Heft 6/2025 (November 2025)

Aktuelles Heft (zum Probeabo)

Abhandlungen

M. Weller:
Grundlegende Neuerungen in der internationalen Kunstrestitution: „Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art“ und Einführung einer „Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut“ 541

Für die Restitution nationalsozialistischer Raubkunst zeichnen sich nach 25 Jahren der Restitutionspraxis unter den „Washington Principles on Nazi-Confiscated Art“ zwei grundlegende Neuerungen ab: Zum einen wurde aus der Fallpraxis in sechs Staaten (Deutschland, Österreich, Niederlande, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Schweiz) ein „Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art“ generiert. Zum anderen hat sich Deutschland dazu entschlossen, eine „Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut“ einzurichten. Der Beitrag zeigt die Entstehungsgeschichte sowie die wesentlichen Züge dieser Neuerungen auf.

A. Stein:
Die Anti-SLAPP Richtlinie – Mindestharmonisierung nationalen Zivilprozessrechts zum Schutz vor Einschüchterungsklagen 552

Die Anti-SLAPP Richtlinie, die 2024 verabschiedet wurde und von den EU-Mitgliedstaaten bis Mai 2026 umgesetzt werden muss, ist die Reaktion des Unionsgesetzgebers auf das zunehmend um sich greifende Phänomen missbräuchlicher zivilrechtlicher Verfahren, deren Hauptzweck die Verhinderung, Einschränkung oder Sanktionierung der Beteiligung am öffentlichen Diskurs, oder mit anderen Worten ein Abschreckungseffekt im Hinblick auf den Gebrauch der Meinungs- und Pressefreiheit ist. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, bestimmte Verfahrensgarantien sicherzustellen, etwa die frühzeitige Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen, Abhilfemaßnahmen gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren und Schutzmechanismen in Bezug auf Verfahren in Drittstaaten. Dieser Beitrag stellt die unterschiedlichen Elemente der Richtlinie mit einem besonderen Fokus auf Textänderungen im Laufe des Gesetzgebungsprozesses vor und berücksichtigt auch den kürzlich veröffentlichten Referentenentwurf zur Umsetzung in Deutschland.

L. Veith:
Ordre public-Vorbehalt bei Rechtsstaatlichkeitsdefiziten im Europäischen Mahnverfahren? 561

Die Rechtstaatlichkeit ist auch innerhalb der Union nicht vor Angriffen gefeit. Dies zeigen insb. die in der Vergangenheit eingeleiteten Frühwarnverfahren gegen Ungarn und Polen. In Bezug auf das Europäische Mahnverfahren nach der EuMahnVO erscheint ein herabgesunkenes Rechtsschutzniveau besonders problematisch, sind Europäische Zahlungsbefehle (EZB) doch innerhalb der Union weitgehend voraussetzungslos anzuerkennen und vollstreckbar. Dieses System beschleunigter Rechtsverfolgung basiert auf der Prämisse den Unionswerten entsprechender Rechtsstaatlichkeitsverhältnisse im Ursprungsstaat. Vorliegender Beitrag befasst sich mit der Frage, ob sich – vor dem Blickwinkel der Abstinenz eines ausdrücklich normierten ordre public-Vorbehalts im Europäischen Mahnverfahren – aus der Rspr. des EuGH Möglichkeiten zur Verweigerung der Vollstreckung eines EZB ableiten lassen, wenn dieser bloß aufgrund rechtsstaatlicher Unzulänglichkeiten erlassen wurde. Zugleich werden auch Gefahren in Zusammenhang mit politisch motivierten SLAPP-Klagen ausgelotet, die im Rahmen eines Europäischen Mahnverfahrens releviert werden.

Entscheidungsrezensionen

H. v. Scheliha:
Internationale Zuständigkeit in Erbsachen – Wann andere Gerichte „besser“ entscheiden können 567

Der Beschluss des OLG Schleswig befasst sich mit der internationalen Zuständigkeit für einen Erbscheinsantrag eines deutsch-französischen Ehepaares. Strittig war, ob deutsche oder französische Gerichte über den Nachlass entscheiden sollten, insbesondere im Hinblick auf einen Ehevertrag nach französischem Recht. Das OLG hob die Entscheidung der ersten Instanz auf und erklärte deutsche Gerichte für zuständig, da das französische Erbrecht in diesem Fall als nicht besonders kompliziert eingestuft wurde. Diese Einschätzung ist zu kritisieren. Das französische Erbrecht ist insbesondere im Hinblick auf die Rechte von Vorbehaltserben durchaus komplex. Dass die französischen Gerichte die Angelegenheit doch besser beurteilen könnten und damit ihre Zuständigkeit nach Art. 6 lit. a) EuErbVO zu bejahen gewesen wäre, zeigt sich letztlich an der fehlerhaften Einordnung der Rechtsposition der Töchter durch das Oberlandesgericht selbst.

A. Junker:
Zwingende Bestimmungen und Eingriffsnormen im Internationalen Arbeitsvertragsrecht 571

Die Anmerkung kommentiert die Entscheidung des BAG vom 22.8.2024 (2 AZR 251/23) über die Corona-bedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines an der Basis Frankfurt a.M. eingesetzten Flugbegleiters einer US-amerikanischen Fluggesellschaft. Das BAG entnimmt die Wirksamkeit der Kündigung dem kraft Rechtswahl berufenen Recht des US-amerikanischen Bundesstaats Illinois und die zu beachtende Kündigungsfrist dem deutschen materiellen Recht.

J.D. Lüttinghaus:
Eingriffsnormen im internationalen Deliktsrecht: Von Schock- und Trauerschäden, kollisionsrechtlichen Abwegen und der „Intra-EU“-Durchsetzung mitgliedstaatlichen Eingriffsrechts 578

Der Beitrag widmet sich Eingriffsnormen im internationalen Deliktsrecht, insbesondere im Zusammenhang mit Schockschäden. In der Rechtssache HUK COBURG II hatte der EuGH zu entscheiden, ob nationale Regelungen zur immateriellen Entschädigung von Hinterbliebenen unter Art. 16 Rom II-VO fallen können. Der Gerichtshof wendet sich gegen den neuerlichen Versuch, allgemeine Vorschriften des nationalen Haftungs- und Schadensrechts als Eingriffsnormen zu qualifizieren, um unliebsame Rechtsfolgen der lex causae zu vermeiden. Darüber hinaus offenbart die Rechtssache einige Kontinuitäten im Umgang mit Eingriffsnomen im unionalen IPR: Dies betrifft u.a. die Durchsetzung von Eingriffsnormen des mitgliedstaatlichen Rechts in solchen Bereichen, die durch unionsrechtliche Vorgaben (teil)harmonisiert worden sind.

A.J. Baumert:
Die Rechtswahl deutschen Rechts unter Ausschluss des AGB-Rechts im Schiedsrecht 585

Wird ein staatliches Gericht angerufen, um über einen Rechtsstreit zu entscheiden, muss das Gericht das anwendbare Recht nach dem Kollisionsrecht der lex fori bestimmen, insbesondere im Falle einer Rechtswahl. In Deutschland sind - wie in den anderen EU-Mitgliedstaaten - in erster Linie die Rom I-Verordnung und die Rom II-Verordnung anwendbar. § 1051 ZPO sieht dagegen für Schiedssprüche vor, dass das Schiedsgericht den Streit nach den Rechtsvorschriften zu entscheiden hat, die von den Parteien als auf den Inhalt des Streits anwendbar bezeichnet worden sind. Umstritten ist seit jeher, ob § 1051 ZPO ein Sonderkollisionsrecht für Schiedsverfahren in dem Sinne darstellt, dass diese Vorschrift lex specialis zu den für die staatlichen Gerichte verbindlichen Rom I-Verordnungen und anderen EU-Verordnungen ist. Es stellt sich auch die Frage, wie der spezielle Unterfall der Wahl deutschen Rechts unter Ausschluss des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu beurteilen ist und welche Rechtsfolgen anzunehmen sind, wenn dies einen Verstoß gegen zwingendes Recht darstellen sollte. Die Entscheidung des Ersten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. Januar 2025 (I ZB 48/24) bietet Gelegenheit, sich mit diesen Fragen an der Schnittstelle von Schiedsrecht und Kollisionsrecht auseinanderzusetzen.

Kommt ein Schiedsgericht mit der bisherigen h.M. zu dem Ergebnis, § 1051 ZPO sei Sonderkollisionsrecht und ist es ferner mit der wohl überwiegenden Ansicht der Auffassung, man könne deutsches Recht unter Ausschluss von AGB-Recht wählen, wenn lediglich Unternehmer beteiligt sind (B2B), beschränkt sich auch nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs die Rechtsprüfung des staatlichen Gerichts bei einem Aufhebungsantrag (§ 1059 ZPO) auf eine ordre public-Prüfung. Prüft das Schiedsgericht bei Abwahl des AGB-Rechts zumindest über § 242 BGB die Angemessenheit, wird das Ergebnis der Rechtsanwendung nicht gegen den ordre public verstoßen. Dies gilt – wie der Autor herausarbeitet - auch für den maßgeblichen ordre public interne, da nicht jede einfach zwingende Norm (des AGB-Rechts) von diesem erfasst ist.

Das heißt: Die Abwahl deutschen AGB-Rechts ist – jedenfalls im B2B Geschäftsverkehr - im Schiedsrecht sanktionslos möglich!  

M. Erb-Klünemann:
Der Ausnahmetatbestand des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ im Fall der Rückführung entführter Kinder in Krisengebiete 589

Die zu besprechenden Entscheidungen befassen sich mit der aktuell praxisrelevanten Frage, ob in Rückführungsverfahren nach dem HKÜ die sicherheitspolitischen Lagen in der Ukraine und in Israel die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind i. S. d. Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ bedeuten können. Die Entscheidungen werden insbesondere vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.4.2024 – 1 BvR 1595/23 besprochen, die zu offenen Folgefragen führt. Die Unterscheidung des OLG Stuttgart zwischen einem schwer gefährdenden Kriegsgebiet und einer den Ausnahmetatbestand nicht auslösenden instabilen Situation mit einzelnen gewaltsamen Zwischenfällen überzeugt. Die zwei Entscheidungen des OLG Stuttgart haben nach Auffassung der Autorin in weltweit instabilen Zeiten die Qualität, als Leitschnur zu dienen. Alleine die Einbeziehung der Auffassung fachlich Beteiligter fällt dürftig aus. Auch die Anhörung des betroffenen Kindes sollten Gerichte im Auge behalten, damit eine am Wohl des Kindes orientierte Prüfung des Ausnahmetatbestandes des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ vorgenommen wird. Die Gerichte haben sorgfältig zu begründen.

 

Rezensierte Entscheidungen

(s. Seite III) S. 594

Blick in das Ausland

S. Deuring:
Leihmutterschaft und Abstammungsverhältnis: zur Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen in Frankreich 624

Mit der Entscheidung vom 14.11.2024 hat der französische Kassationshof erneut positiv zur Anerkennung bzw. Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung im Fall von Leihmutterschaft entschieden: In der Anerkennung einer Abstammung, auch wenn sie nicht den biologischen Gegebenheiten entspricht, liegt grundsätzlich kein ordre public-Verstoß, solange der ausländischen Entscheidung entnommen werden kann, dass die Leihmutter freiwillig gehandelt hat. Eine biologische Verwandtschaft zwischen den Wunscheltern und dem Kind muss nicht vorliegen. Das in einer ausländischen Gerichtsentscheidung festgestellte Abstammungsverhältnis ist sodann als solches in Frankreich anzuerkennen.

A. Jeschor:
Die Erbunwürdigkeit im deutsch-englischen Erbrechtsverkehr 629

Dieser Beitrag untersucht das Rechtsinstitut der Erbunwürdigkeit im Erbrechtsverkehr zwischen Deutschland und der selbständigen Teilrechtsordnung von England und Wales. Der Untersuchung liegen vier Fragestellungen zugrunde, die ausführlich behandelt werden: 1. Was umfasst der Begriff der „Erbunwürdigkeit“ im Sinne von Art. 23 Abs. 2 lit. d) Alt. 2 der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO)? 2. Wie wird die Erbunwürdigkeit im englischen Recht kollisionsrechtlich behandelt? 3. Welche Auswirkungen hat das Ergebnis der vorherigen Untersuchungsfrage für das Verständnis, ob es sich bei der Verweisung nach der EuErbVO in deutsch-englischen Erbfällen um eine Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf englisches Recht handelt? 4. Für den Fall, dass infolge der Verweisung englisches Sachrecht zur Anwendung kommt: Kennt das englische materielle Erbrecht das Institut der Erbunwürdigkeit und, wenn ja, für welche Sachverhalte?

 

Mitteilungen

H.-P. Mansel:
Peter Hay zum 90. Geburtstag 639
S. Noyer:
Digitalisierung und internationales Privatrecht – Lokale Verbindungen in grenzenlosen Räumen – Nachwuchstagung Internationales Privatrecht am 14. und 15.2.2025 in Heidelberg 640

Internationale Abkommen
642
Schriftumshinweise
642
Neueste Informationen
II, IV ff.