Heft 5/2025 (September 2025)

Aktuelles Heft (zum Probeabo)

Abhandlungen

C. Krapfl/N. V. Krahn:
Können Parteien durch die Inanspruchnahme von Informationsfreiheitsgesetzen für ein Schiedsverfahren Beweise sammeln? [Beitrag auf Englisch] 421

Dieser Artikel untersucht, ob Informationsfreiheitsgesetze genutzt werden können, um Beweise für Schiedsverfahren zu sammeln. Dabei wird der Fokus auf das deutsche Informationsfreiheitsgesetz („IFG“) und dem Freedom of Information Act („FOIA“) der USA gelegt. Beide Gesetze gewähren Zugang zu amtlichen Informationen von Behörden, enthalten aber auch eng auszulegende Ausnahmen.

Deutsche Gerichtsurteile im Zusammenhang mit dem Streit um das gescheiterte Pkw-Mautsystem bestätigen, dass Anträge nach dem IFG zur Beweissammlung in Schiedsverfahren genutzt werden können. Diese Entscheidungen des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg unterstreichen, dass die Rechte des IFG nicht durch private Schiedsvereinbarungen ausgehebelt werden können und verdeutlichen die Grenzen der Ausnahmen im Zusammenhang mit laufenden Schiedsverfahren. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – und zuletzt auch das Bundesverwaltungsgericht – wiesen auch die Behauptung des Bundesverkehrsministeriums zurück, dass sich die Freigabe der Dokumente negativ auf die Durchführung des Schiedsverfahrens auswirken würde. Vielmehr betonten die Gerichte, dass das IFG ein ordnungsgemäßes und effizientes Schiedsverfahren fördert und nicht in die Befugnisse eines Schiedsgerichts eingreift.

Diese Urteile verdeutlichen das Potenzial von Informationsfreiheitsgesetzen in der Schiedsgerichtsbarkeit. Insbesondere in Investor-Staat-Schiedsverfahren, in denen die Möglichkeiten der Dokumentenherausgabe oft begrenzt ist, können Informationsfreiheitsgesetze ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Beweisgrundlage sein.

 

B. Schmitz: Getrennte Anknüpfung statt Günstigkeitsvergleich:
Protection Principle instead of Preferential Law Approach: A Dutch Alternative for Interpreting Article 6 (2) Rome I Regulation 427

Artikel 6 Abs. 2 Rom I-VO erlaubt es den Parteien, das anzuwendende Recht zu wählen. Jedoch darf „die Rechtswahl (…) nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch” zwingende Bestimmungen seines gewöhnlichen Aufenthalts gewährt wird. In Deutschland folgt die herrschende – und alleinige – Meinung dem Günstigkeitsprinzip. Dieser Beitrag informiert Leser*Innen über eine in den Niederlanden gängige Auslegungsalternative. Dort folgt die herrschende Meinung der „getrennten Anknüpfung“, wonach das zwingende Recht des Aufenthaltsorts des Verbrauchers stets Anwendung findet. Der Beitrag erläutert, dass der EuGH nach aller Wahrscheinlichkeit dem Günstigkeitsprinzip folgen würde. Er stellt jedoch zur Frage, ob dies zu begrüßen wäre.

Entscheidungsrezensionen

L. Hübner:
Lokalisierung des Erfolgsorts bei Klagen gegen die Hersteller im Dieselskandal 432

Der Beitrag geht der Frage nach, wie der Erfolgsort im Rahmen des Deliktsgerichtsstands der Brüssel Ia-VO bei Klagen von Käufern gegen die Hersteller der abgasmanipulierten Kfz zu bestimmen ist. Hatte der EuGH in der Rechtssache VKI den Erwerbsort als Erfolgsort definiert, musste der EuGH in FCA Italy den Erwerbsort näher konturieren. Darin setzt der Gerichtshof seine kritikwürdige Rechtsprechungslinie aus der VKI-Entscheidung fort. Der Beitrag nimmt die Kritik an der Rechtsprechung des EuGH zum Anlass, auch die in dem Schrifttum erwogenen Alternativlösungen zu würdigen.

W. Wurmnest
Keine Anwendung der unionskartellrechtlichen Konzernhaftung auf Klägerseite zur Bestimmung des Erfolgsortes bei Schadensersatzklagen 437

In der Rechtssache MOL hat es der EuGH abgelehnt, das kartellrechtliche Konzept der wirtschaftlichen Einheit auf die Klägerseite zu übertragen, um für kartelldeliktische Schadensersatzklagen den Erfolgsort gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu bestimmen. Folglich kann eine Muttergesellschaft solche Schäden, die ihren Tochtergesellschaften in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten durch den Erwerb von kartellierten Waren zu überhöhten Preisen entstanden sind, nicht gebündelt an ihrem Sitz einklagen. Da die Muttergesellschaft nur mittelbar geschädigt wird, ist der den Tochtergesellschaften entstandene Schaden der relevante Schaden nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-Verordnung, so dass der Erfolgsort für den Schaden jeder Tochtergesellschaft einzeln festgestellt werden muss. Diese Auslegung des Europäischen Gerichtshofs ist aus international-verfahrensrechtlicher Sicht überzeugend. Eine Lokalisierung des Erfolgsortes auf Grundlage der mittelbaren Einbußen der Muttergesellschaft unter Rückgriff auf die Lehre der wirtschaftlichen Einheit, würde dazu führen, dass ein Gericht entscheiden dürfte, das keine hinreichend enge Verbindung mit dem Rechtsstreit aufweist.

M. Lehmann:
Das Vereinigte Königreich als Viertstaat? Kontroverse um die Anwendung der EuGVVO nach dem Brexit 442

Können in der EU wohnhafte Verbraucher gemäß Art. 18 EuGVVO britische Unternehmen an ihrem Heimatort verklagen? Allein die Frage zu stellen scheint merkwürdig. Dennoch ist hierüber ein heftiger Disput zwischen deutschen Oberlandesgerichten entbrannt, der die Auslegung des 2019 zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Austrittsabkommens zum Gegenstand hat. Dieser Beitrag soll die Rolle des Abkommens und sein Verhältnis zur EuGVVO klären.

Gleichzeitig wird auf die materiellrechtliche Frage eingegangen, die den meisten Streitigkeiten zugrundelag. Dabei ging es um Genussrechte, d.h. um schuldrechtliche Forderungen auf Leistungen, welche normalerweise Gesellschaftern vorbehalten sind. Nachdem die Rechtsnachfolgerin einer österreichischen Genussrechtsemittentin auf ein britisches Unternehmen verschmolzen worden war, wurde letztere von den Genussrechtsinhabern verklagt. Insoweit stellt sich das Problem des auf ihre Ansprüche anzuwendenden Rechts, das aus verschiedenen Blickwinkeln (Vertragsrecht, Deliktsrecht, Umwandlungsrecht) analysiert wird.

G. Freise:
EuGVVO und CMR: Zum Rangverhältnis und der Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung als Anerkennungsversagungsgrund 447

Das in dem Artikel besprochene Vorabentscheidungsverfahren behandelt zwei Probleme. Zum einen geht es um das Verhältnis von EuGVVO und CMR. Das vorlegende Oberste Gericht Litauens wollte wissen, ob der in Artikel 71 EuGVVO angeordnete Vorrang der CMR auch im Falle einer Gerichtsstandsvereinbarung gilt. Im Gegensatz zur EuGVVO kennt die CMR keine ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen, weshalb das Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der CMR mit den wesentlichen Grundsätzen der EuGVVO hegte. Leider hat sich der EuGH mangels Entscheidungsrelevanz nicht zu dieser spannenden Frage geäußert. Nach Auffassung des Autors sollte der CMR auch ohne die Möglichkeit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung Vorrang gewährt werden. Zum anderen fragte das litauische Gericht, ob Entscheidungen nach der EuGVVO anerkannt werden müssen, die unter Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung ergangen sind. Zu dieser Frage stellte der EuGH eindeutig fest: Die Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung stellt keinen Grund für die Versagung der Anerkennung, insbesondere keinen ordre public-Verstoß dar.

R. Wagner:
Club de Fútbol Real Madrid gegen Le Monde vor dem EuGH: Verstößt „die spanische Entscheidung“ gegen den ordre public Frankreichs? 451

„Die Europäische Union bietet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts…“ (Art. 67 AEUV). Der Raum des Rechts ermöglicht es, zivilrechtliche Gerichtsentscheidungen aus einem EU-Mitgliedstaat in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu vollstrecken. Diese Möglichkeit wird auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gestützt. Gänzlich unbeschränkt hat das Vertrauen in die Justiz der anderen EU-Mitgliedstaaten allerdings nicht zu sein. So hat der EuGH u.a. entschieden, dass eine spanische Entscheidung, die der Fußballverein Real Madrid gegen Le Monde erstritten hatte, in Frankreich nicht vollstreckt werden muss, soweit dies eine offensichtliche Verletzung der Pressefreiheit nach Art. 11 GRCh zur Folge hätte. Der Beitrag von Wagner erläutert und bewertet diese Entscheidung.

M. Andrae:
Zur Abgrenzung der Bestimmungen der EuEheVO 2019 und des KSÜ zur Zuständigkeit 460

Die Entscheidung des EGH in der Rs. C-572/21 ist Veranlassung, den räumlichen Anwendungsbereich der einzelnen Bestimmungen der EuEheVO 2019 und des KSÜ zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte in Fragen der elterlichen Verantwortung abzugrenzen. Die Problematik hat für die praktische Rechtsanwendung mit Inkrafttreten der EuEheVO 2019 nicht ihre praktische Bedeutung verloren. Breiteren Umfang in den Ausführungen nimmt Art. 10 EuEheVO 2019 ein, der die Begründung der Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats durch Gerichtsstandsvereinbarung regelt. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Gerichtsstandsvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn das Kind nach ihrem Abschluss vor Beendigung des Verfahrens rechtmäßig umzieht und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen Vertragsstaat, der nicht an die Verordnung gebunden ist, wechselt. Die Zuständigkeit bestimmt sich in diesem Fall nach dem Übereinkommen, der Grundsatz der perpetuatio fori findet keine Anwendung. In diesem Fall kann sich die Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts nur aus der Annexzuständigkeit nach Art. 10 des Übereinkommens ergeben.

F. Berner:
Ungeschriebene Instrumente zur Nachlassabwicklung bei Auslandssachverhalten 465

Komplexe Nachlassabwicklungen werden in Fällen mit Auslandsberührung nicht einfacher. Im Fall des OLG Düsseldorf versuchen Erben, ihre Eintragung ins Grundbuch zu erreichen. Diese Eintragung wird dadurch erschwert, dass ein an der Erbauseinandersetzung Beteiligter in Griechenland lebt und für das Grundbuchamt unerreichbar ist. Das OLG löst den Fall mithilfe ungeschriebener sachrechtlicher Instrumente und umgeht einige der aufgeworfenen Fragen des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts.

C. v. Bary:
Das öffentlich-rechtliche Namensrecht in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter Berücksichtigung der Reform des privaten Namensrechts vom 1. Mai 2025 468

Das deutsche Namensrecht ist in privat- und öffentlich-rechtliche Regelungen aufgeteilt. In grenzüberschreitenden Sachverhalten führte dies schon bislang zu Fragen der (international-privatrechtlichen) Qualifikation und des (öffentlich-rechtlichen) Anwendungsbereichs, wobei sich das VG Berlin zu letzterem äußert. Die Namensrechtsreform 2025 hat allerdings zu neuen Problemen geführt, weil nun der Geltungsbereich von privat- und öffentlich-rechtlichem Namensrecht voneinander abweichen. Es besteht im Namensrecht also weiterhin Reformbedarf, wobei insbesondere eine Abschaffung der Trennung zwischen privat- und öffentlich-rechtlichem Namensrecht sinnvoll wäre.

B. Hess:
Untiefen und Abgründe des Vertragsgerichtsstands, Art. 7 Nr. 1 lit. b) und a) EuGVVO – Das OLG Dresden verirrt sich in den Schnittstellen zwischen nationalem und europäischem Zivilprozessrecht 473

Der Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO bereitet den Gerichten der EU-Mitgliedsstaaten bisweilen Schwierigkeiten. Dies verdeutlicht die folgende Anmerkung zu einem Urteil des OLG Dresden vom 29.11.2024, welches leider die Bedeutung und die Funktion des europäischen Verfahrensrechts missverstanden hat.

L.D. Loacker/G.A. Capaul:
Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedsvergleiche oder: Kategorische Ungleichbehandlung infolge gradueller Unterschiede? 476

Schiedsvergleiche sind aus der Perspektive des deutschen Verfahrensrechts nur sehr eingeschränkt international vollstreckbar. Ausgehend von einem aktuellen Beschluss des BayObLG erörtern die Autoren, inwieweit die weitgehende Ablehnung der Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedsvergleiche sachlich gerechtfertigt erscheint. Insgesamt befürworten sie einen vollstreckungsfreundlicheren Umgang. Erreicht werden kann ein solcher Umgang über ein Verständnis des Anwendungsbereichs des UN-Schiedsübereinkommens, welches sich stärker am privat- und parteiautonomen Charakter der schiedsgerichtlichen Streiterledigung ausrichtet. So muss namentlich die in § 1061 ZPO enthaltene Verweisung auf das UN-Schiedsübereinkommen der Vollstreckung von Schiedsvergleichen keineswegs grundsätzlich entgegenstehen. Bei allem gilt es jedoch, hinreichende Anforderungen an die Vollstreckungsfähigkeit von Schiedsvergleichen nicht zu unterschreiten. Denn nicht alle Erscheinungsformen des Schiedsvergleichs eignen sich für die Titelfreizügigkeit.

A.S. Zimmermann:
Vollstreckungsbeschleunigung bei Kindesentführungen: Vorgaben für das nationale Verfahrensrecht 481

Kindesentführungen gehören zu den sensibelsten Materien des Internationalen Familienrechts. Das Haager Kindesentführungsübereinkommen von 1980 (HKÜ), an dem sich inzwischen über 100 Staaten beteiligen, hat auf diesem Gebiet Großes geleistet. Seine oberste Maxime ist das Kindeswohl, das in der Regel durch eine möglichst rasche Rückführung des Kindes verwirklicht wird. Über die Brüssel II-VO und mehr noch durch ihre Nachfolgeverordnungen ist dieses Leitbild inzwischen auch Teil des Unionsrechts. Dennoch besteht unter den Mitgliedstaaten keine Einigkeit darüber, wie viel Verfahrensbeschleunigung geboten ist. In dem Vorlageverfahren Rzecznik Praw Dziecka u. a. hat sich der EuGH damit beschäftigt, wie viel Aufschub die Vollstreckbarkeit von Rückführungsentscheidungen duldet.

Rezensierte Entscheidungen

(s. Seite III)

Blick in das Ausland

S.C. Symeonides:
Die ordre public-Ausnahme bei der Rechtswahl: Die amerikanische Version [Beitrag auf Englisch] 524

Zur Überraschung vieler ausländischer Leser ist die amerikanische Version des ordre public-Vorbehalts ausschließlich in Bezug auf gerichtliche Zuständigkeit und Zugang zu den Gerichten formuliert und nicht als Ausnahme von der Rechtswahl. Zumindest in seiner „offiziellen“ Fassung im First and Second Restatement erlaubt dieser Vorbehalt den Gerichten, sich zu weigern, eine ausländische Klage zuzulassen, welche gegen den ordre public des betroffenen Gerichtsstands verstößt. Hingegen ist den Gerichten danach nicht erlaubt, bei der Entscheidung über eine (ausländische oder inländische) Klage die Anwendung von gegen den ordre public verstoßenden ausländischen Rechtsnormen zu verweigern. Dieser Beitrag diskutiert die historischen Ursprünge dieser engen und einzigartigen Formulierung, die aus dieser Formulierung entstehenden Probleme, die stillschweigende Ablehnung dieser Formulierung durch die meisten amerikanischen Gerichte und die neue flexible Formulierung des Vorbehalts im Vorschlag eines Third Conflicts Restatement.

A. Hermann:
Anwendbarkeit des HGÜ im britisch-europäischen Rechtsverkehr auf vor dem Brexit geschlossene Verträge bestätigt 534

Der Belgische Kassationshof stellt fest, dass das HGÜ im Vereinigten Königreich und aus Sicht der Mitgliedstaaten im Verhältnis zu diesem am 1.10.2015 in Kraft getreten ist und seitdem ununterbrochen in Kraft war und klärt damit eine für den britisch-europäischen Rechtsverkehr bedeutsame Frage.

Internationale Abkommen
536
Schriftumshinweise
536
Neueste Informationen
II, IV ff.