Heft 4/2017 (Juli 2017)

Neues ungarisches IPR-Gesetz

Am 11.4.2017 wurde das neue ungarische IPR-Gesetz (Gesetz XXVIII von 2017), das zuvor vom ungarischen Parlament verabschiedet wurde, promulgiert. Das Gesetz tritt am 1.1.2018 in Kraft und wird die Rechtsverordnung, die seit 1979 das internationale Privatrecht regelt, vollständig ersetzen.

Das neue IPR-Gesetz behandelt die Bestimmung des anwendbaren Rechts und der Gerichtsbarkeit, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen und andere Aspekte des internationalen Zivilverfahrensrechts. Dabei führt es einige Änderungen zur vorher bestehenden Rechtslage ein.

Der Allgemeine Teil beschäftigt sich mit einigen zuvor nicht geregelten Fragen: anwendbares Recht bei Mehrrechtsstaaten,  
Außerkraftsetzung zwingender Vorschriften und Änderungen der Umstände, die das anwendbare Recht bestimmen. Der Allgemeine Teil sieht auch eine generelle Ausweichklausel vor. Der Besondere Teil des Gesetzes regelt die (eingeschränkte) Freiheit der Rechtswahl im Ehegüterrecht und bei eingetragenen Lebenspartnerschaften sowie die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei illegal exportierten Kulturgütern.

 

Vorschlag der Kommission zur Neufassung der EuEheVO

Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat seinen Berichtsentwurf 2016/0190(CNS) zum Vorschlag der Kommission zur Neufassung der EuEheVO veröffentlicht. Der Bericht ist abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc. do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fNONSGML%2bCOMPARL%2bPE-602.839%2b01%2bDOC%2bPDF%2bV0% 2f%2fDE.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Frank­reich wegen Verstoßes gegen Rom III-VO

Die EU-Kommission hat gegen Frankreich Beschwerde wegen Verstoßes gegen die Rom III-VO und die EuEheVO erhoben. Nach dem reformierten neuen französischen Scheidungsrecht, das seit 1.1.2017 gilt, wird eine Scheidungsvereinbarung im Rahmen einer umfassenden Einigung der Ehegatten nicht mehr gerichtlich geprüft und angenommen, sondern in einem durch die Ehegatten und ihre Anwälte unterzeichneten Privatvertrag getroffen, der anschließend lediglich durch einen notaire registriert wird. Die EU-Kommission rügt u.a. die fehlende gerichtliche Kontrolle der internationalen Zuständigkeit, des anwendbaren Rechts und der Interessen minderjähriger Kinder, aber auch dass mangels durch das neue Gesetz vorgesehener vollstreckbarer Ausfertigung von Vereinbarungen hinsichtlich Besuchsrechten und Unterhalt durch den französischen Notar die nationalen Gerichte in anderen Mitgliedstaaten befasst werden müssen.

 

Art. 13 EuInsVO 2001: Anfechtungsklage

EuGH 8.6.2017 – Rs. C-54/16 – Vinyls Italia SpA ./. Mediterranea di Navigazione SpA

1. Art. 13 EuInsVO 2001 ist dahin auszulegen, dass die Frage, in welcher Form und innerhalb welcher Frist die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, eine Einrede gemäß dieser Vorschrift erheben muss, um einer Klage entgegenzutreten, mit der diese Handlung gemäß der lex fori concursus angefochten wird, sowie die Frage, ob diese Vorschrift von dem zuständigen Gericht auch von Amts wegen angewandt werden darf – gegebenenfalls nach Ablauf der für die betreffende Partei geltenden Frist –, dem Verfahrensrecht des Mitgliedstaats unterliegen, in dem der Rechtsstreit anhängig ist. Dieses Recht darf allerdings nicht ungünstiger sein als dasjenige, das gleichartige Sachverhalte regelt, die dem innerstaat­lichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und darf die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren
(Effektivitätsgrundsatz), was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

2. Art. 13 EuInsVO 2001 ist dahin auszulegen, dass die beweisbelastete Partei nachweisen muss, dass, wenn die lex causae die Anfechtung einer als benachteiligend angesehenen Handlung zulässt, die von der lex fori concursus abweichenden Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Anfechtung dieser Handlung erfüllt sein müssen, im konkreten Fall nicht vorliegen.

3. Art. 13 EuInsVO 2001 kann wirksam geltend gemacht werden, wenn die Vertragsparteien, die in ein und demselben Mitgliedstaat ansässig sind, in dem auch alle anderen maßgeblichen Elemente des betreffenden Sachverhalts belegen sind, als auf diesen Vertrag anzuwendendes Recht das Recht eines anderen Mitgliedstaats bestimmt haben, vorausgesetzt, dass die Parteien dieses Recht nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise gewählt haben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Art. 11 Abs. 1 EuEheVO: gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes

EuGH 8.6.2017 – Rs. C-111/17 – OL ./. PQ

Art. 11 Abs. 1 EuEheVO ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der vorliegenden, in der ein Kind in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Eltern vor der Geburt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, geboren wurde und dort ohne Unterbrechung für mehrere Monate mit seiner Mutter entsprechend dem gemeinsamen Willen der Eltern verblieben ist, das ursprüngliche Vorhaben der Eltern, die Mutter würde mit dem Kind in den anderen Mitgliedstaat zurückkehren, die Deutung, es handele sich dabei um den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes, nicht zulässt.

Dementsprechend liegt in einer solchen Situation in der Weigerung der Mutter, mit dem Kind in diesen Mitgliedstaat zurückzukehren, kein widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten des Kindes im Sinne von Art. 11 Abs. 1 EuEheVO.

 

Namensanerkennung bei Mehrstaatern

EuGH 8.6.2017 – Rs. C-541/15 – Mircea Florian Freitag ./. Angela Freitag u.a.

Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass er die Personenstandsbehörde eines Mitgliedstaats daran hindert, die Anerkennung und die Umschrift im Personenstandsregister des von einem Angehörigen dieses Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, rechtmäßig erworbenen Familiennamens, der seinem Geburtsnamen entspricht, auf der Grundlage einer Bestimmung des nationalen Rechts abzulehnen, nach der die Möglichkeit zur Erlangung einer solchen Umschrift durch Erklärung gegenüber der Personenstandsbehörde nur dann besteht, wenn der Name während eines gewöhnlichen Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, es sei denn, es gibt im nationalen Recht andere Bestimmungen, die eine tatsächliche Anerkennung dieses Namens ermöglichen.

(Mitgeteilt von Dr. Susanne Gössl, Bonn)

 

Rechtshängigkeit nach der EuGVVO

EuGH 4.5.2017 – Rs. C-29/16 – HanseYachts AG ./. Port D’Hiver Yachting SARL u.a.

Art. 27 Abs. 1 und Art. 30 Nr. 1 EuGVVO 2001 sind dahin auszulegen, dass in einem Fall der Rechtshängigkeit der Zeitpunkt, zu dem ein Verfahren der Beweisaufnahme vor einem Prozess eingeleitet worden ist, nicht den Zeitpunkt darstellen kann, zu dem im Sinne von Art. 30 Nr. 1 ein Gericht als „angerufen gilt“, das über eine Klage zu entscheiden hat, die im selben Mitgliedstaat später aufgrund des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme erhoben worden ist.

 

Anerkennungsrechtlicher ordre public

BGH 6.4.2017 – IX ZB 19/16

Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, die auf einer ausführlichen Beweisaufnahme und Beweiswürdigung beruht, widerspricht nicht deshalb dem ordre public, weil die ausländische Entscheidung auch eine negative Beweisregel berücksichtigt, dass die Aussage einer Partei zu ihren eigenen Gunsten keinen Beweis bilde.

 

Inzidente Scheidungsanerkennung durch das Standesamt

KG 4.4.2017 – 1 W 447/16

Hat ein deutscher Staatsangehöriger die Vaterschaft über ein in Ägypten geborenes Kind einer dort von einem Ägypter geschiedenen ägyptischen Staatsangehörigen anerkannt und wird die Beurkundung der Geburt des Kindes gemäß § 36 Abs. 1 PStG beantragt, sind die Voraussetzungen über die Anerkennung der Scheidung inzident von dem Standesamt bzw. im gerichtlichen Anweisungsverfahren durch das Amtsgericht zu prüfen. Die Antragsteller können bei einer Heimatstaatenentscheidung nicht auf ein Anerkennungsverfahren nach § 107 Abs. 1 S. 1 FamFG verwiesen werden.

(Mitgeteilt von RiKG Ronny Müller, Berlin)

 

EuGVVO und Berechtigung zum Antrag auf Vollstreckbarerklärung

OLG Düsseldorf 30.3.2017 – 3 W 250/16

1. Gegen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils kann gemäß Art. 43 Abs. 1-3 EuGVVO 2001 i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 1 AVAG Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt werden. Dies ist entsprechend der Regeln der Zivilprozessordnung ab dem Zeitpunkt möglich, in welchem die anzufechtende Entscheidung erlassen wird.

2. Wer zum Antrag einer Vollstreckbarerklärung berechtigt ist, bestimmt sich nach dem Recht des Urteilsstaats, Art. 38 Abs. 1 EuGVVO 2001, während sich der notwendige Inhalt des Antrags und damit dessen Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit nach dem Recht des Vollstreckungsstaats richtet, Art. 40 Abs. 1 EuGVVO 2001.

3. Nach deutschem Recht ist die Bezeichnung einer Partei auslegungsfähig. Dabei sind auch etwaige Rechtsnachfolger zu beachten. Das entspricht auch dem Zweck der Integration der ausländischen Entscheidung in die Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats.

(Leitsätze von Till Doyen)

 

Vormundschaft für junge unbegleitete Asylsuchende

OLG Koblenz 14.2.2017 – 13 UF 32/17

1. Nach den Ermittlungen des Senats tritt nach gambischem Recht jedenfalls jetzt die Volljährigkeit mit der Vollendung des
18. Lebensjahres ein.

2. Selbst falls nach dem anzuwendenden Personalstatut die Volljährigkeit eines ausländischen Asylsuchenden erst zu einem späteren Zeitpunkt als mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt, besteht bei einem über 18 Jahre alten unbegleiteten Asylsuchenden ohne Aussicht auf Asyl kein Fürsorgebedürfnis für die Einrichtung einer Vormundschaft. Das gilt auch im Falle einer illegalen Einreise ins Bundesgebiet.

 

Entscheidungen nach Art. 12 HKÜ

OLG Hamm 22.12.2016 – 11 UF 194/16

1. Für den Rückgabeantrag nach Art. 12 HKÜ sind die Gerichte des Verbringungsstaats international zuständig.

2. Entscheidungen nach Art. 12 HKÜ können nur in dem Staat vollstreckt werden, in dem sie erlassen worden sind. Die Rechtskraft des Urteils eines international unzuständigen Gerichts steht der Entscheidung eines international zuständigen Gerichts nicht entgegen.

3. Die EuEheVO ist auf Verfahren nach dem HKÜ nicht anwendbar.

(Leitsätze von Till Doyen)

 

Niederländisches Verkehrsunfallschadensrecht

LG Neuruppin 8.3.2017 – 1 O 120/14

Nach niederländischer Rechtspraxis ist der Neuwert eines Fahrzeugs nicht ersatzfähig. Auf den Wiederbeschaffungswert wird grundsätzlich ein 15prozentiger Abschlag für die erstmalige Ingebrauchnahme angerechnet. Demgegenüber stellen die §§ 249, 251 BGB keine Eingriffsnorm im Sinne des Art. 16 Rom II-VO dar. Auch verstößt dies nicht gegen den deutschen ordre public, Art. 26 Rom II-VO.

(Leitsatz von Till Doyen)

 

Art. 43 EGBGB und Beweis des Eigentums

LG München I 15.12.2016 – 6 O 18699/06

1. Das Recht an einer Sache unterliegt gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet. Gelangt eine Sache, an der in einem Staat ein Recht begründet wurde, in einen anderen Staat, bleibt das nach der Rechtsordnung des vormaligen Belegenheitsortes begründete Recht bestehen, sofern dies nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung des neuen Belegenheitsortes steht, Art. 43 Abs. 2 EGBGB.

2. Gelingt dem Kläger der Beweis, dass er ursprünglich Eigentümer einer Sache war, so muss der Beklagte im Rahmen des „Negativ-Beweises“ konkrete Tatsachen vortragen, die einen Eigentumsverlust belegen und dadurch von der Gegenseite geschilderte positive Umstände widerlegen.

(Mitgeteilt von Karl-Wilhelm Goez, Düsseldorf; Leitsätze von Till Doyen)

 

Online-Auktionen und CISG bzw. Haager Kauf-IPR

Schweizer Bundesgericht 8.11.2016 – 4A_451/2016

1. Das CISG findet nach dessen Art. 2 lit. b keine Anwendung auf Versteigerungen, dazu zählen auch Online-Auktionen.

2. Anwendbar ist bei solchen gemäß Art. 118 IPRG das Haager Übereinkommen vom 15.6.1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht. Mangels Rechtswahl bestimmt sich das anzuwendende Recht nach Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens, wonach auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verkäufers zum Zeitpunkt, zu dem er die Bestellung empfängt, abzustellen ist.

(Leitsätze von Till Doyen)

 

Anerkennung von class action settlements in Belgien

Hof van beroep Gent (eerste correctionele kamer) 23.3.2017 – Lernout & Hauspie

1. US-amerikanische class action settlements sind ausländische Entscheidungen, die nach belgischem IPR anerkannt und vollstreckt werden können.

2. Die US-amerikanische Entscheidung, welche die class action settlements anerkennt, verstößt nicht gegen den belgischen internationalen ordre public.

3. Dass nicht-amerikanische class members durch die US-amerikanischen opt-out class action settlements gebunden sind, verstößt nicht gegen den belgischen internationalen ordre public, solange alles Mögliche getan wurde, die class members von dem Verfahren und der Möglichkeit des opt-out in Kenntnis zu setzen.

(Leitsätze von Dr. Susanne Deißner)

 

Haager Zustellungsübereinkommen und postalische Zustellung

United States Supreme Court 22.5.2017 – 137 S.Ct. 1504 – Water Splash, Inc. v. Menon

Das Haager Zustellungsübereinkommen verbietet die postalische Zustellung nicht.

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