Heft 5/2017 (September 2017)
Neue Europäische Insolvenzverordnung in Kraft getreten
Am 26.6.2017 ist die reformierte EuInsVO (EU Nr. 848/2015) in Kraft getreten. Die Verordnung löst die alte EuInsVO (EG Nr. 1346/2000) ab und gilt für Insolvenzverfahren, die ab diesem Tage eröffnet worden sind. Die neue EuInsVO dehnt in Art. 1 ihren Anwendungsbereich auf Verfahren aus, die auf Sanierung ausgelegt sind. Nach der Neufassung ist die internationale Zuständigkeit für insolvenznahe Klagen, wie beispielsweise Anfechtungsklagen, in der EuInsVO geregelt. Sie ist jetzt nach Art. 6 gleichlaufend mit der internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach Art. 3. Die Verordnung fördert außerdem den Informationsaustausch zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten durch die Etablierung eines elektronisch geführten Europäischen Insolvenzregisters (Art. 24–27). Daneben regelt die Verordnung nun umfangreich die Koordination und Abwicklung von Insolvenzverfahren ganzer Unternehmensgruppen (Art. 61–77).
EuBagatellVO novelliert zum 14.7.2017
Die geänderte Fassung der EuBagatellVO (EU Nr. 2015/2421), die das Verfahren vereinfachen und beschleunigen soll, ist am 14.7.2017 in Kraft getreten. Sie ist abzurufen unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32015 R2421.
Art. 8 EGBGB (Stellvertretung) und andere Änderungen des deutschen Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts in Kraft getreten
Am 17.6.2017 (bzw. zu geringfügigen Teilen am 14.7.2017) ist das Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts in Kraft getreten (BGBl. I 1607 v. 16.6.2017). Das Reformgesetz betrifft in seinem verfahrensrechtlichen Teil das internationale Zustellungsrecht, das Europäische Mahnverfahren nach der EuMahnVO sowie das Verfahren für geringfügige Forderungen nach der EuBagatellVO. Eine ausführliche Würdigung dieses Teils des Änderungsgesetzes findet sich bei Nordmeier, Neuerungen im deutschen IZVR durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts, IPRax 2017, 436 (in diesem Heft).
Im Internationalen Privatrecht wurde mit Art. 8 EGBGB eine Kollisionsnorm zur gewillkürten Stellvertretung geschaffen. Zum Gesetzesentwurf, der weitgehend unverändert Gesetz wurde, siehe Rademacher, Kodifikation des internationalen Stellvertretungsrechts – Zum Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums‚ IPRax 2017, 56.
Neues IPR zur Bekämpfung von Kinderehen ist in Kraft
Das am 17.7.2017 verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen ist am 22.7.2017 in Kraft getreten. Neben Änderungen im Eheschließungs-, Kindschafts-, Betreuungs-, Erb- und Personenstandsrecht, im Kinder- und Jugendhilferecht sowie im Asylrecht sieht es eine weitreichende Umgestaltung auch des Kollisionsrechts der Eheschließung vor, die ausführlich von
Coester-Waltjen, Kinderehen – Neue Sonderanknüpfungen im EGBGB, IPRax 2017, 429 (in diesem Heft), gewürdigt wird.
Brexit und künftige Justizielle Zusammenarbeit
Die Task Force der Europäischen Kommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich gemäß Artikel 50 EUV hat am 28.6.2017 eine Stellungnahme bezüglich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen veröffentlicht, die sich mit Fragen des Übergangsrechts befasst. Das Papier ist abrufbar unter https:// ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/essential_ principles_judicial_cooperation_in_civil_and_commercial_matters.pdf.
Art. 9 Abs. 1 lit. b, Art. 11 Abs. 2 EuGVVO 2001 bei cessio legis wegen Lohnfortzahlung: Arbeitgeber als Unfallgeschädigter
EuGH 20.7.2017 – Rs. C-340/16 – Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG ./. Mutuelles du Mans assurances – MMA IARD SA
Art. 9 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 11 Abs. 2 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass ein in einem ersten Mitgliedstaat ansässiger Dienstgeber, der das Entgelt seines infolge eines Verkehrsunfalls arbeitsunfähigen Dienstnehmers fortgezahlt hat und in die Rechte eingetreten ist, die dem Dienstnehmer gegenüber der in einem zweiten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, bei der das an diesem Unfall beteiligte Fahrzeug haftpflichtversichert ist, zustehen, in seiner Eigenschaft als „Geschädigter“ im Sinne der letztgenannten Bestimmung die Versicherungsgesellschaft vor den Gerichten des ersten Mitgliedstaats verklagen kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist. Zuständigkeit nach der EuGVVO 2001 und Gemeinschaftsgeschmacksmusterverfahren
EuGH 13.7.2017 – Rs. C-433/16 – Bayerische Motoren Werke AG ./. Acacia Srl
1. Art. 24 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass eine Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, die im ersten Verteidigungsschriftsatz hilfsweise gegenüber anderen in demselben Schriftsatz erhobenen prozessualen Einreden erhoben wird, nicht als Anerkennung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts angesehen werden kann und daher nicht zu einer Vereinbarung über die Zuständigkeit nach diesem Artikel führt.
2. Art. 82 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Gemeinschaftsgeschmacksmustern nach Art. 81 Buchst. b dieser Verordnung dann, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, vor den Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichten dieses Mitgliedstaats zu erheben sind, es sei denn, es liegt eine Vereinbarung über die Zuständigkeit im Sinne von Art. 23 oder Art. 24 EuGVVO 2001 vor, und vorbehaltlich der in diesen Verordnungen genannten Fälle der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren.
3. Die in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO 2001 aufgestellte Zuständigkeitsregel findet auf Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Gemeinschaftsgeschmacksmustern nach Art. 81 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 keine Anwendung.
4. Die in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO 2001 aufgestellte Zuständigkeitsregel findet auf Anträge auf Feststellung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und eines unlauteren Wettbewerbs, die mit einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Zusammenhang stehen, keine Anwendung, soweit diesen Anträgen nur stattgegeben werden kann, wenn dieser Klage auf Feststellung der Nichtverletzung stattgegeben wird.
Keine Drittwirkung der Gerichtsstandsabrede mit Versicherer gegenüber Direktkläger
EuGH 13.7.2017 – Rs. C-368/16 – Assens Havn ./. Navigators Management (UK) Limited
Art. 13 Nr. 5 i.V.m. Art. 14 Nr. 2 lit. a EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass ein Geschädigter, der unmittelbar gegen den Versicherer des Schädigers klagen kann, nicht an eine Gerichtsstandsvereinbarung, die zwischen dem Versicherer und dem Schädiger getroffen wurde, gebunden ist.
Art. 23 EuGVVO 2001 und Gesamtschuld
EuGH 28.6.2017 – Rs. C-436/16 – Georgios Leventis u.a. ./. Malcon Navigation Co. ltd. u.a.
Art. 23 Abs. 1 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsklausel, die in einem zwischen zwei Gesellschaften geschlossenen Vertrag enthalten ist, nicht von den Vertretern einer dieser Gesellschaften geltend gemacht werden kann, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die Entscheidung über eine Schadensersatzklage zu bestreiten, mit der sie für ihnen zur Last gelegte unerlaubte Handlungen in Ausübung ihrer Pflichten gesamtschuldnerisch zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Art. 7 Nr. 1 EuGVVO und Gesamtschuld bei Kreditvertrag
EuGH 15.6.2017 – Rs. C-249/16 – Saale Kareda ./. Stefan Benkö
1. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass Gegenstand einer von einem Gesamtschuldner eines Kreditvertrags gegen einen anderen Gesamtschuldner erhobenen Regressklage „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Vorschrift sind.
2. Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein Kreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den zwei Gesamtschuldner mit einem Kreditinstitut schließen, als „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist.
3. Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, in dem ein Kreditinstitut zwei Gesamtschuldnern einen Kredit gewährt hat, der „Ort in einem Mitgliedstaat, an dem [die Dienstleistungen] nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“ im Sinne dieser Vorschrift, sofern nichts anderes vereinbart worden ist – auch für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Richters, der über die Regressklage eines Gesamtschuldners gegen den anderen zu entscheiden hat –, der Ort des Sitzes des Kreditinstituts ist.
Zwangsmediation und EU-Richtlinienrecht
EuGH 14.6.2017 – Rs. C-75/16 – Livio Menini, Maria Antonia Rampanelli ./. Banco Popolare Società Cooperativa
Die Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten) ist dahin auszulegen. dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die in den in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Rechtsstreitigkeiten die Einleitung eines Mediationsverfahrens als Zulässigkeitsvoraussetzung einer gerichtlichen Klage in Bezug auf diese Streitigkeiten vorsehen, soweit ein solches Erfordernis die Parteien nicht daran hindert, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem auszuüben.
Diese Richtlinie ist andererseits dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die vorsehen, dass ein Verbraucher im Rahmen einer solchen Mediation einen Anwalt beiziehen muss und dass er ein Mediationsverfahren nur abbrechen darf, wenn er das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes für diese Entscheidung darlegt.
Abgrenzung Ehegüterrecht und Rom III-VO
EuGH 14.6.2017 – Rs. C-67/17 – Todor Iliev ./. Blagovesta Ilieva
Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine Rechtsstreitigkeit wie im Hauptverfahren, bei der es um die Liquidation von Eigentum, welches während der Ehe von den Ehegatten, die Staatsbürger eines Mitgliedstaats sind, aber in einem anderen Mitgliedstaat ihren Wohnsitz haben, erworben wurde, nach der Scheidung geht, nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Solche Streitigkeiten unterliegen Regelungen über den ehelichen Güterstand und sind deshalb gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVVO von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen.
Art. 38 Abs. 1 EuGVVO 2001 und Substitution bei der Titelverjährung
Vorabentscheidungsersuchen des BGH an den EuGH vom 11.5.2017 – V ZB 175/15
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist es mit Art. 38 Abs. 1 EuGVVO 2001 vereinbar, eine im Recht des Vollstreckungsstaates vorgesehene Frist, aufgrund derer aus einem Titel nach Ablauf einer bestimmten Zeit nicht mehr vollstreckt werden darf, auch auf einen funktional vergleichbaren Titel anzuwenden, der in einem anderen Mitgliedsstaat erlassen und in dem Vollstreckungsstaat anerkannt und für vollstreckbar erklärt worden ist?
Auslandsrentenpfändung und Insolvenz
BGH 20.7.2017 – IX ZB 63/16
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Rentenberechtigten im Inland ist die Frage, ob eine ausländische Rente pfändbar ist und damit zur Masse gehört, nach dem (deutschen) Insolvenzstatut zu beurteilen.
Art. 15 ff. LugÜ: Ausrichten beim Anwaltsvertrag
BGH 6.7.2017 – IX ZR 38/16
1. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts bestimmt sich gemäß Art. 64 Abs. 2 lit. a, Art. 60 Abs. 1 LugÜ. Danach kommt eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nur in Betracht, wenn ein Anwaltsvertrag als Verbrauchervertrag im Sinne der Art. 15 ff. LugÜ einzuordnen ist.
2. Ob ein Anwaltsvertrag als Verbrauchervertrag im Sinne der Art. 15 ff. LugÜ einzuordnen ist, richtet sich gemäß Art. 15 Abs. 1 lit. c nach dem Kriterium des „Ausrichtens“. Es gelten für Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ die zur gleichlautenden Vorschrift der EuGVVO 2001 entwickelten Auslegungsgrundsätze.
Inhaltsgleiche Aussagen in den Beschlüssen BGH vom 30.5.2017: IX ZR 73/16, IX ZR 109/16, IX ZR 123/16, IX ZR 124/16, IX ZR 181/16, IX ZR 182/16, IX ZR 183/16, IX ZR 222/16, IX ZR 36/16.
(Leitsätze von Tim Erbstößer)
Gerichtsstrafe wegen missbräuchlicher Klage: Kein ordre public-Verstoß
BGH 22.6.2017 – IX ZB 61/16
Die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung, die den Kläger wegen missbräuchlicher oder mutwilliger Prozessführung verurteilt, dem Beklagten über die Erstattung der Prozesskosten hinaus einen pauschalierten Betrag zum Ersatz nicht näher bezifferter Nachteile zu bezahlen, widerspricht nicht dem ordre public.
§ 20 Abs. 2 AVAG: missbräuchliches Verlangen des Urkundsnachweises
BGH 17.5.2017 – VII ZB 64/15
Der gemäß § 20 Abs. 2 AVAG vorgeschriebene Nachweis der Sicherheitsleistung durch öffentliche Urkunde kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn sich der Einwand des Gläubigers, der Nachweis der Sicherheitsleistung sei nicht durch öffentliche Urkunde geführt, als rechtsmissbräuchlich erweist (§ 242 BGB).
Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG und Gerichtsstandsregelung des § 215 VVG
BGH 8.3.2017 – IV ZR 435/15
Der Regelungsbereich der Übergangsvorschrift in Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG erfasst nicht die Gerichtsstandsregelung des § 215 VVG.
HKÜ: keine Rückführung gegen strikten Kindeswillen und bei Geschwistertrennung
OLG Saarbrücken 10.7.2017 – 6 UF 98/15
1. Leitgedanke des HKÜ ist das Kindeswohl. Dieser Gedanke hat Vorrang vor dem ebenfalls angestrebten Ziel, Kindesentführungen ganz allgemein zu unterbinden. Dieser Vorrang ist auch noch im Vollstreckungsverfahren nach einem stattgebenden Rückführungsbeschluss zu beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die hierfür maßgebenden Umstände zwischen der Anordnung der Rückführung und den Vollstreckungsmaßnahmen eingetreten sind. Das Gericht hat dann auszusprechen, dass eine Vollstreckung der erlassenen Rückführungsanordnung nicht mehr stattfindet.
2. Entscheidende Umstände können eine „strikte Ablehnung“ der entführten Kinder sein, zum anderen Elternteil in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Dies gilt auch dann, wenn die Kinder erst ein Alter haben, bei dem der Kindeswille üblicherweise eher indizielle als streitentscheidende Bedeutung hat.
3. Ein entscheidender Umstand kann darüber hinaus der Aspekt der Vermeidung einer Geschwistertrennung sein, wenn die Trennung aufgrund einer intensiven emotionalen Bindung zwischen den Geschwistern mit der schwerwiegenden Gefahr eines seelischen Schadens verbunden ist.
(Leitsätze von Tim Erbstößer)
Registerrechtliche Eintragung des Wunschvaters de lege lata
KG 4.7.2017 – 1 W 169/17
1. In sog. Leihmutterschaftsfällen mit mehrfachem Auslandsbezug (Durchführung der Leihmutterschaft in Indien und Feststellung der alleinigen Vaterschaft des Wunschvaters in Israel) ist auch die ausländische Gerichtsentscheidung über die Feststellung der rechtlichen Verwandtschaft eines einzelnen Wunschelternteils nach deutschem Recht anerkennungsfähig (Fortführung von BGH Beschl. v. 10.12.2014 – XII ZB 463/13).
2. Registerrechtlich ist de lege lata eine Eintragung des Wunschvaters jedoch nur im Wege der Folgebeurkundung nach Voreintragung der (namentlich bekannten) Leihmutter und deren Ehemannes oder als Eintragung mit erläuterndem Zusatz über die Leihmutterschaft möglich.
(Mitgeteilt von Vors. RiKG Thomas Seifert, Berlin)
Verhältnis von Art. 25 EuGVVO und § 38 Abs. 2 S. 3 ZPO
OLG München 3.7.2017 – 34 AR 59/17
1. Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann gem. § 38 Abs. 2 S. 3 ZPO von einer Partei, die einen inländischen allgemeinen
Gerichtsstand hat, wirksam nur zugunsten des Gerichts eines Ortes getroffen werden, an dem die Partei einen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand hat. Ob diese Vorschrift durch Art. 25 EuGVVO verdrängt wird, ist umstritten.
2. Bestehen deshalb Zweifel an der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, sind Unsicherheiten baldmöglichst durch gerichtliche Gerichtsstandbestimmung zu beseitigen.
(Mitgeteilt von RA Dr. Alexander Wolf, LL.M. [Barcelona], Mannheim)
Sperrwirkung des Art. 16 HKÜ
OLG Bremen 21.6.2017 – 4 UF 20/17
1. Art. 16 HKÜ steht einer Sachentscheidung über das Sorgerecht im Zufluchtsstaat auch nach einer rechtskräftigen Rückgabeanordnung solange entgegen, wie der Antragsteller deren Vollzug betreibt und der Umstand, dass die Rückgabe noch nicht erfolgt ist, auf Verzögerung seitens der Vollstreckungsbehörden oder Versuche des entführenden Elternteils, die Vollstreckung zu vereiteln, zurückzuführen ist.
2. Nach der Rückführung des Kindes in seinen Heimatstaat gemäß dem HKÜ-Verfahren steht Art. 16 HKÜ einer Sorgerechtsentscheidung nicht mehr entgegen.
(Leitsätze von Till Doyen)
Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVVO: Im Zweifel ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart
OLG Hamm 29.5.2017 – 32 SA 4/17
Ein gemäß Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVVO vereinbarter Gerichtsstand ist ein ausschließlicher Gerichtsstand, wenn die Parteien insoweit nichts anderes vereinbart haben. Das folgt aus den normativen Vorgaben der EuGVVO für die Auslegung einer derartigen Gerichtsstandsvereinbarung.
Widerrechtliches Zurückhalten beginnt auch in Nichtvertragsstaat des HKÜ
KG 23.5.2017 – 16 UF 50/17
Es steht der tatbestandlichen Verwirklichung des Art. 3 HKÜ nicht entgegen, dass das widerrechtliche Zurückhalten eines Kindes in einem Staat (hier: Senegal) begonnen hat, der nicht an das HKÜ gebunden ist. Das widerrechtliche Zurückhalten dauerte fort, bis die Kinder im Anschluss – ohne Wissen und Einverständnis des anderen Elternteils – in einen HKÜ-Vertragsstaat (Deutschland) gebracht wurden.
Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO 2001: Ausrichten beim Anwaltsvertrag
OLG Düsseldorf 30.3.2017 – I-3 W 242/16
1. Ein Beschluss des Präsidenten der Anwaltskammer betreffend die Honorarforderung eines Anwalts stellt eine Entscheidung im Sinne des Art. 32 EuGVVO 2001 dar.
2. Besitzt ein Rechtsanwalt eine Zulassung als Anwalt in zwei Staaten und betreibt dort jeweils eine Kanzlei, kann daraus noch nicht geschlossen werden, er richte seine Tätigkeit jeweils auch auf den anderen Staat aus im Sinne des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO 2001, wenn sich seine anwaltliche Tätigkeit im konkreten Fall auf einen der Staaten beschränkte.
(Leitsätze von Till Doyen)
Aufnahme in ein Pflegeheim als Begründung neuen gewöhnlichen Aufenthalts?
OLG München 22.3.2017 – 31 AR 47/17
1. Die Vorlage betreffend die Bestimmung des örtlich zuständigen Nachlassgerichts setzt voraus, dass das Vorlagegericht die für die örtliche Zuständigkeit begründenden Tatsachen erschöpfend ermittelt hat (im Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.11.2016 – I-3 Sa 2/16).
2. Bei einer Aufnahme in ein Pflegeheim unmittelbar vor seinem Tod (hier: 3 Wochen) drängt sich die durch das Nachlassgericht zu klärende Frage auf, ob der Erblasser aufgrund eigenen Willens den Aufenthaltswechsel vollzogen hat.
Incoterms 2010 FCA
OLG Nürnberg 22.2.2017 – 12 U 812/15
Bei Vereinbarung der Incoterms 2010 FCA ist eine etwaige kaufvertragliche Nebenpflicht des Verkäufers zur Ladungssicherung auf dem Fahrzeug des Käufers (oder dessen Frachtführers) abbedungen.
Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS) als datum
OLG München 30.11.2016 – 3 U 2750/16
1. Hinsichtlich des Verschuldens sind – ungeachtet der Anwendbarkeit deutschen Rechts – die konkreten Verhaltensregeln des Rechts am Unfallort zu berücksichtigen. Nach österreichischem Recht ist bezüglich der Verhaltensregeln von Skifahrern auf die Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS) abzustellen.
2. Nach FIS-Regel Nr. 3 muss ein von hinten kommender Skifahrer seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet. Der vorausfahrende Skifahrer muss sich hingegen nicht hangwärts nach oben oder hinten orientieren.
3. Der Beweis des ersten Anscheins streitet daher bei einer Kollision von voraus- und hinterherfahrendem Skifahrer für ein sorgfaltswidriges Verhalten des von hinten kommenden Skifahrers.
(Mitgeteilt von Yannick Diehl, Potsdam; Leitsätze von Till Doyen)
Art. 81 CISG und einvernehmliche Vertragsaufhebung
LG Dortmund 21.4.2017 – 10 O 12/17
Art. 81 CISG findet im Fall einvernehmlicher Vertragsaufhebung entsprechende Anwendung. Ein Rückzahlungsanspruch geleisteter Anzahlungen ergibt sich aus Art. 81 Abs. 2 CISG.
(Leitsatz von Till Doyen)
Teilnahme an von einem Sportverband ausgetragenen Wettbewerben als konkludente Schiedsvereinbarung zugunsten des CAS
LG Köln 28.3.2017 – 31 O 448/14
1. Die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen richtet sich nach dem Schiedsvereinbarungsstatut. Bei Verfahren vor dem CAS ist schweizerisches Recht anwendbar.
2. Durch die Teilnahme an von einem Sportverband ausgetragenen Wettbewerben unterwirft sich ein Athlet zumindest konkludent dessen Regelwerk und damit auch einer etwaigen Schiedsvereinbarung – unabhängig davon, ob der Athlet Mitglied des Verbandes ist oder nicht.
3. Schiedsvereinbarungen zugunsten des CAS sind nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts materiell wirksam. Danach mangelt es nur an der Freiwilligkeit der eingegangenen Vereinbarung, wenn ein Athlet im Voraus einen Rechtsmittelverzicht in Bezug auf Schiedssprüche erklärt.
4. Verbandsgerichtliche Entscheidungen sind hinsichtlich der Strafbemessung gerichtlich überprüfbar, wenn es sich um einen Verein handelt, den aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung eine Aufnahmepflicht trifft. Sanktionen sind zulässig, wenn sie bei Abwägung der Interessen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.
(Leitsätze von Till Doyen)
Rüge der örtlichen Zuständigkeit zugleich Zuständigkeitsrüge nach EuGVVO
LG Aachen 21.3.2017 – 41 O 57/15
Es kann dahinstehen, ob die fehlende internationale Zuständigkeit eines Gerichts nach EuGVVO bereits mit der Klageerwiderung gerügt werden muss, wenn sich die fehlende örtliche Zuständigkeit ergibt und diese in der mündlichen Verhandlung beanstandet wird.
§ 32 ZPO bei Persönlichkeitsverletzungen durch Internetveröffentlichungen und rechtsmissbräuchliche Klageerhebung
LG Würzburg 7.3.2017 – 11 O 2338/16
1. Bei der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit nach § 32 ZPO bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet ist zunächst zu prüfen, ob die vermeintlich verletzende Veröffentlichung einen deutlichen Bezug zu dem Gerichtsort hat in dem Sinne, dass nach den Umständen des Einzelfalls eine Interessenkollision aufgrund einer Kenntnisnahme dort erheblich näher liegt, als das aufgrund der bloßen Abrufbarkeit der Fall wäre. Lässt sich ein solch regionaler Bezug – wie hier – nicht feststellen, ist eine bestimmungsgemäße Kenntnisnahme an jedem Ort in Deutschland gleich wahrscheinlich. Damit sind sämtliche deutschen Amts-und Landgerichte örtlich zuständig.
2. Die Klageerhebung an einem anderen als dem Heimatgericht des Klägers kann im Einzelfall jedoch unter Umständen rechtsmissbräuchlich sein, wenn dies gezielt in der Absicht geschieht, den Verfahrensgegner zu benachteiligen, etwa, weil der Gerichtsort besonders abgelegen und nur schwer erreichbar ist oder die Sache wiederholt und „testhalber“ bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht wird. Ein derartiges Vorgehen ist hier nicht festzustellen.
3. Die Haftungsprivilegierung der E-Commerce-Richtlinie (RL 2000/31/EG) und des darauf beruhenden § 10 TMG gilt nach Ansicht des EuGH zugunsten von sogenannten „Hosting-Providern“ auch für Unterlassungsansprüche (EuGH, Urteil v. 24.11.2011 – C-70/10). Nach älterer Rechtsprechung des BGH gelten dagegen die allgemeinen Vorschriften, wonach es insbesondere auf die Verletzung von Prüfpflichten ankommt (BGH, Urteil v. 30.4.2008 – I ZR 73/05). Hier führen beiden Auffassungen zum gleichen Ergebnis.
(Leitsätze von Till Doyen)
Zustellung nach der EuZustVO und Facebook als Zustellungsempfänger
AG Berlin-Mitte 8.3.2017 – 15 C 364/16
1. Nach der EuZustVO darf der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern, wenn es nicht in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaates oder in einer Sprache, die der Empfänger versteht, verfasst bzw. keine entsprechende Übersetzung beigefügt ist.
2. Das gilt nicht, wenn aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere der Organisationsstruktur des empfangenden Unternehmens – hier Facebook – davon auszugehen ist, dass die Beklagte hinreichend Deutsch versteht.
(Leitsätze von Till Doyen)
Kanada: Kontrolle der Abrede eines ausschließlichen Gerichtsstands
Supreme Court of Canada 23.6.2017 – 2017 SCC 33 – Douez v. Facebook, Inc.
1. Die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands ist nicht nach den Grundsätzen der forum non conveniens-Lehre zu prüfen. Es ist Gegenstand einer separaten Analyse, ob sie infolge schwerwiegender Gründe („strong cause“) unbeachtlich und ein Verfahren daher auszusetzen ist.
2. Bei Verbraucherverträgen kann die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands aufgrund eines Verstoßes gegen den ordre public unanwendbar sein. Ein solcher kann sich aus den Umständen ergeben, zum Beispiel wegen unausgeglichener Verhandlungsstärken der Parteien oder Berührung quasi-verfassungsrechtlicher Rechte (hier: Schutz der Privatsphäre).
(Leitsätze von Till Doyen)
Frankreich: Registerrechtliche Eintragung von Wunscheltern, Leihmutterschaft sperrt nicht Adoption durch Wunscheltern
Cour de cassation 5.7.2017 – nº 824 (nº 15-28.597), siehe auch Cour de Cassation 5.7.2017 – nº 825 (nº 16-16.901, 16-50.025), Cour de Cassation 5.7.2017 – nº 826 (nº 16-16.455), Cour de Cassation 5.7.2017 – nº 827 (nº 16-16.495)
1. In Bezug auf den leiblichen Vater, nicht aber die beabsichtigte Mutter kann die Geburtsurkunde eines über eine im Ausland durchgeführte Leihmutterschaft geborenen Kindes ins französische Personenstandsregister eingetragen werden.
2. Die im Ausland durchgeführte Leihmutterschaft steht jedoch einer Adoption des Kindes durch die Ehefrau des leiblichen Vaters nicht per se entgegen.
(Mitgeteilt von Samuel Fulli-Lemaire, Hamburg; Leitsätze von Dr. Susanne Deißner)
Handelsvertretervertrag: Unwirksamkeit der Schiedsabrede zugunsten drittstaatlichen Rechts
OGH 1.3.2017 – 5 Ob 72/16y
Eine von den Parteien eines Handelsvertretervertrags vereinbarte Schiedsklausel zugunsten außereuropäischen Rechts ist insoweit unwirksam, als sie der Anwendung der Art. 17, 18 Handelsvertreter-Richtlinie (RL 86/653/EWG) entgegensteht.
(Mitgeteilt von Christian Jopen, Bonn)
Italien: punitive damages verstoßen nicht gegen den ordre public
Corte Suprema di Cassazione 7.2.2017 – 16601/17
1. Dem zivilrechtlichen Schadensersatz kommt neben seinem Zweck, die Vermögenssituation des Geschädigten wiederherzustellen, auch eine Abschreckungsfunktion und ein Sanktionscharakter zu. Deshalb ist das US-amerikanische Rechtsinstitut der punitive damages nicht per se unvereinbar mit dem ordre public.
2. Die Anerkennung kommt allerdings nur für diejenigen ausländischen Gerichtsentscheidungen in Betracht, die auf der Grundlage von Gesetzen ergangen sind, die die Zuerkennung von punitive damages auf bestimmte Fallgruppen begrenzen und damit die Vorhersehbarkeit dieses Schadenstyps gewährleisten. Unter der Voraussetzung, dass die ausländische Rechtsordnung die Fälle, in denen punitive damages zugesprochen werden können, typologisiert und insbesondere auch quantitativ vorhersehbar regelt, ist eine Anerkennung einer Gerichtsentscheidung, die punitive damages zuspricht, mit dem ordre public vereinbar.
(Mitgeteilt von Prof. Dr. Franco Ferrari, New York; Leitsätze von Katharina Gatzsche)