Heft 4/2025 (Juli 2025)

Aktuelles Heft (zum Probeabo)

Abhandlungen

H.-P. Mansel:
70 Jahre Deutscher Rat für Internationales Privatrecht (1953–2023) 313

Anlässlich des siebzigsten Jahrestages der Gründung des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht fand auf Einladung des Autors als Ratspräsident eine Tagung des Rates in Köln statt, organisiert vom Institut für Internationales und Ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln. Das Thema der Tagung lautete „Globales Internationales Privatrecht und 25 Jahre justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union“. Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die das Bundesministerium der Justiz bei deutschen und europäischen Gesetzgebungsvorhaben berät. Den Eröffnungsvortrag hielt Professor Zoltan Csehi, EuGH.

Institutionen

Z. Csehi:
Der Ugang des EuGH mit dem IPR 315

Der Beitrag geht der Frage nach, warum einige wissenschaftliche Kritiker das Ergebnis der IPR-Auslegung durch den EuGH zwar für richtig halten, seiner Begründung jedoch nicht zustimmen. Eine Analyse der Methodik des EuGH in diesem Bereich zeigt, dass die Entscheidungsfindung in solchen Fällen nicht in erster Linie von den überkommenen kollisionsrechtlichen Prinzipien des klassischen IPR ausgeht. Vielmehr stehen die jeweils anwendbaren primär- und sekundärrechtlichen Regelungen, insbesondere die mittlerweile zahlreichen Verordnungen im Bereich der europäischen justiziellen Zusammenarbeit im Vordergrund. Diese werden nach den üblichen Methoden ausgelegt, vor allem im Wege einer autonomen Auslegung. Dieser «Systemwechsel», den das internationale Zivilverfahrens- und Kollisionsrecht durch die Europäisierung der Materie durchlaufen hat und noch durchläuft, sollte daher gebührend berücksichtigt werden.

R. Wagner
25 Jahre justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen 322

In dem Beitrag wird zunächst die Aufbruchstimmung in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam am 1.5.1999 umschrieben. Der Autor zählt sodann u.a. wegweisende rechtspolitische Entscheidungen des Europäischen Gesetzgebers auf diesem Rechtsgebiet auf und geht auf Krisen ein, die in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen durchlebt wurden. Er umschreibt den gemeinsamen Besitzstand und dessen Fundamente. Sodann werden die Folgen des Brexits für diese Zusammenarbeit dargestellt. Schließlich arbeitet der Autor zukünftige Betätigungsfelder für den Europäischen Gesetzgeber heraus, ehe er sich mit den sonstigen Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen befasst.

Drittstaaten

C. Budzikiewicz:
Europäisches Internationales Eherecht und Drittstaaten 333

Der Beitrag befasst sich mit der Bedeutung, die der Drittstaatenbezug eines Sachverhalts im europäischen internationalen Eherecht besitzen. Die Regelwerke des europäischen internationalen Scheidungs-, Güter- und Unterhaltsrecht unterscheiden grundsätzlich nicht zwischen unionsbezogenen und drittstaatenbezogenen Sachverhalten. Im europäischen Kollisionsrecht gilt der Grundsatz der universellen Anwendung. Normiert wurden einheitliche Verweisungsregeln, die sowohl für unionsbezogene als auch für drittstaatenbezogene Fallgestaltungen Geltung beanspruchen. Korrespondierend erfassen die unionsrechtlichen Zuständigkeitsnormen grundsätzlich auch drittstaatenbezogene Sachverhalte. Gleichwohl sind im Verhältnis zu Drittstaaten Besonderheiten festzustellen. Dies gilt erkennbar im Hinblick auf den Vorrang völkerrechtlicher Verträge, betrifft aber auch die Entstehung und die Folgen internationaler Entscheidungsdisharmonien, den ordre public-Vorbehalt sowie die Anknüpfung von Formfragen. Eine Sondersituation wird dadurch geschaffen, dass sowohl die Rom III-VO als auch die EuGüVO lediglich im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit verabschiedet wurden, die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten somit ebenso Drittstaaten sind wie die Nicht-EU-Staaten. Der Beitrag geht auf die damit verbundenen Problemlagen ein und gibt Hinweise zu deren Bewältigung.

D. Coester-Waltjen:
Europäisches Internationales Kindschaftsrecht und Drittstaaten 343

In diesem Beitrag werden die Probleme bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts in Fragen der elterlichen Verantwortung nach europäischem Recht bei Sachverhalten mit Verbindung zu Drittstaaten behandelt. Außerdem wird es um die Anerkennung und Vollstreckung entsprechender Entscheidungen gehen. Spezielles Gewicht liegt auf der EU-Verordnung 2019/1111, dem Haager Kinderschutzübereinkommen 1996 und dem Haager Kindesentführungsabkommen 1980. Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sind die Regelungen der Verordnung 2019/1111 und des Haager Kinderschutzübereinkommens relativ klar und eindeutig. In Fällen der Kindesentführung wird dies hingegen schwieriger. Die EU-Verordnung sieht im Falle einer Entführung spezielle Regelungen vor, die jedoch nur dann eingreifen, wenn das Kind von einem durch die Verordnung gebundenen Mitgliedstaat in einen anderen gebundenen Mitgliedstaat entführt wird. Bei einer Entführung von oder in einen Drittstaat können die Vorschriften des Haager Kinderschutzübereinkommens 1996, des europäischen Sorgerechtsübereinkommens 1980, des Haager Kindesentführungsübereinkommens 1980 und/oder das autonome nationale Recht anwendbar sein – unter Umständen ergänzt durch andere Regelungen in der Verordnung. Es ist kompliziert die anwendbaren Regelungen zu bestimmen. Durch diese Komplikationen geht wertvolle Zeit zulasten des Kindeswohls verloren und es können Unstimmigkeiten und Wertungswidersprüche entstehen. Das Wohl des Kindes ist gleichwohl Ziel aller dieser Vorschriften. Insgesamt erweist sich das Regelungslabyrinth aber als kontraproduktiv.

 

 

D. Looschelders:
Europäisches Internationales Erbrecht und Drittstaaten 357

Die EuErbVO geht von den Grundsätzen der universellen Anwendung und der Nachlasseinheit aus und enthält nur wenige Bestimmungen, die eine Sonderbehandlung von Drittstaatensachverhalten ausdrücklich vorsehen. Wichtigste Ausnahme ist die begrenzte Beachtlichkeit des Renvoi bei Verweisungen auf drittstaatliches Recht nach Art. 34 EuErbVO. Darüber hinaus gibt es allerdings zahlreiche weitere Konstellationen, in denen die Beurteilung des Erbfalls nach der EuErbVO wegen der Verbindung des Sachverhalts mit Drittstaaten besondere Schwierigkeiten bereitet. Der Beitrag untersucht diese Konstellationen und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf. Abschließend wird auf die Disharmonien eingegangen, die durch die Fortgeltung der bilateralen Staatsverträge zwischen einzelnen Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands und Drittstaaten entstehen.

 

T. Pfeiffer:
Einflüsse der Rom I- und II-Verordnungen auf das IPR in Drittstaaten und die Haager Rechtswahlprinzipien 368

Der Beitrag geht dem Einfluss der Rom I und Rom II-VO auf das IPR von Drittstaaten sowie auf die Haager Vertragsrechtsprinzipien nach. Dabei werden unterschiedliche Wege des Einflusses und deren unterschiedliche Stärke in einzelnen Staaten oder Regionen unterschieden, wobei im Hinblick auf die Haager Prinzipien eine sehr deutliche Vorbildfunktion bestimmter Regelungen in der Rom I-VO nachweisbar ist. Im Ergebnis wird als Vorteil der römischen IPR-Verordnungen in Internationaler Perspektive darin gesehen, dass sie als europäische Rechtsakte bereits einen, nämlich den europäischen Test internationaler Akzeptanz bereits bestanden haben. Ein Nachteil mancher Regelungen besteht dem gegenüber in der typischen europäischen Detailfreudigkeit.

Perspektiven

H. Kronke:
Die Europäische Union und ihre Rolle in der Arbeit der globalen „privatrechtsformulierenden Organisationen“ (Haager Konferenz, UNIDROIT, UNCITRAL) 373

Der Beitrag gibt – ausgehend von der Unterscheidung nach Instrumentstypen (Staatsverträge einerseits, Soft-law-Instrumente andererseits) – einen Überblick über die Beteiligung der EG/EU in den Verhandlungsprozessen der drei globalen privatrechtsformulierenden Organisationen im Laufe der letzten drei Jahrzehnte. Der Verfasser schildert Beispiele exzellenter Kooperation ebenso wie solche von erstaunlicher Destruktivität oder Desinteresse. Er hebt die Rolle und die Bedeutung der jeweils mit einem Dossier befassten Generaldirektion sowie einzelner Beamter und ihres persönlichen Einsatzes hervor. Nicht zu unterschätzen sei die in den verantwortlichen Ministerien der Mitgliedstaaten zu leistende Koordination. Sie lasse (z.B.) in Deutschland im Vergleich zu (z.B.) Kanada zu wünschen übrig.

R. Michaels:
Internationales Privatrecht und Globaler Süden 377

“Modern law’s episteme is inescapably colonial and racist,” sagt Upendra Baxi, “and private international law cannot escape the, as it were, Original Sin.”. In diesem Sinne untersuche ich für das internationale Privatrecht, was Nikolaïdes EU-Universalismus nennt: Europas Anspruch auf Universalität seiner Werte, gegründet in seiner Amnesie über deren kontingente und koloniale Ursprünge. Wie gestaltete sich das europäische internationale Privatrecht gegenüber seinem außereuropäischen Anderen? Inwiefern setzt das internationale Privatrecht heute in seiner Beziehung zum globalen Süden koloniale Hierarchien fort? Ist das europäische internationale Privatrecht ein unzureichendes Modell für das internationale Privatrecht im Globalen Süden selbst?

Entscheidungsrezensionen

L. d´Avout:
Mirin: Begründung und Reichweite des „Rechtes auf Anerkennung“ einer Statusänderung in der EU 388

Der EUGH wendet sich gegen die Regelung eines Mitgliedstaats (Rumänien), die es nicht zulässt, dass die Änderung des Vornamens und der Geschlechtsidentität, die in einem anderen Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Freizügigkeit und seines Aufenthaltsrechts rechtmäßig erworben wurde, anerkannt und in die Geburtsurkunde eines Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats eingetragen wird, mit der Folge, dass das Individuum gezwungen ist, ein neues, Gerichtsverfahren zur Änderung der Geschlechtsidentität in diesem ersten Mitgliedstaat einzuleiten. Als Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs scheint das Urteil Mirin das subjektive Recht transsexueller Personen auf bedingungsloser Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat erfolgten Änderung des Personenstands in der Europäischen Union zu bekräftigen. Eine kontextualisierte Betrachtung des Urteils ermöglicht es, seine Tragweite genauer zu ermessen.

K. Duden
Die Anerkennung eines geänderten Geschlechtseintrags: Auf der Zielgeraden zur unionalen Statusfreizügigkeit? 395

Das europäische Anerkennungsprinzip breitet sich weiter aus. Vom Gesellschaftsrecht ist es über das Namensrecht im Familienrecht und dem Recht der Person angekommen. Für immer mehr Statusfragen hat der EuGH aus dem europäischen Primärrecht Ergebnisvorgaben für das einfache Recht herausgearbeitet. Die Entscheidung Mirin geht weitere Schritte in dieser Entwicklung: Der EuGH erstreckt das Anerkennungsprinzip auf ein politisch hochbrisantes Gebiet – die Änderung des Geschlechtseintrags –, ebnet dabei womöglich den Weg für eine umfassende Statusfreizügigkeit und setzt den Mitgliedstaaten Grenzen bei der Berufung auf den ordre public. Darüber hinaus lässt die Entscheidung interessante Rückschlüsse auf den verfahrensrechtlichen Hintergrund des Anerkennungsprinzips und das Objekt dieser Anerkennung zu.

Rezensierte Entscheidungen
(s. Seite III) 402

Blick in das Ausland

A. Dickinson
Eine Rettungsaktion 408

Das Sinken des Tankers "the Prestige" vor der spanischen Küste vor über zwei Jahrzehten löste nicht nur eine Umweltkatatstrophe aus, sondern auch eine komplexe Kette rechtlicher Verfahren, die noch nicht an ihrem Ziel angekommen sind. Dieser Beitrag betrachtet den verfahrensrechtlichen Hintergrund und den Inhalt der aktuellsten Entscheidung des englischen Court of Appeal im Verfahren "Kingdom of Spain v London Steam-Ship Owners’ Mutual Insurance Association Limited [2024] EWCA Civ 1536". Er beleuchtet Probleme bei der Durchsetzung von Entscheidungen unter der EuGVVO und bei Rechtsmitteln gegen Dritte, die als Opfer direkte Verfahren gegen Versicherer einleiten ohne den in der Versicherungspolice vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren zu folgen.

Internationale Abkommen
418

Schriftumshinweise
418

Neueste Informationen
II, IV ff.