Gerichte dieses Mitgliedstaats besser geeignet sind, diesen Fall zu verhandeln. Das zuständige Gericht kann diese Unterschiede nur dann berücksichtigen, wenn sie einen echten und spezifischen Mehrwert für die in Bezug auf dieses Kind zu treffenden Entscheidungen bieten, verglichen mit der Möglichkeit, dass die Rechtssache bei diesem Gericht verbleibt.
Keine Anwendung der EuVTVO bei unbekannter Beklagtenanschrift und Beklagtensäumnis
EuGH 27.6.2019 – C-518/18 – RD ./. SC
Die EuVTVO ist dahin auszulegen, dass sie es in dem Fall, dass ein Gericht die Anschrift der beklagten Partei nicht ermitteln kann, nicht erlaubt, eine gerichtliche Entscheidung über eine Forderung, die nach einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, zu der weder die beklagte Partei noch der für das Verfahren bestellte Kurator erschienen sind, als Europäischen Vollstreckungstitel zu bestätigen.
Art. 3 lit. b EuUnthVO greift nicht für Sozialhilfeträger bei cessio legis
Vorabentscheidungsersuchen des BGH 5.6.2019 – XII ZB 44/19
Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung, die an einen Unterhaltsberechtigten Leistungen der Sozialhilfe erbracht hat, sich auf den Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten nach Art. 3 lit. b EuUnthVO berufen kann, wenn sie den aufgrund der Sozialhilfegewährung im Wege der Legalzession auf sie übergegangenen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltspflichtigen als Regress geltend macht.
Wahl des Errichtungsstatuts nach Art. 83 Abs. 1 EuErbVO
BGH 10.7.2019 – IV ZB 22/18
Zur Wirksamkeit der Wahl des deutschen Errichtungsstatuts in einem Erbvertrag, der von einer nach dem 17.8.2015 verstorbenen deutschen Erblasserin mit einem italienischen Staatsangehörigen vor diesem Stichtag (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO) geschlossen worden war.
Art. 34 Nr. 2 LugÜ 2007: Rechtliches Gehör, nicht bloß formale Zustellung
BGH 22.5.2019 – XII ZB 523/17
1. Nach Art. 34 Nr. 2 LugÜ 2007 ist nicht auf die formal ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Beklagte Kenntnis vom laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat und deswegen seine Rechte geltend machen konnte (Fortführung von Senatsbeschluss vom 3.8.2011 – XII ZB 187/10, BGHZ 191, 9 = FamRZ 2011, 1568).
2. Dass die zu vollstreckende Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist, begründet für sich genommen keinen Verstoß gegen den ordre public nach Art. 34 Nr. 1 LugÜ 2007.
Internationale und örtliche Zuständigkeit für die Vollstreckung inländischer Umgangsrechtsentscheidungen bei zwischenzeitlichem ausländischem Kindesaufenthalt
OLG Karlsruhe 27.6.2019 – 18 WF 105/19
1. Zur Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Vollstreckung einer im Inland ergangenen Entscheidung über das Umgangsrecht, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes sich zwischenzeitlich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befindet.
2. Maßgeblich für die Frage der internationalen Zuständigkeit für die Vollstreckung von Umgangsentscheidungen ist auf der Ebene des nationalen Rechts § 99 Abs. 1 FamFG (vgl. BGH v. 30.9.2015 – XII ZB 635/14).
3. Die EuEheVO enthält weder eine eigenständige Regelung der Zuständigkeit für die Vollstreckung bereits ergangener Entscheidungen zum Umgangsrecht, noch steht sie in Verbindung mit allgemeinen Prinzipien des Europarechts der Annahme einer Vollstreckungszuständigkeit deutscher Gerichte nach nationalem Recht unter den in Leitsatz 1 genannten Umständen entgegen.
4. Zur Frage der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit unter den in Leitsatz 1 genannten Umständen, wenn das Kind keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
Ordre public und Verjährungsrecht
OLG Hamm 21.5.2019 – 9 U 44/19
1. Es ist jedem Staat selbst überlassen, ob und wie er die Frage der Verjährung in seinen Gesetzen regelt und insbesondere, welchen Verjährungsfristen er einzelne Ansprüche unterwirft.
2. Mit dem deutschen materiellen ordre public ist ein Gesetz nicht schon deshalb unvereinbar, wenn der deutsche Richter, hätte er den Prozess entschieden, aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
3. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint.
Zustellung eines Schriftstücks „demnächst“ und Übersetzungserfordernis
OLG Frankfurt a.M. 8.5.2019 – 13 U 210/17
Weil Art. 5 Abs. 1 EuZustVO dem Antragsteller freistellt, ob dem zuzustellenden Schriftstück eine Übersetzung beigefügt wird, hat der Kläger nicht alles Zumutbare für eine Zustellung der Klageschrift „demnächst“ nach Ablauf der Verjährungsfrist getan, wenn er bei notwendiger Zustellung der Klageschrift in einem EU-Mitgliedsstaat (hier: Frankreich) keine Übersetzung beifügt, auf Nachfragen des Gerichts aber auf einer Übersetzung besteht, und die Klage deshalb erst ein Jahr nach Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt werden kann.
Internationale Zuständigkeit bei Verbrauchervereinsklage wegen Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze
OLG München 10.1.2019 – 29 U 1091/18
1. Auch die Klage eines Verbraucherschutzvereins, die andere Verstöße gegen Verbraucherschutzgesetze als die Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln betrifft, hat eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zum Gegenstand.
2. Die in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vorgenommene Zuständigkeitszuweisung an bestimmte Gerichte eines Mitgliedstaats betrifft nicht die internationale Zuständigkeit. Insoweit wird lediglich die örtliche Zuständigkeit geregelt.
3. Auch andere Verstöße gegen Verbraucherschutzgesetze als die Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln fallen unter den Begriff des unlauteren Wettbewerbs i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO, sofern dadurch die kollektiven Interessen der Verbraucher als Gruppe beeinträchtigt und damit die Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt beeinflusst werden können. Allerdings ist bei der Prüfung, ob das jeweils beanstandete Verhalten die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 2 UKlaG erfüllt – ob also die beanstandeten Praktiken bei der Abwicklung der Verbraucherverträge gegen Verbraucherschutzgesetze verstoßen – auf das diese Verträge beherrschende Recht abzustellen, das eigenständig nach der Rom I-VO bestimmt werden muss.
Unionsrechtliche Fluggastentschädigung und Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO: Verbraucheraufenthalt als Erfolgsort
AG Nürnberg 31.1.2019 – 21 C 7497/18
1. Der Ausgleichanspruch gem. Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 stellt ein außervertragliches Schuldverhältnis dar, sodass sich das anwendbare Recht nach Art. 4 Rom II-VO bestimmt.
2. Hinsichtlich der durch die Verspätung erlittenen Unannehmlichkeiten und des Zeitverlusts lässt sich kein konkreter Erfolgsort i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO festlegen. Es ist daher auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Fluggastes abzustellen.
(Leitsätze von Till Doyen)