Heft 1/2024 (Januar 2024)

90. Geburtstag Hans Jürgen Sonnenberger


Hans Jürgen Sonnenberger feierte am 14.Dezember 1933 seinen
90. Geburtstag. Nicht nur mit seiner meisterhaften Einleitung
zum IPR im Münchener Kommentar, die er von der 1. bis zur
5.Auflage 2010 fortgeschrieben hat, hat er die Grundlagen des
IPR erhellt und befestigt. Die Rechtsvergleichung, nicht nur die
deutsch-französische Rechtsvergleichung, verdankt ihm viel.
Nach seinem Studium der Philosophie, Theologie, Germanistik
und Jurisprudenz vor allem an der LMU München wurde er
wissenschaftlicher Assistent von Murad Ferid. Auch sein Zweites
Staatsexamen absolvierte er in München. In seiner Dissertation
zu dem Thema „Die Bedeutung des Grundgesetzes für das deutsche internationale Privatrecht“ legte er eines der Fundamente
für seine Grundlagenforschungen. Es folgten DFG-Forschungsaufenthalte in Pavia,Aix-en-Provence,Lüttich und Leiden. Seine
Habilitationsschrift widmete er erneut Grundlagenfragen. Sie
trägt den Titel „Verkehrssitten im Schuldvertrag. Rechtsvergleichender Beitrag zur Vertragsauslegung und zur Rechtsquellenlehre“ (1970). Es folgte das Ordinariat an der Universität
Augsburg. 1986 wechselte er in der Nachfolge Murad Ferids auf
den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Rechtsvergleichung und internationales Privatrecht, weiter ausländisches
Recht, deutsch-französische Rechtsvergleichung am Institut für
Internationales Recht – Rechtsvergleichung – der LMU, wo er
im Jahr 2002 emeritiert wurde. Er war Gastprofessor an den Universitäten Aix-en-Provence (1984, 1988, 1999),Bordeaux (1994),
Paris (1993), Ferrara und Verona. Seit 1978 ist er Mitglied des
Deutschen Rats für Internationales Privatrecht und war von 1994
bis 2014 Vorsitzender der Zweiten Kommission des Rates, die
sich mit dem internationalen Vermögensrecht befasst. Auch im
Rat legte in vielerlei Grundlagen des IPR. Heute beschäftigt er
sich vermehrt wieder mit der Philosophie. Im Kreis seiner Weggefährten, Schülerinnen, Schülern und Freunden feiert er seinen
Geburtstag. Wir wünschen Gesundheit und Wohlergehen!


Art. 24 Nr. 1 Abs. 1 EuGVVO: Sehr weiter Begriff des gemischten Vertrags
EuGH 16.11.2023 – C-497/22 – EM ./. Rompot Service BV
Art. 24 Nr. 1 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein Vertrag zwischen einer Privatperson und einem Tourismusunternehmen, mit dem das Unternehmen eine in einem von ihm
betriebenen Ferienpark gelegene Ferienwohnung zum kurzzeitigen persönlichen Gebrauch zur Verfügung stellt und der über
die Gebrauchsüberlassung dieser Wohnung hinaus die Erbringung einer Gesamtheit von Dienstleistungen gegen einen Gesamtpreis umfasst, nicht unter die Wendung „Miete oder Pacht
von unbeweglichen Sachen“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

 

Art. 22 EuErbVO: Grundlagennachhilfe durch den EuGH
EuGH 12.10.2023 – C-21/22 – OP ./.Notariusz Justyna Gawlica
1. Artikel 22 EuErbVO ist dahin auszulegen, dass ein in einem
Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnhafter Drittstaatsangehöriger für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht
des Drittstaats wählen kann.
2. Artikel 75 EuErbVO i.V.mit Art. 22 EuErbVO ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein in einem Mitgliedstaat der Union wohnhafter Drittstaatsangehöriger, wenn
dieser Mitgliedstaat vor der Annahme der Verordnung mit dem
Drittstaat ein bilaterales Abkommen geschlossen hat, das das auf
Erbsachen anzuwendende Recht vorgibt und nicht ausdrücklich
die Möglichkeit der Wahl eines anderen Rechts vorsieht, nicht für
die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Drittstaats
wählen kann.

 

Art. 25 Abs. 1 EuGVVO: Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel im Konnossement
Schlussanträge des Generalanwalts Anthony Collins beim EuGH
16.11.2023 – C-347/22 – MaerskA/S ./.Allianz Seguros y Reaseguros SA u.a.
1. Artikel 25 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine
Gerichtsstandsklausel, die zwischen einem Verfrachter und einem
Befrachter vereinbart und in ein Konnossement eingefügt wurde,
gegenüber dessen Drittinhaber wirksam ist, wenn dieser mit dem
Erwerb des Konnossements in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist. Es ist Sache des angerufenen Gerichts,
diese Frage anhand des in der Sache anwendbaren nationalen
Rechts zu beantworten, wie es in Anwendung der Bestimmungen des internationalen Privatrechts dieses Gerichts bestimmt
wurde. Die in dieser Vorschrift aufgestellte Regel, dass die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel nach dem Recht
des Mitgliedstaats des Gerichts oder der Gerichte zu beurteilen
ist, die in dieser Klausel bezeichnet sind, gilt nicht für die Frage,
ob die in einem Konnossement enthaltene Gerichtsstandsklausel
gegenüber einem Drittinhaber des Konnossements wirksam ist.
2. Artikel 25 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen ein an
einem Seefrachtvertrag zwischen einem Verfrachter und einem
Befrachter nicht beteiligter Dritter, der das diesen Vertrag dokumentierende Konnossement erwirbt, in alle Rechte und Pflichten des Befrachters mit Ausnahme der im Konnossement
enthaltenen Gerichtsstandsklausel eintritt, die ihm gegenüber nur
wirksam ist, wenn er sie einzeln und gesondert ausgehandelt hat.

 

Art. 25 EuGVVO: Kein Auslandssachverhalt allein aufgrund einer Gerichtsstandsabrede
Schlussanträge des Generalanwalts Jean Richard de laTour beim EuGH.
12.10.2023 – C-566/22 – Inkreal s. r.o. ./. Dúha reality s. r.o.
Artikel 25 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass er bei einem rein
innerstaatlichen Sachverhalt nicht allein deshalb anwendbar ist,
weil die Parteien mit Wohnsitz im selben Mitgliedstaat ein Gericht oder Gerichte eines anderen Mitgliedstaats bestimmt haben,
um über zwischen ihnen bereits entstandene oder künftig entstehende Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden.

 

Produkthaftung: Intertemporales Kollisionsrecht und Rechtswahl
BGH 1.8.2023 –VI ZR 82/22
1. Das schadensbegründende Ereignis i.S. des Art. 31 Rom IIVO ist im Falle der Produkthaftung nach der weit überwiegenden Ansicht das Inverkehrbringen des Produkts, nicht die
Rechtsgutsverletzung.
2. Die Möglichkeit einer Rechtswahl ergibt sich bei Unanwendbarkeit der Rom II-VO im Bereich der außervertraglichen
Schuldverhältnisse aus Art. 42 EGBGB. NachArt. 42 S. 1 EGBGB
können die Parteien – wie auch gem.Art.14Abs.1 S.1 lit.a Rom
II-VO – nach Eintritt des Ereignisses, durch das ein außervertragliches Schuldverhältnis entstanden ist, das Recht wählen, dem
es unterliegen soll. Eine solche einvernehmliche Rechtswahl ist
jedenfalls bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung in
der Tatsacheninstanz möglich.


(Leitsätze v. Anna Bobzin, Köln)

 

§ 107 Abs. 1 S. 1 FamFG: Kein Anerkennungserfordernis bei italienischer Privatscheidung


BGH 26.4.2023 – XII ZB 187/20
Einvernehmliche Ehescheidungen vor italienischen Zivilstandsbeamten bedürfen auch unter Geltung der EuEheVO 2003 zu
ihrer Eintragung im Eheregister keiner Anerkennung nach § 107
Abs. 1 S. 1 FamFG.


Umfassende Gerichtskontrolle nach §§ 19-21 GWB von Schiedssprüchen
BGH 27.9.2022 – KZB 75/21
Schiedssprüche unterliegen im Hinblick auf die Anwendung der
§§ 19–21 GWB in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer
uneingeschränkten Kontrolle durch das ordentliche Gericht.


Wechsel des gewöhnlichen Kindesaufenthalts
KG 1.8.2023 – 16 UF 49/23
Zieht der hauptsächlich betreuende Elternteil mit dem Kind vom
Inland in einen Nicht-EU-Staat, ohne dass ein widerrechtliches
Verbringen des Kindes in das Ausland vorliegt, ist von einem sofortigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes auszugehen, der im laufenden Verfahren die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte entfallen lässt.

 

Überraschender Verweisungsbeschluss und internationale Zuständigkeit
BayObLG 6.7.2023 – 102 AR 135/23
1. Ein Verweisungsbeschluss stellt eine „Überraschungsentscheidung“ dar, wenn dem Antragsteller vor der Verweisung keine
Gelegenheit gegeben worden war, zur Frage der internationalen
Zuständigkeit für sein Klagebegehren Stellung zu nehmen.
2. Nach der Rechtsprechung des EuGH richtet sich die internationale Zuständigkeit für einen Vollstreckungsgegenantrag
zwar nach der EuUnterhVO, insbesondere nach Art. 41 Abs. 1
EuUnterhVO, nicht jedoch danach, in welchem Mitgliedstaat
sich der Unterhaltsberechtigte i.S. des Art. 3 lit. b EuUnerthVO
gewöhnlich aufhält. International zuständig sind die Gerichte des
Vollstreckungsmitgliedstaats.Die örtliche Zuständigkeit bestimmt
sich nach den nationalen Vorschriften.


(Leitsätze von Anna Bobzin, Köln)

 

Art. 1 Abs.2 LugÜ 2007 und dingliche Rückabwicklung aufgrund §§ 1365, 1368 BGB
OLG Karlsruhe 15.5.2023 – 5 UF 31/22
1. Für die Frage, ob ein geltend gemachter Anspruch eine
Zivilsache i.S. von Art. 1Abs. 2 LugÜ 2007 darstellt oder die ehelichen Güterstände i.S. von Art. 1Abs.2 LugÜ 2007 betrifft oder
einen Anspruch, welcher dingliche Rechte an unbeweglichen
Sachen i.S. von Art. 22 Nr. 1 LugÜ 2007 zum Gegenstand hat, ist
auf den Hauptgegenstand des Anspruchs abzustellen.
2. Ein auf §§ 1365, 1368 BGB gestützter Anspruch auf dingliche Rückabwicklung eines Grundstücksschenkungsvertrags
bzw. auf Feststellung der Unwirksamkeit des zugrunde liegenden schuldrechtlichen und dinglichen Rechtsgeschäfts ist kein
Anspruch aus ehelichen Güterständen i.S. von Art. 1Abs. 2 LugÜ
2007, da er nach seinem Hauptgegenstand auf eine zivilrechtliche (konkret dingliche) Rechtsfolge gerichtet ist, bei der die
Voraussetzungen des § 1365 BGB lediglich als Vorfrage zu prüfen sind. Dies gilt auch dann, wenn die Vorfrage gem. § 1365
BGB die wesentliche Streitfrage des Falles darstellt.

 

Ordre public und kasachische Vaterschaftsanerkennung
OLG Karlsruhe 28.2.2023 – 19W 122/21
1. Eine (hier: kasachische) Formvorschrift, nach der die staatliche Registrierung einer Vaterschaft von einer gemeinsamen Erklärung der Eltern oder einem gerichtlichen Urteil abhängig
gemacht wird, ist nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar.
2. Die Beurkundung der Anerkennung der Vaterschaft eines
Kindes durch einen kasachischen Notar ist derjenigen vor einem
inländischen Notar nicht ohne weiteres gleichzustellen, weil die
für eine ordnungsgemäße Belehrung erforderlichen Kenntnisse
des deutschen (Familien-) Rechts nicht unterstellt werden können.

 

Keine internationale Zuständigkeit gem. § 100 FamFG nach Tod der Anknüpfungsperson
OLG Düsseldorf 22.2.2023 – 1 UF 100/22
Die Staatsangehörigkeit und der gewöhnliche Aufenthalt einer
im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung bereits verstorbenen Person begründen keine internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte gem. § 100 FamFG.

 

Eintragung in das Handelsregister und Substitution bei Auslandsbeurkundung
OLG Celle 28.12.2022 – 9W 104/22
1. Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister sind
gem. § 12 Abs. 1 S. 1 HGB elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen. Die daraus folgenden Anforderungen (vgl.
§ 129 Abs. 1 S. 1 BGB, §§ 39, 40 BeurkG) können auch im
Ausland durch eine ausländische Urkundsperson erfüllt werden,
wenn die von diesen vorgenommenen Beglaubigungen dem entsprechenden Beurkundungsvorgang nach deutschem Recht
gleichwertig sind.
2. Gleichwertigkeit ist gegeben, wenn die ausländische Urkundsperson nach Vorbildung und Stellung im Rechtsleben eine
der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausübt und für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu
beachten hat, das den tragenden Grundsätzen des deutschen
Beurkundungsrechts entspricht.


(Leitsätze von Anna Bobzin, Köln)

 

Konkludente ehewirkungsrechtliche Rechtswahl islamischen Rechts?
OLG Celle 14.12.2022 – 15 UF 137/21
1. Eine konkludente ehewirkungsrechtliche Rechtswahl islamischen Rechts ergibt sich nicht bereits daraus, dass sich die Regelungen eines Ehevertrages erheblich von dem Regelungsgehalt
der Gesetzesbestimmungen des BGB unterscheiden und inhaltlich vielmehr unzweideutig maßgeblich den Vorstellungen des
islamischen Kulturkreises in Bezug auf Ehe und Familie entsprechen.
2. Eine konkludente Rechtswahl setzt ebenso wie eine ausdrückliche Rechtswahl einen kollisionsrechtlichen Rechtswahlwillen gerade für die betreffenden Regelungsgegenstände und
die Einhaltung der Ehevertragsform voraus. Die Ehegatten müssen objektiv Handlungen vornehmen, die den Schluss auf eine
Rechtswahl zulassen; subjektiv müssen sie die Umstände, die den
Schluss auf einen Rechtsfolgewillen begründen, kennen oder
müssen zumindest erkennen, dass ihre jeweilige Äußerung nach
Treu und Glauben oder der Verkehrssitte als Rechtswahl aufgefasst werden darf und vom jeweiligen Empfänger auch so verstanden wird. Von einer konkludenten ehewirkungsrechtlichen
Rechtswahl ist daher nur dann auszugehen, wenn der Abschluss
des Ehevertrags eindeutig auf der Basis eines bestimmten Rechts
erfolgt und auch die allgemeinen Ehewirkungen und nicht nur
das Ehegüterrecht betrifft.


(Leitsätze von Anna Bobzin, Köln)

 

Kündigung als Verstoß gegen Art. 5 EU-Blocking-VO
OLG Hamburg 14.10.2022 – 11 U 116/19
1. EinVertrag mit einem Geschäftspartner, der auf der Specially
Designated Nationals and Blocked Person List des US-amerikanischen Office of Foreign Assets Control gelistet ist, kann grundsätzlich ohne Angabe von Gründen ordentlich gekündigt
werden.
2. Deuten aber alle Beweismittel, über die das Gericht verfügt,
auf den ersten Blick darauf hin, dass die Kündigung subjektiv
darauf ausgerichtet ist, einer der im Anhang der EU-Blocking VO aufgeführten Sanktionsnormen zu genügen, ist die Kündigung wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 EU-Blocking-VO auch
dann gem. § 134 BGB nichtig, wenn in objektiver Hinsicht nicht
gegen eine der Sanktionsnormen verstoßen wurde.
3. Die Nichtigkeit einer solchen Kündigung ist keine unverhältnismäßige Folge des Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 EU Blokking-VO, wenn der Kündigende vor Ausspruch der Kündigung keine Ausnahmegenehmigung nach Art. 5 Abs. 2
EU-Blocking-Verordnung bei der Kommission beantragt hat und
nicht bereits durch die in dem Genehmigungsverfahren zwingend zu erwartenden Verzögerungen und im Hinblick darauf,
dass der Antrag keine aufschiebende Wirkung hätte, wirtschaftlichen Verlusten in einem nicht hinnehmbaren Ausmaß ausgesetzt gewesen wäre.

 

Grenzüberschreitender Formwechsel einer deutschen GmbH in eine türkische Limited Sirketi
OLG Zweibrücken 11.7.2022 – 3W 12/22
1. Eine analoge Anwendung des § 393 Abs. 1 FamFG kommt
im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels von einer
deutschen GmbH in eine türkische Limited Sirketi mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht.
2. Grenzüberschreitende Formwechsel setzen die sukzessive Anwendung von zwei nationalen Rechtsordnungen voraus. Soweit
aus Gründen der Freizügigkeit ein Formwechsel aus beziehungsweise in das EU-Ausland rechtlich anerkannt ist, weil die
Art. 49 AEUV und 54 AEUV, die die Niederlassungsfreiheit regeln, einen Mitgliedstaat, der für inländische Gesellschaften die
Möglichkeit der Umwandlung vorsieht, verpflichten, dieselbe
Möglichkeit auch Gesellschaften zu geben, die dem Recht eines
anderen Mitgliedstaats unterliegen und sich in Gesellschaften
nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats umwandeln
möchten, sind dennoch die Anforderungen des deutschen Umwandlungsgesetzes zu erfüllen, die Umwandlung also im Ausgangspunkt nach den §§ 190 ff. UmwG zu beurteilen.


(Leitsätze von Anna Bobzin, Köln)

 

ICSID-Arbitration Additional Facility Rules ohne eigenen Anerkennungs- und Vollstreckungsmechanismus
OGH 8.9.2022 – 3 Ob 80/22v
Im Gegensatz zur ICSID-Konvention enthalten die ICSID Arbitration Additional Facility Rules keinen eigenen Anerkennungs- und Vollstreckungsmechanismus für die ICSID-Schiedssprüche. Vielmehr unterliegt die Anerkennung und Vollstreckung
eines im Rahmen der Zusatzfazilität ergangenen Schiedsspruchs
dem Recht des Schiedsorts (hier Washington) einschließlich aller
anwendbaren völkerrechtlichen Verträge.

(Leitsätze v. Anna Bobzin, Köln)

 

Auslegung des französischen Sorgfaltspflichtgesetzes (Loi n° 2017-399 du 27 mars 2017 sur le devoir de vigilance)
Tribunal Judiciare de Paris 28.2.2023 – 22/53942
Es ist vorgeschrieben, dass der von den Unternehmen zu erstellende Überwachungsplan zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten
unter Zusammenarbeit mit den betroffenen Interessengruppen
ausgearbeitet werden muss, damit gewährleistet ist, dass die Wirksamkeit entfaltet. Konkretisiert wird dieser Grundsatz, der dem
Willen des Gesetzgebers entspricht, durch Art. L.225-102-4
Code de commerce (französisches Handelsgesetzbuch), der vorsieht, dass das Unternehmen vor der Anrufung der Gerichte
wegen Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten erst (vergeblich)
zur Unterlassung aufzufordern ist.


(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und tatsächliche Vermarktung
Cour de Cassation 16.3.2022 – 20-22.000
1. Im Bereich des unlauteren Wettbewerbs kommt es für die
Begründung der Zuständigkeit der französischen Gerichte nach
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auf die tatsächliche Vermarktung des streitgegenständischen Produkts in Frankreich an.
2. Ist die Webseite des unlauteren Wettbewerbs bezichtigten Unternehmens in Frankreich zugänglich, wird dort das streitgegenständliche Produkt aber nicht zum Verkauf angeboten und auch
nicht in Frankreich vermarktet, liegt der Ort, an dem i.S. des
Art 7 Nr. 2 EuGVVO das schädigende Ereignis eingetreten ist,
nicht in Frankreich.


(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Art. 6 Abs. 1 EMRK und Immunität eines ausländischen Staates
Cour de Cassation 3.3.2021 – 19-22.855
In das Recht auf Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren, das
durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet wird, wird nicht aufgrund der Immunität eines ausländischen Staates eingegriffen,
sofern der Kläger nicht daran gehindert wird, bei den Gerichten
des beklagten Staates zu klagen, und wenn nicht von vornherein
von einer mangelnden Unabhängigkeit bzw. Unparteilichkeit der
Gerichte des beklagten Staates auszugehen ist.


(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO und Haager Straßenverkehrsübereinkommen
Cour de Cassation 18.11.2020 – 19-17.924
Gemäß Art. 28Abs. 1 Rom II-VO berührt die Verordnung nicht
die Anwendung internationaler Übereinkommen, denen ein oder
mehrere Mitgliedsstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Das Haager Übereinkommen
vom 4.5.1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare
Recht wurde von Frankreich ratifiziert, sodass ein Verstoß gegen
Art. 28Abs. 1 Rom II-VO vorliegt, wenn ein Richter das Übereinkommen nicht heranzieht, um das anwendbare Recht in
einem Rechtsstreit über Ansprüche aus einem Verkehrsunfall zu
bestimmen. Dies gilt auch bei einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz.


(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Art. 15 EuGVVO: Zeitpunkt der Feststellung eines internationalen Bezugs und Anforderungen daran
Cour de Cassation 30.9.2020 – 19-15.626
1. Gemäß Art. 15 EuGVVO hängt die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel, in der das Gericht eines Mitgliedsstaats als zuständiges Gericht benannt wird, von der Anerkennung des
internationalen Charakters des Sachverhalts ab. Aus Gründen der
Rechtssicherheit kommt es für die Beurteilung auf den Zeitpunkt an, in welchem die Klausel vereinbart wurde.
2. Wird eine Klausel vereinbart, die einen Vertrag über die Nutzung der Dienste einer digitalen Plattform für Frachtvermittlung
betrifft, ist die Tatsache, dass die Streitigkeiten ihren Ursprung in
einer internationalen Güterbeförderung hat, nicht ausreichend,
um einen internationalen Sachverhalt zu begründen.


(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Mietstreitigkeit und persönlichen Haftung des Geschäftsführers
Gerechtshof Amsterdam 27.12.2022 – 200.289.646/01
1. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über Ansprüche
gegen den Geschäftsführer aus persönlicher Haftung wegen
schweren persönlichen Verschuldens beurteilt sich nach Art. 7
Nr. 2 EuGVVO.
2. Maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit der niederländischen Gerichte ist nur der Wohnort des Geschäftsführers
zum Zeitpunkt der Ladung. Spätere Änderungen während des
laufenden Verfahrens ändern nichts an der Zuständigkeit der niederländischen Gerichte.


(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Art. 12 Rom II-VO: Hypothetisches Vertragsstatut bei hypothetischer Rechtswahl Rechtbank Gelderland 21.12.2022 – C/05/396695 / HA ZA 21-601
1. Der Begriff der vorvertraglichen Haftung ist für die Zwecke
der Rom II-VO autonom auszulegen (Erwägungsgrund 30 Rom
II-VO).
2. Da Erwägungsgrund 29 Rom II-VO Schäden aus vorvertraglicher Haftung ausdrücklich nicht als Schaden aus unerlaubter Handlung einordnet, betreffen Ansprüche auf Schadensersatz
wegen Abbruchs von Vertragsverhandlungen ein Schuldverhältnis aus vorvertraglicher Haftung i.S. des Art. 12 Rom II-VO.
3. Für die Zwecke von Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO wird, wenn
noch kein Vertrag zustande gekommen ist, zur Bestimmung des anwendbaren Rechts fingiert, dass ein Vertrag zustande gekommen wäre. Anzuknüpfen ist deshalb an das Recht, das auf den
hypothetischen Vertrag anwendbar gewesen wäre („hypothetische lex contractus“).
4. Eine Rechtswahl kann im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Rom
II-VO auch ohne Vertrag oder endgültigen Vertragsentwurf berücksichtigt werden, wenn feststellbar ist, dass die Parteien eine
Rechtswahl vereinbart hätten, wenn der Vertrag tatsächlich zustande gekommen wäre.

 
(Leitsätze v. Karsten Thorn, Hamburg)

 

Parallelauslegung von nationalen Normen zu denen der EuGVVO
Rechtbank Rotterdam 21.9.2022 – C/10/618313/HA ZA 21-415
Zur Auslegung und Anwendung der Art. 1-14 Rv:
1. Bei der Auslegung der Art. 1-14 Rv (autonome niederländische Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit) ist die Auslegung der Parallelvorschriften der EuGVVO zu beachten, da der
niederländische Gesetzgeber,als er die Art. 1-14 Rv schuf, diese
mit den Vorgänger-Vorschriften der EuGVVO und der Rechtsprechung des EuGH in Einklang bringen wollte.
2. Aus der Rechtsprechung des EuGH zur Vorgängervorschrift
des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO,an den sich Art. 7 Rv anlehnt, ergibt
sich, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu beurteilen, ob die geltend
gemachten Ansprüche miteinander in Zusammenhang stehen
und daher im Fall separater Entscheidungen die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn die geltend gemachten Ansprüche auf
derselben tatsächlichen und rechtlichen Grundlage beruhen.
3. Im Lichte der Auslegung von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO sollte
auch Art. 7 Rv eng ausgelegt werden. Denn es ist nicht im Sinne
der Rechtssicherheit, wenn im Voraus nicht hinreichend abschätzbar ist, in welchen Gerichtsbarkeiten ein Beklagter wegen
eines bestimmten Verhaltens verklagt werden könnte.
4. Ist die behauptete Rechtsverletzung der Rechte der Klägerin
gegenüber allen Beklagten identisch, und ist zur Beurteilung der
Vorwürfe ihnen gegenüber die Beantwortung einer Reihe übereinstimmenderTatsachen- und Rechtsfragen erforderlich, besteht
ein sachlicher Zusammenhang, der eine gemeinsame Zuständigkeit nach den genannten Vorschriften für alle Klagen rechtfertigen kann. Vor diesem Hintergrund kann mangels weiterer,
dahindeutender Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden,
dass die Klage gegen die niederländischen Beklagten rechtsmissbräuchlich nur erhoben wurden, um die brasilianische Beklagte
ihrer Sitzzuständigkeit zu entziehen.
5. Die Vorschriften der Rv enthalten keine Regelung über die
Möglichkeit einer forum non conveniens-Korrektur, sodass eine
Unzuständigkeiterklärung der niederländischen Gerichte entgegen Art. 2 i.V. mit Art. 7 Rv auch nicht auf einer solchen Basis
erfolgen kann.


(Leitsätze v. KarstenThorn, Hamburg)

 

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, Art. 4 Rom II-VO bei Ansprüchen wegen einer Sorgfalts?pflicht im Insolvenzzusammenhang
Rechtbank Midden-Nederland 13.7.2022 – C/16/445060 / HA
ZA 17-682
1. Die niederländischen Gerichte sind gem. Art. 7 Nr. 2
EuGVVO zuständig für die Entscheidung über die Klage des In?solvenzverwalters einer insolventen niederländischen Gesellschaft wegen einer angeblichen unerlaubten Handlung der deutschen
Großmuttergesellschaft, die in einer Verletzung ihrer Sorgfalts?pflicht gegenüber den gemeinsamen Gläubigern der niederlän?dischen Gesellschaft bestehen soll, da der Ort des eingetragenen
Sitzes der insolventen Gesellschaft auch der Ort ist, in dem das
schädigende Ereignis im Sinne der Norm eingetreten ist.
2. Die niederländischen Gerichte sind aus diesem Grund nach
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ebenfalls zuständig für Entscheidung über
die Klage einer Stiftung, die dem Hauptverfahren beigetreten ist
und die die Interessen einer Reihe von Gläubigern der insol?venten niederländischen Gesellschaft vertritt. Da die in Ar. 8
Nr. 2 EuGVVO genannte Missbrauchsausnahme aufgrund der
Zuständigkeit nachArt. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht eingreift,sind die
niederländischen Gerichte für die Klage der Stiftung auch nach
Art. 8 Nr. 2 EuGVVO zuständig.
3. Die Ansprüche sowohl der Insolvenzverwalters als auch der
Stiftung sind vom Anwendungsbereich der Rom II-VO erfasst,
da es sich bei der mutmaßlich verletzten Sorgfaltspflicht nicht
um eine spezifische gesellschaftsrechtliche Sorgfaltspflicht
handelt.Auf die Ansprüche findet gem.Art. 4 Rom II-VO nie?derländisches Recht Anwendung, da die behauptete Sorgfalts?pflichtverletzung angesichts dessen einen besonders engen Bezug
zu den Niederlanden hat, dass die insolvente Gesellschaft dort
ihren Sitz hat.


(Leitsätze v. KarstenThorn)

 

 

Schiedsvereinbarung bei Insolvenz einer Partei
Supreme Court of Canada 10.11.2022 – 2022 SCC 41
1. Section 15 Arbitration Act verpflichtet ein Gericht nicht in
jedem Fall, eine von einem gerichtlich bestellten Insolvenzver?walter erhobene Zivilklage auszusetzen,wenn die Klage Gegen?stand einer gültigen Schiedsvereinbarung ist.Ein Gericht kann es
ablehnen, eine Aussetzung zu gewähren, wenn die fragliche
Schiedsvereinbarung „nichtig,unwirksam oder undurchführbar“
i.S. von Sec. 15(2) Arbitration Act ist. Eine ansonsten gültige
Schiedsvereinbarung kann unter bestimmten Umständen un?wirksam oder nicht erfüllbar sein, wenn ihre Durchsetzung die
Integrität des gerichtlich angeordneten Insolvenzverwaltungs?verfahrens gefährden würde.
2. Das Schiedsrecht und das Insolvenzrecht weisen viele Ge?meinsamkeiten auf. Beide priorisieren Effizienz und Zweckmä?ßigkeit; verfahrensrechtliche Flexibilität ist ein Kernanliegen
sowohl des Schieds- als auch des Insolvenzrechts; beide greifen
zudem häufig auf spezialisierte Entscheidungsträger zurück, um
ihre jeweiligen Ziele zu erreichen. In vielen Fällen lassen sich
diese gemeinsamen Interessen in einem Schiedsverfahren mit?einander vereinbaren, weshalb die Parteien sich grundsätzlich an
der Schiedsvereinbarung halten lassen sollten, ungeachtet eines
laufenden Insolvenzverfahrens. Gültige Schiedsvereinbarungen
sind grundsätzlich zu respektieren.
3. In bestimmten Insolvenzsachen kann es jedoch notwendig
sein, ein Schiedsverfahren zugunsten eines zentralisierten ge?richtlichenVerfahrens auszuschließen;namentlich dann,wenn das
Schiedsverfahren die ordnungsgemäße und effiziente Durchfüh?rung des gerichtlich angeordneten Insolvenzverwaltungsverfah?ren gefährden würde.In einem solchen Fall kann ein Gericht die
Kontrolle über dasVerfahren übernehmen, um sowohl die recht?zeitige Beilegung der Streitigkeiten der Parteien als auch die ge?ordnete Umstrukturierung oder Liquidierung des Schuldners
und die Gleichbehandlung seiner Gläubiger zu gewährleisten.
4. Die Prüfung, das gerichtliche Verfahren zugunsten des
Schiedsverfahrens ausgesetzt werden sollte, ist in hohem Maße
faktenbezogen. Das Gericht muss dabei die einschlägigen ge?setzlichen Regelungen und Schiedsvereinbarungen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Parteiautonomie und der
Vertragsfreiheit sowie der dem Konkurs- und Insolvenzrecht zu?grundeliegenden Grundprinzipien prüfen.Als Richtschnur dient
dabei der zweiteilige Rahmen, der in den Schiedsgesetzen der
Provinzen im ganzen Land enthalten ist und sich in Sec. 15(1)
und (2) Arbitration Act widerspiegelt.
5. Aus Sec.183(1) und 243(1)(c) BIA ergibt sich die gerichtliche
Zuständigkeit, die Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung in
Zusammenhang mit einem Insolvenzverwaltungsverfahren fest?zustellen. Das BIA soll unter anderem dafür sorgen, dass eine ge?ordnete und effizienteVerteilung des Konkursvermögens an die
verschiedenen Gläubiger erfolgt.Es ist großzügig auszulegen,um
die Erreichung dieser Ziele zu fördern.


(Leitsätze v. KarstenThorn, Hamburg)

 



 

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